Festbierleichen. Uwe Ittensohn
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Festbierleichen - Uwe Ittensohn страница 4
Im krassen Gegensatz dazu stand das Auftreten der rotbebrillten Marketing-Doktorin Vermeulen und ihres Tischnachbarn Sassari, der sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen breitbeinig zurücklehnte und den muskulösen Oberkörper im hautengen Hemd blähte.
Ungeduldig schob Doktor Vermeulen das vor ihr liegende Skript hin und her. Offensichtlich konnte sie es kaum erwarten, ihre Sicht der Dinge zu präsentieren.
Nachdem Jonny Braunleitner die sich auf den Gesichtern der Familienmitglieder abzeichnende Bestürzung ausreichend ausgekostet hatte, fuhr er beschwingt fort.
»Frau Doktor Vermeulen wird Ihnen nun aufzeigen, mit welchen Konzepten wir den Turnaround unseres Hauses gemeinsam gestalten werden.«
Der alte Braumeister konnte seinen Ärger nun nicht länger zurückhalten. »Hättn’s uns ned zwunga, des kinesische Glump von am Hopfn in unsa guads Hirschbräu zum kippn, datn’s die Leit weida trinkn. Seit üba 100 Johr bsorgn mia unsan Hopfn in da Hallertau. Und der war scho ollawei guad.«
»Aber Herr Gruber, es dürfte auch Ihnen nicht entgangen sein, dass die von mir veranlasste Kostenbremse bitter nötig war. Wir müssen unsere Rohstoffe dort einkaufen, wo sie am günstigsten sind. Teure Traditionstümelei können wir uns nicht mehr erlauben. Ohne Herrn Sassaris Kontakte, die uns dies erst ermöglicht haben, wären wir längst pleite.«
Während Sassari generös grinste, grunzte Gruber nur ablehnend und winkte mit der klobigen Hand ab.
»So, Frau Doktor Vermeulen, darf ich Sie nun um Ihren Vortrag bitten«, säuselte Jonny Braunleitner.
Vermeulen stand dynamisch auf, zeigte lächelnd ihr makelloses Gebiss und stöckelte zur Leinwand.
»Think pink!«, sagte sie mit fester Stimme, klickte, und auf der Leinwand materialisierte sich Pixel um Pixel ein ganz in Pink gehaltener Präsentationschart mit eben diesen zwei Worten. Erwartungsvoll ließ sie den Blick über die Zuhörer schweifen. Während Jonny Braunleitner und sein Vertriebsleiter gönnerhaft lächelten, wirkte der Rest des Auditoriums verdutzt.
»Wir brauchen ein völlig neues Konzept für unseren Laden!«, fuhr sie fort und machte erneut eine Kunstpause.
»Die 2020er werden das Jahrzehnt der Frauen.« Pause.
»Mit unserer Linie Female Fun bringen wir das Bier für die moderne Frau auf den Markt.« Dabei dehnte sie das Wort »das« und zeigte wieder ihre weißen Zähne.
»Wir werden hier alles umgestalten, damit jeder sieht, für was wir stehen.« Dabei klickte sie, und es erschien eine animierte Außenansicht der Brauerei, die den Anstrich des Gebäudes in ein leuchtendes Pink übergehen ließ.
»Wir brauchen Visibility!«, sagte sie, als würde sie einen Schlachtruf ausstoßen. »Influencer, die uns mit den richtigen Social Clips viral gehen lassen. Wir leben in einer disruptiven Welt, in der wir nur durch Real-Time-Marketing unsere User auf eine herausragende Customer Journey mitnehmen. Wir müssen dabei agil und customer centered vorgehen. Wir verkaufen unser Produkt nicht mehr über die Theke, sondern für unser Female Fun gilt: mobile first und Convenience first. Das erste Bier, das man customized direkt übers Netz bezieht.«
Jonny Braunleitner war der Erste, der nach Vermeulens Vortrag zu klatschen begann. »Bravo, das ist es«, rief er verzückt lächelnd.
Sassari folgte dem Beispiel seines Chefs. »Das wird unseren Profit in ungeahnte Höhen schießen lassen«, sagte er dauernickend. Dabei gab er dem Klang des Wortes »Profit« eine amerikanische Note.
Hildegard, die mit einem Gesichtsausdruck, als würde man ihr gerade ohne Narkose ein Bein amputieren, dem Vortrag Vermeulens gefolgt war, schob ihre Papiere zusammen, stand auf und verließ wortlos den Raum.
Die Gesichtsfarbe des Braumeisters war mittlerweile in ein ungesundes Violettrot übergegangen. »Ihr kennt’s eich an andern Deppen suachn. I mach den Scheiß nimma lenga mit«, brummte er, stand auf und verließ ebenfalls benommen schwankend den Raum.
Der alte Braunleitner vergrub stumm das Gesicht in den faltigen Händen. Quirin wurde von Mitleid für seinen Großvater übermannt.
Showtime
Samstag, 8. Juni 2019, 10.55 Uhr
Und wieder hallte das Klatschen der rund 100 Handpaare von den kahlen Wänden des Foyers der Postgalerie, einer Einkaufspassage im Herzen von Speyer. Hier fand offiziell die vom Verkehrsverein und vom Dirndl- und Lederhosenkomitee organisierte Vorauswahl unter den fünf Bewerberinnen für das Amt der Brezelkönigin statt. Das Quintett war eingeladen, damit die Jury und die Speyerer prüfen konnten, ob sie auch wirklich die Voraussetzungen erfüllten. Jeder wusste, dass es eine reine Promotion-Veranstaltung war, die Interesse wecken sollte, am 13. Juli im Bierzelt auf dem Brezelfest bei der Endauswahl dabei zu sein.
Die bedirndelten jungen Frauen, die nebeneinander auf der Bühne standen, lächelten artig. Nur in Irinas Gesicht erstarb das Lächeln allzu schnell. Sie fühlte sich unwohl. Unsicher zupfte sie am Ausschnitt ihres Dirndls. Ihr Blick suchte Johanna, die sie begleitete. Warum nur hatte sie sich von ihr breitschlagen lassen, bei diesem Wettbewerb mitzumachen – sie, die Russin und damit eine völlige Außenseiterin.
Johanna schmunzelte und bedeutete Irina, mit an die Mundwinkel gelegten Zeigefingern, zu lächeln. In Irina keimte Zorn auf. Johanna war ein Profi. Vor einem Jahr war sie Karnevalsprinzessin gewesen und hatte Irina nach ein paar Aperol Sprizz überredet, sich für das hier zu bewerben.
Die hat gut reden, dachte Irina. Sie ist hübsch, hat eine gute Figur, und das Lächeln ist ihr geradezu ins Gesicht gewachsen. Dazu hat sie Charme.
Sie selbst hingegen war alles andere als ein Showgirl, sie war dünn, zierlich, ernst und eher zurückhaltend. Am liebsten würde sie von der Bühne schleichen und einfach abhauen.
Sie warf Johanna einen leidenden Blick zu. Die rollte mit den Augen. Sie konnte das Zaudern ihrer Freundin ganz und gar nicht nachvollziehen.
In diesem Augenblick löste sich eine kleine Gruppe um Johanna aus dem Publikum. Offensichtlich wollten sie ihre Einkäufe fortsetzen und nicht weiter zuschauen. An ihre Stelle schoben sich zwei bekannte Gestalten – André Sartorius und Frank Achill.
Irina erlebte ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits freute sie sich über den unerwarteten Beistand, hatte sie doch bewusst ihre Teilnahme vor den beiden verheimlicht. Andererseits war nun jede Flucht ausgeschlossen. Sie war viel zu stolz, um ihnen gegenüber ihre Schwäche einzugestehen. Sie hatte sich diese Suppe selbst eingebrockt und würde sie nun auch auslöffeln. Und das, obwohl sie sich sicher war, auf dem letzten Platz zu landen.
Der Moderator kündigte unter dem Beifall des Publikums an, dass die Kandidatinnen nun ihr Geschick im Brezelteigschlingen unter Beweis zu stellen hatten. Irina stöhnte innerlich auf.
*
»Immerhin warst du die Schnellste beim Teigschlingen«, sagte André und klopfte Irina anerkennend auf die Schulter.
»Wir Russen sind eben das Arbeiten noch gewohnt.« Sie lächelte befreit, man konnte ihr ansehen, wie erleichtert sie war, weitab vom Trubel der Postgalerie nun hier mit