Unterwegs geboren. Christa Enchelmaier
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Die 11-jährige Alma O. konnte gar nicht verstehen, weshalb die Erwachsenen weinen. Sie durften jetzt mit dem Omnibus fahren! Das war doch etwas Besonderes! Außerdem freute sie sich darüber, dass sie nicht den schrecklichen Staubmantel anziehen musste, der sonst üblich war, wenn sie mit dem Pferdefuhrwerk über Land fuhren.
Er war ein Schutz gegen die große, aufgewirbelte Staubwolke, in die sie meistens eingehüllt waren. Nur von diesen Fahrten waren sie immer wieder heimgekehrt. Alma verstand nicht, warum es diesmal nicht so sein sollte. Nicht mehr zurückzukommen, überstieg ihre Vorstellungskraft.
Bauern aus dem Dorf kamen mit Fuhren voll Stroh, welches sie auf den Straßen ausstreuten, damit die schweren Wagen nicht ins Gleiten kamen. Das war auch notwendig, denn der Regen machte die nicht ausgebauten Straßen in kurzer Zeit unbefahrbar. Schlimm waren die vielen Löcher und die Querrinnen, schlimm vor allem, weil kein fester Untergrund vorhanden war. Es ging langsam vorwärts, aber es ging, und der Regen hörte zum Glück bald auf. Mittags wurde eine Rast eingelegt.
Eigentlich sollte die Kolonne schon gegen 14.00 Uhr in Kilia sein. Aber die Straßenverhältnisse und das Wetter hielten so lange auf, dass es Abend wurde. Der Transportbegleiter der Kolonne war mit seinem Personenwagen mal am Anfang, mal am Ende des Zuges. Er half, wo er konnte.
Vor der Hafenstadt Kilia waren die Schwierigkeiten fast unüberwindlich geworden. Tiefer Morast und Löcher in der großen Lößgrube mussten durchfahren werden. Gegen 19 Uhr fuhren die Aussiedler geschlossen in den Hafen von Kilia, bestaunt von den Bewohnern der Stadt und von den sowjetischen Soldaten.
Das Schiff war schon mittags angekommen. Schwestern des Roten Kreuzes und der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) warteten auf die Reisenden. Für die kleinen Kinder wurde Milch für die Flaschen verteilt. Die Großen bekamen Tee und verpflegten sich von ihren mitgebrachten Vorräten.
Anna wurde nach dieser anstrengenden und holprigen Fahrt ganz besonders umsichtig betreut, weil sie hochschwanger war. Auch die Mutter von Alma O. betreuten die Schwestern sehr fürsorglich. Dass auch sie schwanger war, wusste sie damals noch nicht, aber ihr war die Sonderbehandlung aufgefallen.
Ansonsten mussten alle in den Bussen warten und dann wagenweise aussteigen, um mit ihrem Gepäck durch die sowjetische Zollkontrolle zu gehen. Das nahm viel Zeit in Anspruch. Die Busse warteten lange in der dunklen Nacht. Diejenigen, die abgefertigt waren, bestiegen die Schiffe, wo ein Imbiss auf sie wartete. Die Kinder und die älteren Leute konnten sich gleich schlafen legen, denn der aufreibendste Teil ihrer Reise lag hinter ihnen. Viele auf den Schiffen blieben wach und schauten zu dem Land hinüber, das bislang ihre Heimat gewesen war.
Die Männer sollten 14 Tage später mit dem Fuhrwerk nach Galatz an der Donau folgen. Dort mussten sie Pferd und Wagen abliefern. Ihr Gepäck wurde mit der Bahn weitertransportiert und sie selbst sollten mit einem bereitgestellten Schiff fahren, das sie ebenfalls ins Zwischenlager nach Prachowo brachte.
ZWISCHENLAGER PRACHOWO
Von Kilia aus sollte die Fahrt die Donau aufwärts in den bulgarisch-jugoslawischen Grenzhafen Prachowo gehen. Dort war von der Umsiedlungskommission eine Zeltstadt aufgebaut worden. Es war das kleinere Lager und befand sich noch vor dem ›Eisernen Tor‹, dieser gefährlichen engen Schiffspassage.
Überall flatterten Deutschlandfahnen, am Aufgang hing ein Plakat mit der Aufschrift: ›Großdeutschland grüßt Euch!‹
Nun ging die Reise mit einem weißen Donauschiff weiter in Richtung Deutschland. Auf diesem großen Dampfer zu fahren, war ein völlig neues Erlebnis für viele.
Da es schon spät am Abend war, bis alle eingestiegen waren, suchten sich die meisten gleich einen Schlafplatz. Ein sehr anstrengender Tag lag hinter ihnen und die Müdigkeit überwältigte die Umsiedler. Jede Ecke auf dem Schiff war als Liegestätte oder Nachtlager vorbereitet und mit Matratzen und Strohsäcken ausgelegt. Auch hier wurden die schwangeren Frauen bevorzugt behandelt und erhielten einen guten Platz. Viele dachten sicher an ihre warmen und weichen Betten. Die kleinen Kinder quengelten und konnten nicht verstehen, warum sie nicht nach Hause in ihre vertrauten Zimmer durften, während die älteren Kinder voller Entdeckungslust das Schiff erkundeten.
Am nächsten Tag gab es auf dieser Strecke viel Neues zu sehen. Hin und wieder legten die Schiffe an und es dauerte lange, bis sie wieder weiterfuhren. Die Familien saßen zusammen. Einige Frauen hatten extra für die lange Reise eine süße Moccacreme zubereitet und in Dosen gefüllt, die sie nun mit heißem Wasser verdünnt tranken.
Ein herrlicher Kaffeeduft breitete sich aus. Fast so wie zu Hause, ist Alma O. in Erinnerung geblieben.
Interessiert betrachteten alle die vorbeiziehende Landschaft. So einen breiten Fluss mit den vielen großen Fischen hatten die wenigsten bislang gesehen. Die meisten hingen ihren Gedanken nach und dachten an ihr entferntes Zuhause.
Viele Donauschwaben waren einst auf den legendären ›Ulmer Schachteln‹ die Donau abwärts in diese damals noch unbekannte Welt ausgewandert. Hatten gelitten und gestritten, viele Tränen vergossen und sich aufgeopfert für eine bessere Zukunft. Es bestanden enge verwandtschaftliche Verknüpfungen zwischen der Zarenfamilie in Russland und dem Haus Württemberg in Stuttgart. In Deutschland herrschte damals eine große Hungersnot. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen ihres Fleißes und der großen Zuverlässigkeit suchte der Zar dann in Deutschland, vor allem in Süddeutschland, Kolonisten. Sein Onkel, König Friedrich aus Württemberg (1754–1816), hatte notgedrungen die Erlaubnis zur Anwerbung gegeben. Es wurden viele Werber ausgeschickt, um tüchtige Bauern und Handwerker anzuwerben. Sie sollten im dünn besiedelten Bessarabien heimisch werden.
Und nun, nach fünf Generationen, ging es wieder zurück nach Deutschland! Sie mussten Hab und Gut einfach zurücklassen und wegziehen. Es war nicht zu fassen! Je weiter sie sich entfernten, umso mehr schmerzte sie der Verlust.
Die Verwandten saßen zusammen, viel sprachen sie nicht.
Anna ging es nicht gut. Sie war von der holprigen Fahrt nach Kilia gestresst und litt auf dem schwankenden Schiff. Ihre Mutter und die Geschwister trösteten und umsorgten sie. »Vertraue auf Gott, er wird es richten!«
Annas Mutter, Lydia Hermann, geb. Bantel, hatte in Gnadental oft Fremde bewirtet, wenn sie durch den Ort fuhren und einkehren wollten. Gaststätten gab es ja in den Dörfern nicht. Im weiteren Umkreis war dann schnell bekannt geworden, dass es bei Hermanns immer etwas zu essen und zu trinken gab. Wer würde jetzt die Fremden und Durchreisenden bewirten? An den guten Wein im Keller dachte sie, an die vielen Vorräte, die sie nicht mitnehmen konnte. Und die 22 Kühe im Stall – wer würde sie melken?
So hingen alle ihren Gedanken nach und wären nach dieser anstrengenden Nacht allzu gerne wieder zurück in ihre Häuser gefahren.
Als dann eine halbe Stunde vor Ankunft des Schiffes im stillen Lager die Alarmglocke ertönte, wurde es überall schnell lebendig. Die Männer vom Arbeitsdienst, die Sanitäter mit Krankenwagen, die Pfleger und Helferinnen vom Roten Kreuz waren da. Schwabenmädchen aus dem Banat zogen singend mit der Lagerkapelle zum Landeplatz. Dichtgedrängt standen die Frauen, Kinder, Halbwüchsige und Alte an Bord der großen weißen Schiffe, die rauschend näher kamen. Im Licht der Scheinwerfer schauten sie ihnen entgegen; es war ein ergreifender Augenblick.