WattenAngst. Andreas Schmidt
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Sein Körper versteifte sich, als er den Atem anhielt und in die Stille lauschte. Besorgt streifte sein Blick ihren Körper. Doch sie schlief tief und fest.
Wieder riss ihn ein Geräusch aus seinen Beobachtungen. Es kam von unten, war schwer einzuordnen.
Jemand war im Haus.
Die Härchen auf den Unterarmen richteten sich auf. Er musste nach dem Rechten sehen, musste sie beschützen. Hastig stemmte er seinen Oberkörper in die Höhe. Seine Hände zitterten, als er die leichte Decke zur Seite schlug und sich auf die Bettkante setzte. Eilig erhob er sich, um mit der rechten Hand nach den Boxershorts zu fischen, die neben dem Bett lagen. Das leise Quietschen des Bettgestells klang überlaut. Er hoffte, dass sie nicht doch noch aufwachte. Jetzt verfluchte er den Umstand, dass sich die schwere Taschenlampe im Wagen befand. Schon zigmal hatte er sich vorgenommen, sie mit ins Haus zu nehmen, um sie für den Notfall auf dem Nachtschrank zu deponieren. Er hielt den Atem an und hörte das Blut in seinen Ohren rauschen.
Sie hatte einen festen Schlaf und nicht mitbekommen, dass er aufgestanden war und eilig in die dunkelblau karierten Boxershorts schlüpfte.
Gut so.
Ein wenig entspannten sich seine Gesichtszüge. Barfuß durchquerte er das Schlafzimmer, blieb an der Tür ein letztes Mal stehen, um nach ihr zu schauen. Sie schlief.
Im Zeitlupentempo drückte er die Türklinke nieder, öffnete die Schlafzimmertür einen Spalt und steckte den Kopf hinaus, um ins Dunkel des Hauses zu lauschen.
Wieder hörte er ein Geräusch, das er nicht zuordnen konnte. Es war aus der Küche im Erdgeschoss gekommen. Seine Hand zitterte, als er sie auf das hölzerne Geländer der kleinen Treppe legte. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Stufen jetzt nicht knarrten, so, wie sie es sonst taten, wenn sich das Wetter änderte. Draußen pfiff ein eisiger Wind um die Mauern des alten Hauses. Schnell huschte er die Treppe hinab und stand jetzt im unteren Flur. Linkerhand befand sich die schwere Haustüre, daneben die Garderobe. Ihre gesteppten Jacken hingen unverändert an den gusseisernen Haken hinter der Tür. Wenn sich jemand im Haus befand, dann war er nicht durch die Haustür gekommen. Rechts lag die Tür zur Küche und zur Stube mit Blick in die Dünen.
Ein scharrendes Geräusch zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Jetzt war es eindeutig: Schritte in der Küche, vorsichtig gesetzt. Offensichtlich war der Fremde durch das Küchenfenster ins Haus eingedrungen. Das hatte also
das klirrende Geräusch verursacht, das ihn erschreckt hatte.
Er konnte hören, wie die Sohlen des Einbrechers über Glasscherben streiften und knirschende Geräusche erzeugten.
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, die Nerven zum Zerreißen gespannt. Einbrecher waren auf der Insel eher selten anzutreffen – zu kompliziert war den Tätern die Flucht mit dem Sylt-Shuttle, zu groß die Gefahr, noch am Bahnhof in Westerland von der Polizei festgesetzt zu werden. Trotzdem gab es in letzter Zeit immer wieder Einbrecher, die sich in den verwaisten Dünenhäusern wertvolle Beute versprachen. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass ein Großteil der Immobilien auf der Insel nur während der Feriensaison bewohnt wurde. Jetzt, im Herbst, waren zahlreiche der prächtigen Häuser verlassen. Sie standen oft wochenlang leer und wurden nur von Hausmeistern betreut, die regelmäßig kamen, um nach dem Rechten zu sehen. Die Kriminalität auf Sylt hielt sich in Grenzen, von einer heilen Welt wollte hier trotzdem niemand reden.
Warum habe ich mir immer noch keinen Baseballschläger ans Bett gestellt?, fragte er sich mit einer Mischung aus Wut und Angst, als er eine Hand auf die Türklinke legte. Was, wenn der Einbrecher bewaffnet ist? Würde es ihm gelingen, den Fremden in die Flucht zu schlagen? Hektisch blickte er sich um. Sein Blick fiel auf ihren großen „Schietwetter“-Regenschirm, der am Haken der Garderobe hing.
Besser als nichts, dachte er und streckte die Hand nach dem Schirm aus. Mit beiden Händen umklammerte er den Griff, bereit, damit zuzuschlagen. Nachdem er ein letztes Mal tief durchgeatmet hatte, hob er das rechte Bein und trat mit voller Wucht die Küchentür auf. Sie würde ihm verzeihen, wenn er das Türblatt beschädigte, da war er sicher. Immerhin ging es darum, den Einbrecher zu stellen und sie zu schützen.
Mit einem Knall schlug die Tür an die dahinterliegende Wand. Spätestens jetzt ist sie aufgewacht, durchzuckte es ihn. Entgegen seiner Befürchtung regte sich oben nichts. Sie hatte einen festen Schlaf.
Das Holz des Türblatts scharrte über Glasscherben, um kurz darauf zurückzupendeln. Mit einem einzigen Satz sprang er in die Küche und hoffte, das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben. Er registrierte das zerstörte Fenster, dann fiel sein Blick auf den Stein, der in der Mitte des Raums am Fußboden lag – die Tatwaffe. Im selben Moment tauchte der Schatten in seinem Augenwinkel auf. Jemand hatte sich versteckt, um jetzt mit einem Sprung seine Deckung zu verlassen.
Während er noch herumwirbelte, dabei den Arm mit dem Schirm nach oben riss, spürte er den entsetzlichen Schlag am Hinterkopf. Im Bruchteil einer Sekunde sah er grelle Blitze vor den Augen auftauchen, dann fühlte es sich an, als würde sein Körper von innen heraus explodieren. Ihm wurde es heiß und kalt, bevor er mit einem ächzenden Laut in die Knie ging. Dass er mit dem Gesicht in die Scherben auf dem Boden fiel, spürte er schon nicht mehr.
*
Als er zu sich kam, schmerzte ihm jeder Knochen. Im Mund einen pelzigen Geschmack, die Augenlider schwer wie Blei, wünschte er sich im ersten Moment zu sterben. Übelkeit stieg in ihm auf, eine Sekunde lang fürchtete er, dass er sich übergeben musste. Es dauerte einen Moment, bis die Erinnerung sich schmerzhaft in sein Bewusstsein brannte. Die durchwachte Nacht mit der Liebe seines Lebens, die eigenartigen Geräusche in der Küche, das eingeschlagene Fenster, der Überfall. Er öffnete die Augen, blinzelte und wurde vom grellen Licht der Küchenlampe geblendet.
Vom Täter keine Spur.
Sein Kopf fiel zur Seite. Als er die Muskeln anspannte, knirschte es unter ihm. Er lag mitten im Scherbenhaufen der eingeschlagenen Fensterscheibe.
Ein brennender Schmerz in der Stirn brachte ihn an den Rand des Wahnsinns. Vorsichtig tastete er nach der schmerzenden Stelle. Ein harter Gegenstand steckte wie die spitze Klinge eines winzigen Messers in seinem Kopf. Er fixierte die Scherbe mit Daumen und Zeigefinger, biss die Zähne zusammen und stöhnte auf, als der Schmerz an Intensität zunahm und drohte, ihm den Verstand zu rauben. Blut trat aus der Wunde aus und besudelte seine Finger. Doch es gab kein Zurück mehr. Wenn er wollte, dass die Qual aufhörte, musste der Fremdkörper aus seinem Körper verschwinden. Fest packte er zu, hielt die Luft an und spürte dennoch die Hitze, die sich schlagartig in ihm ausbreitete. Mit einer schnellen, ruckartigen Bewegung zog er an dem Splitter in der Stirn. Ein Schmerzensschrei entrang sich seiner Kehle, dann betrachtete er den Gegenstand in der blutverkrusteten Hand. Eine Glasscherbe, scharf wie ein Messer und spitz wie ein Dolch.Gut zwei mal drei Zentimeter groß. Wütend warf er die Scherbe zu Boden.
Sekundenlang schloss er die Augen und versuchte, sich zu sammeln.
Ein eisiger Luftzug wehte in die Küche, verfing sich in der weißblau karierten Tischdecke und blähte sie auf. Im Zeitlupentempo wandte er den Kopf und öffnete die Augen wieder. Das Stofftuch schien ein seltsames Eigenleben zu entwickeln. Ein unheimliches Schauspiel. Langsam gelang es ihm, seine Gedanken zu ordnen.
Der Schmerz wurde von seiner Sorge um sie verdrängt. War ihr etwas zugestoßen? Er versuchte, den Atem anzuhalten, lauschte. Im Haus herrschte Stille. Befand sich der Einbrecher noch hier, oder war