Verschwundene Reiche. Norman Davies
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Das (zweite) Königreich der Burgunder fand sein Ende nach dem Sieg der Franken in den scheinbar endlosen Fränkisch-Burgundischen Kriegen in den ersten Jahrzehnten des 6. Jahrhunderts. Dass Clothilda, die burgundische Ehefrau von Chlodwig (Chlodwig starb 511), in diesen Kriegen eine wichtige Rolle spielte, wurde ihrer langjährigen Unterstützung für das Christentum zugeschrieben, aber auch ihrem politischen Engagement für ihre Söhne in deren Fehde mit ihren burgundischen Verwandten. Das Königreich wurde von den Franken angegriffen, zunächst aus dem Norden und dann, nach ihrem Sieg über die Westgoten bei Vouillé, auch aus dem Westen. Im Jahr 532 oder 534 wurde Gundimar von ihnen gefangen genommen, geächtet, verurteilt und hingerichtet, und sein Erbanspruch fiel an die Franken.
Mehr als drei Jahrhunderte unterstand das ehemalige burgundische Reich nun der fränkischen Oberherrschaft; in dieser Zeit verschwand der ursprüngliche Unterschied zwischen Franken und Burgundern und die fränkisch-burgundischen Oberherren vermischten sich mit der Kultur und der Gesellschaft der früheren gallo-romanischen Bevölkerung. Zwei Dynastien brachten die Nachkommen von Chlodwig und Chlothilda hervor. Die Merowinger, die bis 751 herrschten, führten ihre Herkunft auf Merewig oder Merovée zurück, den Großvater von Chlodwig, und trugen ihre Haare lang als Zeichen ihres königlichen Status. Die Karolinger, die von 751 bis 987 regierten, wurden als »Hausmeier« (Vorsteher der Palastverwaltung) am Merowingerhof in Jovis Villa an der Maas bekannt und stammten von dem berühmten Krieger Karl Martell ab. Ihr berühmtester Sohn war Karl der Große (reg. 768–814), dessen Reich sich von der Spanischen Mark bis nach Sachsen erstreckte und der sich vom Papst zum Kaiser krönen ließ.
In diesen Jahrhunderten vollzogen sich auch grundlegende sprachliche Veränderungen. Zu Zeiten von Chlodwig und Gundobad waren die alte fränkische und die skandisch-burgundische Sprache neben dem Latein der Gallo-Römer gesprochen worden. In der Zeit von Karl dem Großen wurden diese Sprachen durch mehrere neue Idiome ersetzt, die zur allgemeinen Kategorie des Francien oder »Altfranzösisch« gehören. Fränkisch überlebte nur in den Niederlanden als Vorläufer des Niederländischen und des Flämischen. Latein hielt sich in stilisierter Form als Kirchensprache und als Schriftmedium. Das Burgundische ging vollkommen unter. Die zahlreichen Varianten des Altfranzösischen werden gewöhnlich in zwei Gruppen unterteilt – die langues d’oïl und die langues d’oc, deren Namen sich aus der in diesen Sprachen üblichen Bezeichnung für »ja« ableiten. In ersteren ist aus dem lateinischen hoc illud im Laufe der Zeit oïl und daraus das moderne »oui« entstanden; in den langues d’oc, die auch als Okzitanische Sprache bezeichnet werden, entwickelte sich aus hoc das Wort oc für »ja«. Die Trennlinie zwischen oïl und oc verlief mitten durch das frühere burgundische Gebiet und ist auch heute noch auf der Sprachenkarte sichtbar.40
Innerhalb des fränkischen Herrschaftsbereichs gab es immer eine territoriale Einheit, die als »Burgund« bezeichnet wurde. Viele Merowinger stilisierten sich als Könige von »Francia et Burgundia« oder von »Neustrien et Burgundia«. (Neustrien war der frühmittelalterliche Name für die Region um Paris.) Ende des 6. Jahrhunderts errichtete einer der Enkel von Chlodwig und Clothilda, Guntram (reg. 561–592), ein eigenständiges Regnum Burgundiae, das eineinhalb Jahrhunderte Bestand hatte, bis es von Karl Martell unterworfen und seinem Reich einverleibt wurde. Dieses geheimnisvolle Fürstentum erscheint als Nr. II auf der Liste von Bryce, wenngleich man es besser als das »dritte Burgunderreich« bezeichnen müsste. Wahrscheinlich weil es nicht vollständig souverän war, wurde seine Existenz häufig ignoriert. Doch die beiden vorhergegangenen burgundischen Reiche waren auf ähnliche Weise Oberherren unterworfen gewesen.
Guntram (Guntramnus) ist eine interessante Figur, nicht weil er später heilig gesprochen wurde, sondern auch weil seine Armeen bis nach Britannien und Septimanien im Südwesten des Frankenreiches zogen. Als »König von Orléans« übte er eine Zeit lang sogar die Herrschaft über Paris aus. Er war ein Zeitgenosse des Bischofs und Chronisten Gregor von Tours, der sorgfältig die Entwicklungen während seiner Regentschaft aufzeichnete, die durch eine nicht enden wollende Abfolge von Kriegen, von dynastischen Streitereien, Morden, Intrigen und Verrat geprägt war. Guntrams Frauenbeziehungen waren ähnlich vielfältig wie seine militärischen Feldzüge:
Der ehrenwerte König Guntram nahm sicli zuerst eine Konkubine namens Venerande, eine Sklavin, die zu seinem Volk gehörte, mit welcher er einen Sohn namens Gundobad hatte. Später heiratete er Marcatrude, die Tochter von Magnar, und schickte seinen Sohn Gundobad nach Orléans. Doch als auch sie einen Sohn gebar, wurde Marcatrude eifersüchtig, so hieß es … und vergiftete [Gundobads] Trunk. Dadurch zog sie, nach dem Willen Gottes, den Zorn des Königs auf sich und wurde von diesem verstoßen. Daraufhin nahm er Austregild, die auch Bobilla genannt wurde, zur Frau. Sie schenkte ihm zwei Söhne, von denen der ältere Clothar und der jüngere Chlodomer genannt wurden.41
An einer Stelle unterbricht Gregor von Tours seine Schilderung und schiebt eine Beschreibung von Divio (Dijon) ein, das eine besondere Rolle in der burgundischen Geschichte spielt. Davor hatte er von Gregorius gesprochen, dem Bischof von Langres:
[Divio], wo Bischof [Gregorius] tätig war … ist eine Festung mit sehr robusten Mauern, mitten in einer Ebene errichtet, ein sehr schöner Ort, mit reichem und fruchtbarem Land, sodass … zur entsprechenden Jahreszeit eine Fülle von Erzeugnissen dort angeliefert wird. Im Süden fließt ein Fluss … der sehr fischreich ist, und aus dem Norden kommt ein weiterer kleiner Strom, der … unter einer Brücke hindurch … um den gesamten befestigten Ort herumfließt … und die Mühlen vor dem Tore mit bewundernswerter Geschwindigkeit antreibt … Die vier Tore weisen nach den vier Himmelsrichtungen, und 33 Türme schmücken die Mauer, die 30 Fuß hoch ist und 15 Fuß dick … Im Westen liegen Hügel, sehr fruchtbar und voller Weingärten, in denen ein solch edler Falerner erzeugt wird, dass [die Bewohner] den Wein von Ascalon verschmähen. Die Alten sagen, dass dieser Ort von Kaiser Aurelian gegründet wurde.42
Trotz dieser opulenten Umgebung verbrachte Guntram, wenn man Gregor Glauben schenken darf, seine letzten Lebensjahre mit Fasten, Beten und Weinen. Seine Hauptstadt war Cabillo (Chalons-sur-Saône), wo er in der Kirche St. Marcellus beigesetzt wurde. Durch spontane Akklamation seiner Untertanen wurde er zum Heiligen erklärt, und später wurde er zum Schutzpatron reuiger Mörder.
Ein Korrektiv zu den bisweilen als übertrieben frankenfreundlich eingestuften Darstellungen von Gregor bilden die Schriften von Marius d’Avenches (532–596), des Bischofs von Lausanne (des späteren St. Marius Aventicensis), der gleichermaßen für seine Frömmigkeit und seine Gelehrsamkeit bekannt war. Er war ein Beschützer der Armen und soll eigenhändig seine Äcker bestellt haben; als Gelehrter setzte er die Arbeit von St. Prosper von Aquitanien fort und erweiterte Prospers Weltchronik bis ins Jahr 581.43 Der bedeutendste Geistliche der Zeit war vermutlich St. Caesarius von Arles (gest. 542), ein wortmächtiger Prediger und Theologe. Geboren in Cabillo, studierte er in Lerinum und wirkte fast 40 Jahre als Primas von Gallien.44 Der irische Missionar St. Kolumban (um 540–615) schließlich dürfte ebenfalls zu Guntrams Lebzeiten in die Region gekommen sein. Er lebte zeitweise als Gast am burgundischen Hof und eine Weile als Eremit in den Vogesen.45
Auf dem Höhepunkt seiner Macht, um 587, beherrschte Guntrams Regnum Burgundiae den größten Teil von Gallien, einschließlich Bordeaux, Rennes und Paris, ebenso wie das frühere Burgund von Gundobad. Doch das Reich erwies sich als zu groß und als überdehnt und lud daher seine Nachbarn zu Plünderungszügen ein. Guntrams kriegerische Nachfolger vollzogen mehrere komplizierte Thron- und