Festbierleichen. Uwe Ittensohn
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Festbierleichen - Uwe Ittensohn страница 2
Freitag, 7. Juni 2019, 18.30 Uhr
»Karlhoinz, bass e’mol uff, dass der Klääne nedd so weit noi geht!«, plärrte die Alte neben ihnen nun zum zehnten Mal.
Irina rollte mit den Augen. »Ob wir auch mal so werden, wenn wir alt sind und ein Enkelkind haben?«
Johanna lachte. »Was heißt hier werden? So wie die aussieht, war die schon immer so.«
»Du meinst, Opa Karlheinz hat sich das bewusst angetan?«
»Darauf kannst du Gift nehmen, manche Männer brauchen das«, gab Johanna spöttisch grinsend zurück.
»Wow, dann hab ich ja auch noch Chancen, einen devoten Typen zu finden, der mir jeden Wunsch von den Lippen abliest.«
»Wenn du erst mal Brezelkönigin bist, werden die Männer sowieso bei dir Schlange stehen«, erwiderte Johanna mit funkelnden Augen.
Im Gegensatz zum sonnigen Lächeln ihrer Freundin legte sich ein dunkler Schatten auf Irinas Züge. »Ich hätte mich nicht von dir bequatschen lassen dürfen. Das passt alles gar nicht zu mir. Es war eine dämliche Idee, mich zur Wahl zu stellen. Ich werde mich morgen bis auf die Knochen blamieren. Die Speyerer können mit einer russischen Brezelkönigin bestimmt nichts anfangen. Und so, wie ich aussehe?« Dabei zupfte sie nervös an ihrem Bikini-Oberteil, als könnte sie damit ihre Oberweite vergrößern.
»Wirst du nicht! Das spricht doch für dich, dass du dich nach nur vier Jahren in Speyer schon so integriert hast. Die Presse wird das feiern. Und im Dirndl wirkst du richtig knackig. Und denk dran, ich hab das Jahr als Karnevalsprinzessin auch überstanden.«
»Aber du kommst von hier. Die alteingesessenen Speyerer werden mich dafür hassen, wenn ich mich in ihre Traditionen reindränge.«
»Jesses, Karlhoinz, wommer nedd iwweral soi Aache hot. Muss ich donn alles selwer mache?«, zeterte die Alte, stand stöhnend auf und zerrte den etwa acht Jahre alten Jungen zu sich auf das überdimensionale Badetuch.
»So, Fronschesgo, die Oma liest där jetzt was vor.«
Irina schüttelte den Kopf. »Ihr Pfälzer macht aber auch wirklich jeden Namen kaputt.«
»Ja, unser Fronschesgo hat ganz schön die Arschkarte gezogen«, flüsterte Johanna lachend.
»Wenn wir nächstes Mal hierher kommen, heißt es wohl ›Augen auf bei der Liegeplatzwahl‹«, sagte Irina genervt und legte sich, den Rücken der Alten zugewandt, auf ihr Badetuch.
Gut eine halbe Stunde lagen die beiden jungen Frauen schweigend nebeneinander und genossen die milde Frühsommersonne. Der Kiesstrand zog sich hier an der nördlichen Hälfte der Ludwigshafener Parkinsel wie ein schmales beigegraues Band über einige 100 Meter am Rheinufer entlang. Die langgestreckte Parkinsel verdiente zu Recht die Bezeichnung Insel, da sie an ihrer Ostseite vom Rhein und an der zum Stadtgebiet weisenden Westseite vom Becken des Luitpoldhafens umgeben und nur über zwei Brücken sowie einen Deich im Süden zu erreichen war. Aber nicht nur aus geografischen Gründen durfte sie sich als Insel rühmen. Im von alten Hafen- und Industrieanlagen, baufälligen Hochstraßen und Bausünden der Nachkriegsjahre durchzogenen, verkehrsüberfluteten Stadtgebiet Ludwigshafens wirkte sie mit ihren Alleen, schönen Architektenhäusern und dem weitläufigen Park wie ein vom Himmel gefallenes Juwel.
Das leise Gurgeln der sich am Kiesstrand brechenden Strömung des Flusses und der immer wieder zu ihr herüberwehende monotone Vorleseton der Alten ließen Irina müde werden. Dösend, mit halb geschlossenen Augen, starrte sie in die Wellen, die das abendliche Sonnenlicht golden widerspiegelten.
In Gedanken versunken betrachtete sie das vorbeiziehende Flusskreuzfahrtschiff, das behäbig mit blubberndem Schiffsdiesel gegen den Strom ankämpfte. Für ein paar Sekunden ließ die auf den Strand anlaufende Heckwelle das sanfte Plätschern zu einer leichten Brandung anschwellen. Fast wie am Meer, dachte Irina schlaftrunken und verfolgte, wie Obelix, Johannas Jack–Russell-Terrier, sich hektisch vor den anrollenden Wogen in Sicherheit brachte.
»Därf unsern Klääne mit eierm Hund schbiele, odder macht der was?«, durchschnitt die schrille Stimme der Alten die Idylle.
Irina schreckte hoch. Als ihr auffiel, dass Johanna neben ihr schlief, nickte sie der Frau stumm zu.
Sofort lief Francesco auf den kleinen zweifarbigen Hund zu, dem eine Laune der Natur die eine Gesichtshälfte weiß und die andere braun gefärbt hatte.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Irina, wie Obelix, in Erwartung eines neuen Spielgefährten, aufgeregt auf und ab sprang. Er schnappte sich ein dünnes Stück Treibholz, das die Wellen gerade angespült hatten, und hielt es quer im Maul steckend dem Jungen entgegen.
Irina sah noch, wie sich Francesco zu Obelix herunterbeugte und nach dem Holzstück griff.
Plötzlich schrie der Junge gellend auf. Tränen liefen ihm übers völlig fassungslose Gesicht.
Karlheinz kam stöhnend auf die Beine. Von der abrupten Bewegung benommen, torkelte er ein paar Schritte. Dann stapfte er eilig über die unter den Sohlen nachgebenden Kieselsteine auf seinen Enkel zu. Den Kopf gesenkt, starrte er auf den Kies zu Francescos Füßen. Mit schmerzlich verzerrter Fratze brüllte er dann außer sich: »O Jesses Gott, der Keder hot dem Bu de Finger abgebisse!«
Essenszeit
Freitag, 7. Juni 2019, 19.30 Uhr
Das elegant minimalistisch eingerichtete Restaurant in Mannheims Norden war fast voll besetzt.
Der Einkäufer, wie er sich neuerdings nannte, war ein hünenhafter Mann mit grobem pockennarbigem Gesicht. Er war es gewohnt, dass Menschen in seiner Gegenwart ängstlich reagierten, und er genoss es.
»Was ist das?«, herrschte er mit unverkennbar osteuropäischem Akzent den zierlichen vietnamesischen Kellner an und deutete mit dem Zeigefinger, der so breit war wie bei anderen Männern die Daumen, auf die Schale, die dampfend auf der Warmhalteplatte stand. Einige Gäste horchten erschrocken auf.
»Bò nýớng – gegrillter Rinderspieß«, antwortete der asiatische Ober kleinlaut.
»Rinderspieß? Rinderspieß – so nennst du also die Fleischkrümel an diesem Mikadostäbchen. Du hast Glück, dass ich sie überhaupt unter diesem Unkraut da gefunden habe!« Dabei griff er mit angeekeltem Gesichtsausdruck mit bloßen Fingern in die kleine Schüssel vor sich. Er nahm einige der kunstvoll um die Rindfleischstücke gewickelten La-Lot-Blätter heraus und warf sie vor dem aufgelösten Mann aufs Tischtuch.
»Entweder du bringst mir jetzt einen anständigen gegrillten Rinderspieß, oder ich steck dir das hier in deinen kleinen Vietnamesenarsch!« Dabei fuchtelte er bedrohlich mit dem Holzspieß, auf dem noch einige in Blätter gewickelte Fleischstücke steckten, vor dem Gesicht des völlig fassungslosen Kellners herum.
Von hinten eilte die Eigentümerin ihrem Mitarbeiter zu Hilfe. »Kein Problem, wir werden Ihnen einen neuen Grillspieß bringen!«, sagte sie mit erstaunlich fester Stimme und gequältem Lächeln, nahm die Schale von der Wärmeplatte und marschierte mit energischen Schritten, ihren Kellner buchstäblich vor sich her treibend, zur Küchentür.
Beschämt senkten die anderen Gäste, die dem Schauspiel aufmerksam gefolgt waren, die Blicke.
*