Schneesturz - Der Fall des Königenhofs. Julia Heinecke

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Schneesturz - Der Fall des Königenhofs - Julia Heinecke

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das Verhalten des Königenbauern bestimmt nicht bieten lassen. Seit der Geburt der Zwillinge war es so, und sie musste sich ständig vorsehen. Wo Gertrudis nur konnte, ging sie Martin aus dem Weg. Aber manchmal war sie einfach nicht schnell oder nicht schlau genug.

      Gertrudis zog das erste eingeweichte Hemd aus der Lauge und machte sich ans Wäscheschrubben. Sie mochte den Arbeitsplatz am Backhaus, denn er war vom Haus nicht einsehbar, und so hatte sie hier ihre Ruhe. Sie summte vor sich hin, während sie mit der Bürste einen hartnäckigen Fleck auf einem Hemd bearbeitete. Es war ein heißer Tag, und sie war von der Tätigkeit schweißgebadet. Ihre rotblonden Haare hatte sie im Nacken zu einem Zopf geflochten, aber immer wieder musste sie sich eine Strähne aus dem Gesicht streichen.

      Wie lange Martin schon dastand, wusste sie nicht. Gertrudis erschrak, als sie ihn wahrnahm. Das Summen blieb ihr im Hals stecken. Mit schnellen Schritten kam der Bauer wortlos auf sie zu und drückte sie mit dem Gesicht an die Wand des Backhauses. Er keuchte, während er hinter der Magd stand und seine Hand auf ihre rechte Brust legte. Gertrudis spürte sein hartes Geschlecht an ihrer Hinterseite. Sie roch seinen Schweiß. Ihr wurde übel.

      »Lass das«, ächzte sie, aber Martin presste sie nur stärker gegen das Backhaus und fuhr mit seiner Hand unter ihren Rock. Gertrudis schickte ein Stoßgebet gen Himmel, während sich der Bauer an ihr abarbeitete und dabei stöhnte.

      »Gertrudis, wo bleibst du?« Walburga rief vom Hof. Sie klang verärgert. »Was ist mit der Wäsche?«

      Augenblicklich ließ Martin von der Magd ab und verschwand, ohne ein Wort zu verlieren. Gertrudis sank zu Boden. Am liebsten hätte sie losgeweint, aber sie unterdrückte die Tränen und schluckte die aufkommende Übelkeit hinunter.

      Walburga kam jetzt selbst zum Backhaus, um sich vom Fortgang der Wäsche zu überzeugen. Auf dem Arm hielt sie einen der Zwillinge, der brüllte. Verwundert blickte sie auf die am Boden hockende Gertrudis. »Was machst du da unten?«, fragte sie gereizt.

      Schnell rappelte Gertrudis sich auf. »Entschuldigung, ich bin gerade gestolpert.«

      »Gestolpert?« Misstrauisch schaute Walburga ihre Magd an, die sich den Rock glattstrich.

      »Ich bin gleich so weit. Muss nur noch auswaschen.«

      »Und dann kommst du hoch. Ich brauch dich im Haus.«

      »Das mache ich gerne.«

      Gertrudis lächelte Walburga an, die verwundert zurückblickte, bevor sie sich mit dem schreienden Kleinkind abrupt umdrehte und zurück zum Haus lief.

      »Puh.« Gertrudis atmete tief durch. Nie war sie froher gewesen, dass die Bäuerin sie kontrollieren kam.

      Das Land an den steilen Hängen rund um den Königenhof gehörte größtenteils Martin Tritschler. Der dichte Wald, der sich über die Berge zog, hatte sich an der einen oder anderen Stelle schon gelichtet. Denn seit die Tritsch­lers vor einem Jahr ins Wagnerstal gezogen waren, hatte Martin Dutzende von Bäumen gefällt.

      Gemeinsam mit Wendelin, den Nachbarn Philipp Beha und Johann Löffler sowie seinem ältesten Sohn Lorenz zog Martin beinahe täglich in seinen Wald. Hatten sie in stundenlanger Arbeit einen Baum gefällt, die Äste abgeschlagen und zerteilt, schließlich die Rinde entfernt und die Spitze des Baumes zu einer runden Schnauze gehauen, schlugen sie ihre Äxte hinein, um den Stamm mit vereinter Kraft zur Riese zu ziehen, entlang derer das Holz ins Tal geschickt wurde. Rechts und links der Riese lagen Baumstämme zur Begrenzung, in der Rinne selbst quer dazu schmale Rundhölzer, die für das Gleiten sorgten. Lorenz lief neben der Riese ein Stück weiter nach unten, blieb schließlich stehen und blies in sein Kuhhorn. Die Töne warnten alle, die sich in der Nähe befanden.

      »Auf geht’s!«

      Ächzend gab Martin das Kommando, und die Männer schoben mit aller Kraft. Der Stamm schoss polternd die Riese hinab. Lorenz bekam derweil einen roten Kopf, so stark pustete er in sein Horn. Während der Stamm seine rasante Reise ins Tal unternahm, zogen die Männer schon den nächsten an den Startpunkt.

      Nachdem sie drei Weißtannen auf diese Weise ins Tal befördert hatten, liefen die Männer nach unten zum Ankunftspunkt. Martin begutachtete, wie viel Schaden das Holz auf seiner Reise genommen hatte.

      »Es sieht ordentlich aus«, sagte er zufrieden. »Die paar Stellen können wir jetzt ausbessern. Lorenz, hol die Pferde.«

      Lorenz, stolz, diese Aufgabe übertragen bekommen zu haben, lief los, während die Männer sich daran­machten, die Stämme zu glätten. Das Pferdegespann zog anschließend das Holz aus dem Wald zur Sammelstelle. Dort traf sich Martin am nächsten Tag mit Händlern, die die Baumstämme über die Wilde Gutach bis an den Rhein brachten, von wo es weiter bis nach Holland geflößt wurde. Es zahlte sich aus. Schon ein Jahr nach dem Kauf war der Königenhof schuldenfrei.

      Der junge Kajetansbauer, dessen Hof nur eine Viertelstunde vom Königenhof entfernt lag, beäugte das unentwegte Baumfällen seines Nachbarn indes mit Argwohn und Sorge. Als er die Männer wieder einmal mit ihren Äxten den Weg an seinem Hof vorbeilaufen sah, kam er auf sie zu.

      »Man muss vorsichtig sein und es nicht übertreiben«, warnte der Kajetansbauer nach einer Begrüßung, »sie kommen von der Behörde. Bei mir waren sie schon. Man darf nur noch nach Erlaubnis des Försters fällen, so will es das Gesetz.«

      »Welches Gesetz soll das sein?«, fragte Martin unwirsch.

      »Das neue Waldgesetz. Hast du es nicht gehört? Wir dürfen nicht mehr selbst entscheiden, welche Bäume wir fällen. Und wie viele. Das macht jetzt ein Förster.«

      Der Königenbauer tippte sich an den Kopf. »Die können mich mal mit ihrem Drecksgesetz. Was geht es die da oben an, was ich hier mache?«, brauste er auf. Martin hasste es, wenn man sich in seine Angelegenheiten einmischte, seien es der Förster oder sein Nachbar.

      Der Kajetansbauer versuchte es mit Erklärungen. »Es ist zu viel Wald abgeholzt worden. Ich will ja selber noch fällen, aber mich haben sie kontrolliert. Vor zwei Tagen erst. Eine saftige Geldstrafe soll ich jetzt zahlen. Und fällen darf ich nichts mehr. Zunächst muss ich neu pflanzen. Zu dir, Martin, werden sie auch noch kommen, wirst schon sehen. Sieh es als Warnung.«

      »Was schert’s mich? Die da oben haben uns lange genug drangsaliert. Wir sind freie Leute, und es ist mein Wald. Dort mache ich, was ich will«, erklärte Martin mit Nachdruck und sah seine Begleiter an. »Kommt, wir gehen.« Er wandte sich ab und ließ seinen Nachbarn stehen.

      »Es war nur ein gut gemeinter Rat«, rief der Kajetansbauer ihnen hinterher.

      Martin drehte sich noch einmal um und machte eine abwehrende Handbewegung. »Wir sind keine Leibeigenen mehr«, gab er laut zurück, »die feinen Beamten sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst.«

      1838

      Es war erneut passiert. Vierundvierzig Jahre war Walburga nun alt und wieder war sie schwanger geworden. Das dreizehnte Kind. Was hatte sie nicht alles unternommen, damit das nun ein Ende haben würde. Aber ewig ließ sich ihr Mann nicht abweisen, und Walburga hatte sehr wohl wahrgenommen, dass er sich regelmäßig an die Magd heranmachte. Dabei hatte diese doch schon genug mit dem Knecht zu tun. Nicht, dass sie Gertrudis in irgendeiner Weise zu schonen gedachte, aber dass Martin mit ihr tändelte, das ging dann doch zu weit. Also hatte Walburga in der bäuerlichen Schlafkammer nachgegeben. Und jetzt das.

      Dass es sie Mühen kostete, ließ sich Walburga, wie in ihren Schwangerschaften zuvor, nicht anmerken.

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