WattenAngst. Andreas Schmidt
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2. AKT
Hockensbüll, 00.40 Uhr
Es war eine ungewöhnlich milde Nacht. Der seichte Wind trug das entfernte Blöken einer Schafsherde auf dem nahen Deich an seine Ohren. Als er innehielt und durchatmete, vernahm er das Quaken der Kröten neben sich im Graben. Irgendwo in den Salzwiesen gluckste es. Es war, als würde der natürliche Übergang zwischen Meer und dem Festland leben.
Seine Sinne waren geschärft, die Nerven zum Zerreißen angespannt. Kurz hielt er inne, um sich zu sammeln. Nachdem er tief durchgeatmet und die Gedanken geordnet hatte, richtete er den Blick entschlossen nach vorn. Die Lastkräne und Speichergebäude des Husumer Außenhafens zeichneten sich als schwarze Silhouette vom Tiefblau des fast wolkenlosen Nachthimmels ab. Nach den ersten Schritten knirschte es hinter ihm. Ruckartig verharrte er in der Bewegung, lauschte, dann wirbelte er auf dem Absatz seiner leichten Schuhe herum. Niemand hielt sich in seiner Nähe auf. Trotzdem wurde er das dumpfe Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.
Mit einer gleitenden Bewegung duckte er sich in den Schatten eines Forsythienstrauchs und wartete regungslos ab. Während die Sekunden zäh dahinrannen, beobachtete er die rot blinkenden Lichter der markanten Hafenbauten, die wie Irrlichter durch die Nacht zu geistern schienen. Das rhythmische Aufblitzen hatte etwas von den Leuchtfeuern moderner Leuchttürme.
Nachdem er sich vergewissert hatte, unbeobachtet zu sein, wagte er sich aus seinem Versteck.
Ein Blick auf das beleuchtete Ziffernblatt seiner Armbanduhr. Bis zwei Uhr musste er es hinter sich gebracht haben. Sein Herz schlug schneller, als er an sein Vorhaben dachte. Es würde klappen. Nichts würde schiefgehen, er hatte jeden Schritt penibel durchgeplant, hatte sich einen Plan ausgearbeitet und das nötige Equipment zusammengestellt.
Oft genug war er tagsüber hier gewesen, hatte die Gegend mit dem Fahrrad erkundet, sich sogar den Hund einer Nachbarin geliehen, um mit dem Retriever hier entlangspazieren zu können, ohne den Anwohnern aufzufallen.
Wochenlang hatte er das Haus observiert. Tag und Nacht. Jetzt war er bereit für den finalen Schritt. Mühsam bekämpfte er die aufkommende Nervosität.
Alles gut, beruhigte er sich. Linkerhand lagen jetzt die Häuser. Prächtige, mit Reet gedeckte Anwesen. Nichts für arme Schlucker. Wer hier wohnte, hatte keine finanziellen Probleme.
Um diese Uhrzeit brannte in den Fenstern längst kein Licht mehr. Ohne Eile setzte er seinen Weg fort. Ja, dachte er, alles wird gut. Ich habe alles gut vorbereitet, jeden Schritt durchdacht. Was kann schon schiefgehen?
Er schob die rechte Hand in die Tasche seiner dunklen Softshell-Jacke und spürte das kalte Metall der Pistole, die ihm ein Freund besorgt hatte. Freund war übertrieben.
Iwan war Russe und konnte alles beschaffen. Er war das lebende Darknet der Dinge, das behauptete er immer von sich selbst. Iwan arbeitete für die Russenmafia, er war eiskalt und skrupellos, doch er war ein wahres Organisationstalent.
Er wusste nicht einmal, ob Iwan sein richtiger Name war – oder nur Tarnung. Ihm war es egal, wie der Russe seinen Lebensunterhalt verdiente. Iwan hatte ihm die Knarre besorgt. Schnell und ohne lästige Fragen zu stellen. Für seine Leistungen hatte er den Russen fürstlich belohnt.
Er schulde Iwan jetzt einen Gefallen, das hatte der Russe gesagt, als er ihm die Waffe in die Hand gedrückt hatte.
Alles zu seiner Zeit.
Jetzt hatte er erst einmal seine Mission vor der Brust. Fester umschloss er den Griff der Waffe. Sie gab ihm Sicherheit, sorgte aber auch dafür, dass sich sein Puls beschleunigte.
Schnell machte er, dass er weiterkam. Das Rascheln seiner Kleidung bei jedem Schritt erschien ihm in der Stille der Nacht überlaut. Nach wenigen Metern erreichte er sein Ziel. Die Villa befand sich auf einem großzügig angelegten Grundstück hinter einer Hecke und einem strahlend weißen Holzzaun. Das mannshohe Tor war so angelegt, dass es ungebetene Gäste fernhalten konnte. Er würde es nicht erklimmen müssen, um an sein Ziel zu gelangen. Wieder hielt er inne, um sich davon zu überzeugen, dass er alleine hier draußen war. Währenddessen blickte er sich weiter um. Seitlich vom Holztor gab es ein vergoldetes Paneel mit Klingel und der Gegensprechanlage, daneben die integrierte Kamera der Videoüberwachung. Erwartungsgemäß hatte sich seit seinem letzten Besuch am Nachmittag nichts verändert. Vor einigen Tagen hatte er die Sicherheitstechnik des Anwesens analysiert, sich die Funktionsweise eingeprägt, im Internet recherchiert, um zu wissen, um welche Art von Überwachungsanlage es sich hier handelte. Alles war gut geplant, seine Vorbereitungen grenzten an Perfektion.
Natürlich wusste er, aus welchem Winkel er sich der Kamera nähern konnte, ohne vom Weitwinkel des Objektivs erfasst zu werden.
Auch hier hatte ihm der Russe geholfen. Iwan hatte ihm den kleinen Zauberkasten besorgt, den er jetzt aus der Tasche zog und in der Hand hielt. Das Gerät hatte die Größe einer Zigarettenschachtel, war aber wesentlich flacher und leichter. Anstelle der Horrorbilder auf den Zigarettenpackungen befand sich an der Oberfläche ein kleines Display, darunter einige winzige Tasten. Eine kleine grüne Leuchtdiode zeigte an, dass das Gerät einsatzbereit war. Seine Finger zitterten leicht, als er eine Tastenkombination eingab und den Anweisungen auf dem Display folgte. Im nächsten Moment erlosch über der Überwachungskamera ein kleines Kontrolllicht. Die Kamera war offline. Ein leises Klicken war zu hören und das elektronische Schloss des Holztores war deaktiviert.
Ein zufriedenes Grinsen schlich sich in sein markantes Gesicht.
Mit einem schnellen Griff in die Hosentasche zog er einen kleinen Stoffbeutel hervor, den er über die Glaskuppel der Kamera stülpte. Mit dem Gummi eines Einmachglases fixierte er den Beutel am Rand der Kuppel, dann trat er einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk mit zufriedenem Blick. Mit dem Gerät hatte er die Frequenz der Überwachungskamera ermittelt – und das Funksignal der kabellosen Kamera unterbrochen. Jetzt konnte er sich unsichtbar wie ein Phantom auf dem Grundstück bewegen. Sollte die Elektronik ihn wider Erwarten im Stich lassen, gab es immer noch den Stoff, der die Linse verhüllte.
Gute Vorbereitung ist eben alles, dachte er, während er tief Luft holte und sich auf den eigentlichen Anlass seines Besuches besann. Sein Blick schweifte über das weitläufige Grundstück. Der Landrover stand vor der großen Doppelgarage. Erwartungsgemäß war der Hausherr anwesend. Gut so.
Wachsam blickte er zum Haus mit den riesigen Fensterflächen. Niemals würde er in einem solchen Glaskasten wohnen wollen, da könnte er noch so reich sein. Die cremefarbenen Vorhänge waren zugezogen, nur einen Spalt von einem guten halben Meter klafften die Vorhänge auseinander. Das reichte ihm. Drinnen brannte Licht.
Seine Augen waren gut. Er sah, dass sich trotz später Stunde hinter den Vorhängen noch etwas rührte. Zwei Schatten bewegten sich im Wohnzimmer.
Zwei?, fragte er sich verunsichert. Warum ist er nicht alleine?
Seine Frau befand sich doch in Hamburg. Jedenfalls hatte er das so ausgekundschaftet. Warum also war seine Zielperson nicht alleine? Die neue Situation behagte ihm nicht. Sekundenlang war er versucht, die Aktion abzublasen. Die Gedanken rauschten durch seinen Kopf. Was hatte das da oben zu bedeuten?
War sie etwa bei ihm?
Sein Herz klopfte wie wild, als er daran dachte, dass sie bei ihm war, als er an das dachte, was sie getan hatten. Er war versucht, die Aktion abzubrechen, duckte sich in den Schatten der Hecke