Unterwegs geboren. Christa Enchelmaier

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Unterwegs geboren - Christa Enchelmaier

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Weben entschieden. Alle drei waren sehr geschickt und stolz auf ihre selbst gefertigte Kleidung. Anna trug sich mit dem Gedanken, in dem vorderen Zimmer eine Nähstube zu eröffnen. Die Nähmaschine stand ja schon dort vor dem Fenster.

      Sicher hätte sie ihre Fertigkeit im Nähen noch ausbauen können. Das waren jetzt alles Träume und Wünsche, die sie, wie so vieles, auch in Gnadental zurücklassen musste. ›Kleider werden immer gebraucht, bestimmt auch in Deutschland‹, tröstete sie sich.

      Dann hörte Anna draußen Stimmen. Ihr Schwiegervater Friedrich war in den Hof gekommen, um Robert zu holen. Er brauchte dringend Hilfe für die Erntearbeiten. Bis vor Kurzem war er noch Dorfschulz. Dann wurde er abgesetzt und unterstand jetzt dem eingesetzten Dorfsowjet. Im Kirchengemeinderat war er seit langer Zeit tätig. Er war groß und kräftig, aber nicht dick, war eine Respektsperson, auf die man hörte.

      Als sein Vater starb, war Großvater Friedrich 13 und sein jüngster Bruder erst 11 Jahre alt. Er hatte insgesamt fünf Schwestern und drei Brüder. Seine Mutter musste sich mit neun Kindern alleine durchschlagen. Die Landwirtschaft, die er zurückließ, reichte nicht für alle. So mussten die Jungen einen Beruf erlernen.

      Großvater Friedrich ging bei einem Schuster in die Lehre und verdiente sich so einen bescheidenen Lebensunterhalt. Als er zu einem stattlichen jungen Mann herangewachsen war, verliebte er sich in ein reiches Bauernmädchen. Aus ihnen wurde allerdings nichts, weil er zu arm war. Auch in Bessarabien galt die Parole: ›Liebe vergeht, Hektar besteht!‹

      Im Jahr 1908 entschloss sich sein zwei Jahre jüngerer Bruder, nach Amerika auszuwandern. Diese Möglichkeit sah Friedrich auch für sich als einen Ausweg aus der Armut an. Seinem besten Freund Albrecht machte er den Vorschlag, gemeinsam auszuwandern. Albrecht hatte sich auch schon Gedanken über solch einen Schritt gemacht. Viele junge Männer gingen damals über den ›großen Teich‹, um dem gefürchteten russischen Militärdienst zu entkommen – damals gehörte Bessarabien schließlich noch zu Russland. Doch Albrecht bekam Angst vor seiner eigenen Courage und so blieben sie.

      Drei Jahre später heiratete Friedrich Christine Dorsch, die Tochter des begüterten Georg Dorsch. Zur Hochzeit erhielten sie eine stattliche Hofstelle, und Friedrich betrieb neben der Landwirtschaft noch eine Schusterwerkstatt, in der er dann auch Lehrlinge ausbildete.

      Robert war das erste Kind, das Christine ihm schenkte. Sie gebar noch drei Kinder, doch zwei starben schon recht früh. Aber ihr letztes Kind, Traugott, überlebte.

      Christine war erst 45 Jahre alt, als sie starb. Am Morgen war ihr schwindelig. Trotzdem bereitete sie noch das Essen für die Ausfahrt auf die einige Kilometer entfernten Felder zu. Dann legte sie sich ins Bett und verlor das Bewusstsein. Friedrich ließ einen Arzt aus dem sieben Kilometer entfernten Sarata kommen. Doch der konnte ihr nicht helfen. In seiner Not wandte er sich an den Arzt aus dem Nachbarort Lichtental, aber auch der wusste keinen Rat. Sie ist dann abends ruhig eingeschlafen, noch bevor ihr siebzehnjähriger Sohn wieder von den Ländereien der weiter entfernten Steppe heimgekehrt war. Schwer hatte es auch der dreijährige Traugott. Keiner in der Familie hatte mit so einem schnellen und frühen Tod gerechnet.

      Täglich bekamen die deutschen Bauern mit, was ihnen bevorstand, wenn sie bleiben würden. Es gab ständig neue Verordnungen und Vorschriften des Dorfsowjets, wann, was, und wie viel jede Wirtschaft abzuliefern habe und wie dies genau getan werden müsse. Viele der russischen Besatzer hatten kein Verständnis für den notwenigen Ablauf der Erntearbeiten. Sie waren misstrauisch und schikanierten häufig. Sie achteten streng da­rauf, dass alle Abgaben pünktlich geliefert wurden und drohten mit Abschiebung nach Sibirien, wenn es nicht so ablief, wie sie es wollten.

      Anna hatte von Robert gehört, dass die Deutsche Umsiedlungs-Treuhandgesellschaft eine Vermögensentschädigung versprochen hatte. Umsiedlungs-Treuhandgesell­schaft, Vermögensentschädigung – was für Worte! Das bedeutete, dass jede Familie ihr Vermögen auflisten musste. Es war eine schwierige und ungewohnte, aber notwendige Arbeit, Haus, Nebengebäude, Stallungen, Hausrat, Geräte und Tiere zu bewerten.

      Robert hatte von seinem Vater erfahren, dass zu diesem Zweck örtliche Ausschüsse gebildet wurden, in denen auch Russen vertreten waren. Deren Aufgabe bestand darin, diese Aktion zu überwachen.

      Sie waren ja die Herren des Landes und glaubten immer noch, es würde ein gewisser Prozentsatz der Deutschen zurückbleiben, die sie dann zur Ansiedlung nach Sibirien schicken konnten. Russland schätzte die Kolonis­ten sehr wegen ihres Fleißes und der Vorbildfunktion für andere Nationen. Die Deutschen lebten in der Mehrzahl in den von ihnen gegründeten Dörfern und Städten. Andere Nationen wie z.B. die Rumänen, Ukrainer, Bulgaren oder Moldowaner hatten auch ihre eigenen Dörfer. Es herrschte ein gutes Miteinander und jeder akzeptierte die Eigenheiten der anderen. Viele der nichtdeutschen Einwohner fanden Brot und Arbeit in den deutschen Dörfern. Als nun die Russen feststellten, dass sich alle in die Umsiedlerlisten aufnehmen ließen, konnten sie ihren Ärger nur schwer verbergen und erschwerten auf vielerlei Art die Arbeit der Kommission. Vor allem gab es heftige Auseinandersetzungen wegen der Höhe des Wertes der deutschen Höfe, weil die russischen Vertreter den Wert als sehr gering einstuften. Dieser ermittelte Wert war dann die Grundlage für die von der UdSSR zu zahlende Entschädigung an das Deutsche Reich. Das zu jedem Hof gehörende Land war nun russisches Eigentum und spielte bei der Aufstellung keine Rolle.

      Diese Auseinandersetzungen waren äußerst ärgerlich und sprachen sich in Windeseile im Ort herum. Manche verkauften Sachen aus Haus und Hof. Käufer aus den umliegenden Russen- und Bulgarendörfern waren genug da. Auch wurde vor der Abreise noch viel an Bekannte aus anderen Dörfern verschenkt. Erwischen lassen durften sie sich allerdings nicht, denn dann hätte es empfindliche Strafen gegeben.

      Die besten Pferde, das beste Geschirr, stabile Wagen, Laternen und Reserveräder, verstärkte Zugleinen und Werkzeuge wurden für die Reise bestimmt. Als Schutz vor Kälte und Regen wurde in hohem Bogen ein breitgewölbtes Dach aus bunten, selbstgewebten Planen oder fest gebundenem Stroh hergestellt.

      Welche Dinge, die sie daheim so selbstverständlich zum Leben und Arbeiten besaßen, würden sie in ihrer neuen Heimat brauchen? Sie wussten ja nicht, wohin sie kommen und was sie vorfinden würden. Sie vermuteten, dass es ein vom Krieg verwüstetes Stück Land sein würde. Genaueres wusste man aber nicht. Nur bei einem waren sie sich sicher; dass die sowjetischen Bevollmächtigten sie bei der Ausreise scharf kontrollieren würden. Es durften keine Bücher oder Gegenstände aus Edelmetall und nur geringe Geldbeträge mitgenommen werden.

      Anna und die anderen Frauen nähten nun ihre Eheringe und sonstigen Goldschmuck in Mantelsäume oder Rockaufschläge ein – das Gold sollte ihr und auch Robert später auf ihrem beschwerlichen Weg noch das Leben retten.

      Lydia war gekommen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Sie war erst seit kurzer Zeit wieder in Bessarabien. In Stuttgart hatte sie eine Ausbildung als Kinderkrankenschwester beendet. Als der Krieg ausbrach, musste sie Deutschland verlassen. Deswegen war sie wieder nach Gnadental zurückgekehrt. Sie beruhigte und tröstete ihre jüngere Schwester und meinte, dass der Geburtstermin Anfang Oktober sei. Sie erzählte Anna, dass sie vom Umsiedlungsstab für die Kranken- und Geburtsstation im Umsiedlungslager Böhmisch-Leipa eingesetzt worden war. Das sei die Zwischenstation im Sudetenland, wohin alle Gnadentaler gebracht werden sollten, berichtete sie. Von dort aus sollten sie im Warthegau angesiedelt werden.

      Das beruhigte Anna und sie war froh, die Schwester an ihrer Seite zu wissen.

      »Sind wir Anfang Oktober schon in Deutschland?«, fragte sie noch.

      »Das weiß ich nicht«, antwortete Lydia. Sie half ihr bei der Auswahl der Babysachen, die sie mitnehmen sollte und gab ihr noch manchen guten Ratschlag.

      Die sechsjährige Wally, Roberts kleine Halbschwester, wohnte im Nachbarhaus

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