Schneesturz - Der Fall des Königenhofs. Julia Heinecke

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Schneesturz - Der Fall des Königenhofs - Julia Heinecke

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ihrer gewohnten Geschwindigkeit, schließlich hatte sie nie etwas anderes getan. Auch als die Zeit für den Roggen kam, ging sie wie üblich mit aufs Feld. Doch sie merkte, dass es beschwerlicher wurde.

      An einem heißen Nachmittag Ende Juli brauchte es alle Überwindungskraft, in gebückter Haltung die frischgeschnittenen Halme zusammenzuraufen. Die Sonne brannte auf der Königenhöhe. Walburga biss die Zähne zusammen. Seit dem Mittagessen hatte sie Wehen, und diese kamen in immer kürzeren Abständen. In der Reihe neben ihr stand ihre Mutter, die Fallermarie, und sah sie prüfend an.

      »Geht es noch«, fragte sie, »oder kommt das Kind gleich hier auf dem Acker?«

      »So weit ist es nicht«, erwiderte Walburga und griff nach den nächsten Roggenhalmen, die Martin gerade mit der Sense geschnitten hatte. In dem Moment spürte sie einen Schwall. An ihren Beinen lief das Fruchtwasser herab. Sie ließ den Roggen fallen und richtete sich auf.

      »Ich geh kurz ins Haus«, erklärte sie knapp und setzte sich in Bewegung.

      »Muss das sein?«, fragte Martin.

      Alle sahen Walburga nach, aber keiner begleitete sie, nicht einmal ihre eigene Mutter. Der Himmel ließ Regen erahnen, und Martin drängte zur Eile. Je mehr sie jetzt noch einbrachten, desto besser.

      Im Haus herrschte eine angenehme Kühle. Walburga war allein, und sie war froh drum. Sie wusste, was zu tun war, sie hatte es oft genug gemacht. Sie stieg die Treppe hoch. In der Schlafkammer angekommen, hockte sie sich vors Bett und hielt sich am Rand fest. Dann stieß sie einen lauten Schrei aus.

      Nur wenig später lag Walburga mit ihrer Tochter im Arm auf dem Bett. Ihr dreizehntes Kind hatte sie ohne Hilfe zur Welt gebracht, selbst die Nabelschnur abgetrennt. Während sie den Säugling an ihrer Brust betrachtete, hörte sie, wie die Magd unten zur Tür hineinkam und in die Küche eilte, um das Feuer erneut zu schüren. Elisabeth schimpfte mit den Zwillingen, sie sollten nicht so viel Unsinn treiben. Walburga hörte die Glocken der Kühe, Ziegen und Schafe, die von der Weide heimkehrten, und Bibianes fröhliches Lachen, während die Kinder das Vieh nach dem Tränken in den Stall trieben. Die Hofgemeinschaft machte sich bereit für die Stallarbeit, Martin gab Anweisung, wie immer knapp und herrisch. Der erwartete Regen setzte ein. Erst als das Melken erledigt war und alle wieder ins Haus kamen, hörte Walburga, wie jemand die Treppe hinaufstieg und die Tür zur Schlafkammer öffnete. Ihre Mutter schaute hinein.

      »Ja, Walburga, warum hast du denn nichts gesagt?«

      Die Fallermarie schloss die Tür und trat ans Bett ihrer Tochter. Prüfend blickte sie auf das Neugeborene.

      »Ein Mädchen«, sagte Walburga lächelnd.

      »Es sieht schlecht aus«, stellte die Fallermarie unmissverständlich fest, »ganz grau.«

      »Meinst du?«, fragte Walburga überrascht.

      Die Fallermarie nahm das Kind vorsichtig auf den Arm und betrachtete es lange. »Vielleicht sollten wir die Hebamme holen. Ich sage Martin Bescheid.«

      Mit dem Pferdewagen brachte Martin wenig später die Hebamme Theodora aus Neukirch zum Königenhof. Theodora untersuchte den Säugling und wirkte besorgt.

      »Das Kind wird es schwer haben«, meinte sie, als sie es wieder in Walburgas Arme legte. »Es kommt jetzt auf dich an. Du musst dich schonen, kräftige Kost zu dir nehmen«, Theodora machte eine Pause, bevor sie fortfuhr, »und beten.«

      Ihre jüngste Tochter war tatsächlich anders als alle Kinder, die Walburga zuvor geboren hatte. Sie war kleiner, fahler, jämmerlicher. Nicht mal die Zwillinge hatten je so schwach und kränklich gewirkt. Vielleicht gerade deshalb fühlte sich Walburga von Liebe für dieses zarte Wesen überwältigt. Bei keinem ihrer Kinder zuvor war sie nach der Geburt so von Gefühlen ergriffen gewesen. Keine Sekunde ließ sie ihren Säugling aus den Augen, der die ganze Nacht weinte. Erst am Morgen beruhigte sich das Kind, und Walburga konnte kurz schlafen. Danach stand sie auf, richtete sich her und ging mit ihrer Tochter hinunter in die Stube. Dort wurde sie von ihren anderen Kindern umringt, die neugierig ihre neue Schwester betrachteten. Die vierjährigen Zwillinge Leo und Julius streichelten ihr abwechselnd sanft über die Stirn und lachten aufgeregt.

      Am Nachmittag erschien Pfarrer Schilling auf dem Hof, um die Taufe durchzuführen. Die Hebamme hatte ihm Bescheid gesagt.

      »Nennen wir sie Jakobea«, schlug der Geistliche vor. »Das heißt ›Gott schütze‹. Und Schutz kann dieses zarte Wesen ja sicher gut gebrauchen. Was meint ihr?«

      Martin und Walburga sahen sich an. Wer wollte einem Pfarrer widersprechen? Sie waren einverstanden, zumal der Name für sie wohlklingend war. Schilling nickte und tauchte seinen Finger ins Weihwasser, von dem es stets welches im Weihwasserkesselchen neben der Stubentür gab.

      »Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes auf den Namen Jakobea Tritsch­ler. Möge Gott seine Hand über dich halten.«

      Jakobea, die zuvor leise gejammert hatte, hielt still. Der göttliche Beistand schien bald Wirkung zu zeigen. Das kleine Mädchen kam etwas zu Kräften.

      Gertrudis richtete sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. Sie spürte Wendelins Hand auf ihrem Rücken.

      »Ich muss gehen«, flüsterte sie.

      »Bleib noch ein bisschen«, versuchte Wendelin sie leise zu überreden.

      Wie so oft in letzter Zeit war Gertrudis zu später Stunde in die Knechtskammer geschlichen, in der Wendelin alleine schlief. Sie war beiden ihr sicherer Hafen. Hier waren sie unter sich, die Magd und der Knecht, die sogenannten Völcher, und mit der Zeit waren sie sich nähergekommen. Doch sie mussten vorsichtig sein. Wenn die Bauersleute das mitbekamen, waren sie bestimmt nicht angetan, das war beiden bewusst. Ganz besonders der Königenbauer schien Gertrudis als sein Eigentum zu betrachten. Sie konnte sich seiner kaum erwehren.

      »Es wird immer schlimmer. Gestern hat der Alte mir wieder unter den Rock gefasst«, vertraute Gertrudis Wendelin an, während sie ihre Bluse zuknöpfte. »Ich hasse es.«

      »Dieser Glotzbock«, grollte Wendelin wütend. »Ich wünschte, ich könnte ihm …«

      »Lass«, Gertrudis legte ihren Zeigefinger auf seinen Mund. »Ich darf einfach nicht irgendwo allein sein. Kaum ist das so, taucht er auf. Du musst darauf achten, dass du dich nicht so weit von ihm entfernst, dann kannst du mich vielleicht schützen. Manchmal glaube ich, die Bäuerin lässt mich mit Absicht Arbeit machen, bei der ich alleine bin, damit der Alte kommen kann. Die ist doch froh, wenn sie ihre Ruhe hat im Ehebett.«

      »Er soll dich in Ruhe lassen.« Wendelin zog Gertrudis zu sich heran. »Wir verschwinden von hier. Bald. Ich versprech’s dir.«

      »Dir tut er ja nichts.« Missmutig stand Gertrudis auf. »Ich gehe jetzt. Schlaf gut.«

      »Du auch.«

      Ein letzter Kuss und Gertrudis machte sich auf in die Gangkammer, in der sie mit den drei jüngsten Tritsch­ler-Kindern schlief. Dazu musste sie leise die Tür von Wendelins Schlafkammer auf- und zumachen, durch den Hausgang huschen, an der bäuerlichen Schlafkammer vorbei, um die Tür zum Außengang genauso leise zu öffnen und wieder zu schließen. Gertrudis wusste ganz genau, wie weit sie die Türen in welcher Geschwindigkeit öffnen musste, damit sie nicht knarrten. Barfuß lief sie in der Dunkelheit über den Holzboden. Es war erstaunlich, wie behände und lautlos sie in der Schwärze der Nacht ihren Weg fand. Sie trat auf den Außengang und zog sachte die Tür hinter sich zu.

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