Festbierleichen. Uwe Ittensohn

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Festbierleichen - Uwe Ittensohn

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Irina abschätzig.

      Sie lachte laut auf. »Wieso? Sieht man mir das an?«

      »Na, äh, des hoaßt, äh …«, stammelte er mit geröteten Wangen.

      Irina bedauerte sogleich, ihn derart gefoppt zu haben. So unbeholfen, wie er war. Er wirkte überfordert. Wahrscheinlich war er in seinem Leben noch nicht oft in eine fremde Stadt gekommen. Die Situation erinnerte sie daran, wie sie vor vier Jahren zum ersten Mal in Mannheim vor der Uni stand und niemanden hatte, der sie ein wenig eingeführt hätte.

      »Mir hat jemand gestern am Telefon erklärt, dass ich mich hier an dieser Pforte melden muss. Der Praktikumsbetreuer wird mich hier abholen. Bei dir ist es bestimmt ähnlich. Und nein, ich bin keine Brauerin. Ich studiere hier an der Uni Betriebswirtschaftslehre und mache bei Eichbaum ein zweimonatiges Praktikum in internationalem Marketing.«

      Die Züge des Jungen entspannten sich. Dankbar nickte er. »Und i wui heia im Heabscht mei Studium zum Diplom-Braumoasta an da TU in Minga, also München moan i, ofanga.«

      Irina entging nicht der Stolz, mit dem er die Worte »Diplom-Braumeister« aussprach.

      »I hob scho a Lehr zum Brauer und Mälzer g’macht und mecht ma des ez amoi oschaun, wia de do braun.«

      Allmählich gewöhnte sich Irina an den merkwürdigen Dialekteinschlag und verstand schon weitgehend, was er sagte.

      Da ertönte plötzlich ein Signal, und das mächtige Eisentor schob sich zur Seite. Der junge Mann hastete als Erster durch und eilte zum Pförtnerhäuschen. Irina lief ihm hinterher und musterte ihn. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er eine Trachtenweste trug. Unwillkürlich musste sie an ihr Dirndl denken, das sie vorletzten Samstag, als sie für den Brezelköniginnen-Contest aufgetreten war, getragen hatte. Fesch war er, wie er da mit seinem kräftigen Körper und knackigen Hintern vor ihr herlief.

      Felco

      Samstag, 23. Juni 2019, 0.55 Uhr

      Ernst Berger war ein schreckhafter Mann. Linkisch schaute er alle 50 Meter über die Schulter, ob ihm jemand folgte. Zu dieser Tageszeit wäre er nie auf die Idee gekommen, sich in diesem Stadtteil zu bewegen. Dabei war der Mannheimer Jungbusch nicht mehr das, was er noch vor zehn Jahren gewesen war. Ursprünglich waren die schönen alten Häuser hier im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts für reiche Reeder und Kapitäne erbaut worden. Nach dem Niedergang der Rheinschifffahrt in den 70er-Jahren waren sie zunehmend heruntergekommen. Amüsierlokale, Prostitution und Drogenhandel hatten sich hier breitgemacht – zum sozialen Brennpunkt war der Jungbusch geworden. Doch nun siedelte sich allmählich eine neue Bevölkerungsgruppe hier an. Die Studenten der Uni und der zahlreichen anderen hier beheimateten Hochschulen – wie der unweit von hier gelegenen Pop-Akademie – machten sich mit ihren Wohngemeinschaften in den oft großzügig geschnittenen Altbauwohnungen breit. Ihnen folgte ein bunter Mix aus Szenekneipen und kleinen Läden. Der Stadtteil war im Aufwind und wurde bei der jungen urbanen Gesellschaft immer beliebter. »Gentrifizierung« nannte man das neuerdings.

      Dennoch gab es nachts noch genügend finstere Gestalten, die die Gegend für Berger, den ängstlichen Buchhalter bei der Brauerei Eichbaum, zur No-go-Area machten. Er hatte am Rand der Hafenstraße geparkt und marschierte schnellen Schrittes durch die um diese Tageszeit noch trister wirkende Böckstraße mit ihrem verfallenen Mühlengebäude gleich am Straßenanfang. Er hatte sich bewusst für diese ruhige Straße entschieden und nicht die belebtere Jungbuschstraße mit der legendären Onkel-Otto-Bar und den anderen um diese Zeit stark frequentierten Kneipen genommen. Er wollte nicht, dass man ihn hier sah.

      Vor einem Haus türmten sich alte Matratzen und ein Sessel mit aufgeplatztem Polster. Wilder Müll aus den Wohnungen der vier- bis fünfstöckigen Gründerzeithäuser, einfach am Straßenrand entsorgt, war hier keine Seltenheit. Vor ihm huschte eine fette Ratte über die Straße und verschwand in einem offenen Kellerfenster. Er beschleunigte sein Tempo und bog um die Ecke in die Beilstraße. Hinter sich hörte er unregelmäßige Schritte. Ein Betrunkener, der über den Bürgersteig wankte und sich hin und wieder an einem Laternenmast festhalten musste.

      Was tat er nur hier? Warum hatte er sich derart beunruhigen lassen? Seit wann ließ er sich erpressen? Wer war überhaupt dieser Typ mit dem russischen Akzent, der ihn heute Nachmittag angerufen hatte? Heute Morgen erst hatte er den Umschlag mit der Aufschrift »Herrn Ernst Berger – persönlich« aus der Hauspost gefischt. Zum Glück war er noch verschlossen gewesen. Nicht auszudenken, wenn das Foto darin auf dem Tisch eines Kollegen gelandet wäre. Es zeigte ihn nackt auf dieser Blondine, die sich Natascha genannt hatte und angeblich aus Moskau kam. Es war in jenem Speyerer Bordell aufgenommen worden, das er, bis zu dessen Schließung vor zwei Jahren, einige wenige Male besucht hatte. Sollte er das Foto doch schicken, wohin er wollte, er würde nicht zahlen, redete er sich trotzig ein.

      Es fiel ihm schwer, sich im schwachen Licht der Straßenbeleuchtung zu orientieren. Haus um Haus näherte er sich der von diesem Typen am Telefon angegebenen Hausnummer. Warum nur machte er es so kompliziert? Wieso wollte er ihn persönlich sprechen? Warum konnte er ihm nicht telefonisch seine Forderung nennen? Um irgendwo ein paar 1.000 Euro zu deponieren oder, wie es im Erpressermilieu üblich war, ein paar Bitcoins zu transferieren, brauchte man wahrlich kein Treffen. Und Negative, die man ihm im Ausgleich übergeben würde, gab es im Digitalzeitalter sowieso nicht mehr.

      »Da rein!«, unterbrach eine harsche Stimme mit osteuropäischem Akzent seine Überlegungen. Ein wuchtiger Schemen schälte sich aus der Dunkelheit eines offenen Eingangs. Er fühlte den Griff einer kräftigen Hand, die ihn in die Tür zog.

      Das Treppenhaus war völlig finster. Nur durch ein kleines Fenster gelangte etwas vom fahlen Schein des Halbmonds ins Innere. Mit dessen Hilfe gelang es ihm wenigstens, die Umrisse des schmalen Flurs zu erkennen. Es roch nach modrigem altem Holz und frischem Zement. Jeder Schritt verursachte ein unangenehmes Scharren. Offensichtlich mahlte er Bauschutt, der den alten Fliesenboden bedeckte, unter den Füßen. Die feuchte Kälte der Nacht kroch ihm in die Knochen und nährte die Angst, die in ihm aufstieg. Wieso nur hatte er sich auf das hier eingelassen? Er war sich nun sicher, dass es eine riesige Dummheit gewesen war, alleine hierher zu kommen.

      »Hier rein!«, herrschte ihn der Osteuropäer, der sich noch immer hinter ihm hielt, mit einer Stimme rau wie Schmirgelpapier an.

      Er gehorchte. Was sollte er auch sonst tun, so schmächtig und wenig wehrhaft, wie er war.

      Mit einem groben Stoß drückte ihn der Unbekannte durch eine der offenen Wohnungstüren. Die beiden Fenster des Zimmers, in das er mehr gestolpert als gelaufen war, waren größer und ließen das trübe Mondlicht in den Raum dringen. Weiterhin blieb der Fremde außerhalb seines Sichtfeldes. Er traute sich nicht, sich nach ihm umzudrehen.

      Als hätte der Mann seine Gedanken gelesen, schrie er ihn nun an: »Wenn du dich umdrehst und mich ansiehst, bist du tot!«

      Im gleichen Atemzug legte sich eine raue, kräftige Hand um seinen knochigen Nacken. Daumen und Mittelfinger umspannten den schlanken Hals zu drei Vierteln. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er zwischen den stählernen Backen eines mächtigen Schraubstocks eingespannt. Der Fremde musste gewaltige Hände haben. Berger wagte es nicht, sich zu bewegen, und blieb wie angewurzelt stehen. Dabei spürte er, wie seine Knie weich wurden. Für einen Augenblick fürchtete er, einfach kraftlos niederzusacken.

      »Du hörst jetzt genau zu, was ich dir sage!«

      »Kein Problem, ich zahle Ihnen, was Sie wollen. Ich mache Ihnen keine Schwierigkeiten«, stieß Berger mit brüchiger Stimme hervor.

      »Maul halten! Ich rede. Du redest nur, wenn du gefragt wirst.«

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