WattenAngst. Andreas Schmidt

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WattenAngst - Andreas Schmidt

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„Sind die Flensburger schon im Boot?“

      „Die Kollegen von der Bezirkskriminalinspektion wissen Bescheid und sind im Anmarsch.“ Petersen räusperte sich. „Aber wenn du schnell bist, sind wir die Ersten, Mädchen.“

      „Ich bin immer schnell.“ Wiebke lächelte, was Petersen am anderen Ende der Leitung nicht sah. Sie klemmte das Telefon zwischen Schulter und Kinn und schaltete das Küchenlicht ein, um die Kaffeepadmaschine startklar zu machen. Sie rief sich in Erinnerung, was sie über das Mordopfer wusste. Hans Olaf Berger war in Husum beliebt und gefürchtet zugleich. Seine Kritiker sagten ihm nach, dass er seine Hände überall dort im Spiel hatte, wo große Geschäfte gemacht wurden. Immer wieder wurde Berger hinter vorgehaltener Hand mit dem Begriff Korruption in Verbindung gebracht. Seine Freunde hingegen attestierten dem Unternehmer ein glückliches Händchen, wenn es darum ging, den Umsatz zu steigern und Kohle zu machen, wo es ging. Berger war prominenter als der Bürgermeister der grauen Stadt – er lächelte überall dort in die Kameras der Reporter, wo ein neues Gebäude feierlich und damit pressewirksam eröffnet wurde. Ihm gehörten Kaufhäuser, Gastronomiebetriebe, zwei Hotels in Büsum und Sankt Peter-Ording, ein Golfplatz auf Sylt und die Messe von Husum. Zusätzlich war er an privat geführten Krankenhäusern und einem Altenheim beteiligt gewesen.

      „Bring mich auf Stand, Jan – was ist genau passiert?“

      „Nachbarn sind vom Klirren der Scheibe aufgewacht, das muss einen Höllenlärm gemacht haben.“

      „Ich bin in zwanzig Minuten da“, versprach Wiebke, während sie das blinkende Licht der Kaffeemaschine beobachtete. Sie nahm eine Tasse aus dem Regal über dem kleinen Tisch, schob sie unter den Ausguss und drückte den Knopf, als das Lämpchen dauerhaft leuchtete.

      „Ich nehm auch einen Kaffee“, bemerkte Petersen, der das sonore Brummen der Maschine am anderen Ende der Leitung richtig deutete.

      „Bring ich dir mit.“

      „Zwei Stück Zucker und viel Milch – wie immer.“

      „Kriegst du.“ Wiebke lachte. „Du bist mir ein Heini.“

      „Danke, dann spring ich jetzt auch mal in die Buchse.“ Petersen beendete das Gespräch. Wiebke legte das Smartphone auf den Tisch, nahm zwei Thermobecher aus dem Hängeschrank, füllte den Kaffee um und bereitete gleich einen zweiten vor. Dann überlegte sie es sich anders und setzte den Wasserkocher in Gang. Ein heißer Tee mit einer Portion Honig würde gegen die Heiserkeit und die Halsschmerzen besser helfen als der Kaffee. Sie verschwand im Bad, um sich eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht zu werfen. Es gab Arbeit – vielleicht war das gut so, um ein wenig Ablenkung von ihren Beziehungsproblemen zu bekommen.

      DREI

      Wenningstedt/Sylt, drei Monate zuvor

      „Was starrst du mich denn so an?“, fragte sie lächelnd, als sie seinen angsterfüllten Blick sah. Noch immer toste der Sturm um die Mauern des reetgedeckten Hauses. Irgendwo klapperte ein Fensterladen.

      „Du lebst?“ Er konnte es nicht fassen, hatte sie doch eben noch blutüberströmt und regungslos dagelegen. Jetzt richtete sie sich im Bett auf und nahm im Schneidersitz vor ihm Platz. Die Laken waren zerwühlt, was aber nicht der Attacke eines Einbrechers zuzuschreiben war, sondern ihrer leidenschaftlichen Liebesnacht, die hinter ihnen lag.

      „Annika, ich …“

      „Ja?“ Mit fragender Miene legte sie den Kopf schräg, blies sich eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn und streckte die Hand aus, um ihn zu berühren.

      Er benötigte einen Moment, bis er in der Realität angelangt war und registrierte, dass er die schreckliche Szene, die er eben erlebt hatte, offenbar nur geträumt hatte. Alles war so real gewesen, so grausam. Sein Herz raste, sein Mund war trocken. Er schluckte, dann rang er sich ein Lächeln ab.

      „Ich glaube, ich hatte einen schrecklichen Albtraum“, stammelte er tonlos. Er starrte sie an wie einen Geist, konnte nicht glauben, dass sie lebte.

      „Das glaube ich auch“, sagte sie einfühlsam, krabbelte an den Bettrand und zog ihn zu sich. „Ich lebe“, hauchte sie ihm zwischen zwei Küssen ins Ohr. „Und wie ich lebe.“ Sie schickte ihre Hände auf Wanderschaft, zog mit ihren Fingerkuppen größer werdende Kreise auf seinem Oberkörper, hauchte ihm Küsse auf die Haut und sorgte dafür, dass der Albtraum verblasste. „Was auch immer es war, ich bin lebendig, sehr lebendig sogar, und ich habe Lust auf dich.“

      Er spürte, wie die Hitze in seine Lenden stieg, umarmte sie, genoss ihre Nähe und erwiderte ihre Küsse. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte ihn eine Frau derart um den Verstand gebracht, nie zuvor hatte er eine solche Leidenschaft gespürt. Es war, als hätten sie sich gesucht und gefunden, es schien, als wären sie füreinander gebaut.

      Als sie ihren Kopf in seinen Schoß sinken ließ und ihn mit ihren Lippen umschloss, war der Albtraum schon fast nicht mehr greifbar. Er legte den Kopf in den Nacken und gab sich ihren Liebkosungen hin. Als sie zurück ins Laken sank und ihm fordernd das Becken entgegenstreckte, war es ihm, als hätte er diesen schrecklichen Albtraum nie zu zuvor gehabt. Es gab nur noch sie beide in dieser Nacht, es schien, als wäre die ganze Welt um sie herum versunken. Als ihrer Körper miteinander verschmolzen, hatte er längst vergessen, warum er kurz vorher aufgewacht war.

      VIER

      Husum, Süderstraße

      „Weißt du“, sagte Petersen, als er eine Viertelstunde später in Wiebkes kleinen Fiat stieg und ihr die Adresse des Einsatzortes genannt hatte, „was mir am meisten stinkt?“ Umständlich schnallte er sich an und nahm dankbar den Thermobecher mit Kaffee entgegen, den sie ihm reichte. Wiebke beantwortete die Frage ihres Partners nicht. Sie steuerte den Panda durch die nächtlichen Straßen von Husum und ließ Petersen reden.

      „Mir stinkt es, dass wir aus dem Bett geklingelt werden, die Drecksarbeit machen dürfen und nur die Vorhut für die Kollegen aus Flensburg sind.“

      „Das ist nun mal unser Job“, erwiderte sie und gab ihm in Gedanken recht. Wiebke wusste, wovon ihr Partner sprach. Es würde keine zwei Stunden dauern, bis ihre Kollegen vom K 1 aus Flensburg anrollten und sich den Mordfall unter den Nagel rissen. Seitdem die Kriminalpolizei Husum und Flensburg vor Jahren fusioniert wurden, galt es, Hand in Hand zu arbeiten. „Aber wir sind schon vor Ort, und wir kennen uns hier aus.“

      „Ja ja, die Ortskenntnisse.“ Petersen winkte ab, nahm einen Schluck von seinem Kaffee, verbrannte sich prompt die Lippen und fluchte ungestüm. „Dabei kennen wir unser Opfer – im Gegensatz zu den Flensburgern. Wir wissen, wer Hans Olaf Berger war und was er für Husum bedeutet hat.“

      „Und wir wissen, dass er nicht überall beliebt war“, stimmte Wiebke ihm zu. Sie beobachtete im Augenwinkel, wie Jan Petersen das Smartphone aus der Tasche seiner Lederjacke zog und den Namen des Mordopfers in eine Suchmaschine eingab. Im Widerschein des Handy-Displays schimmerte sein unrasiertes Gesicht bläulich.

      „Da“, sagte Petersen triumphierend und hielt das Handy hoch. „Die Mäuler hat man sich über ihn zerrissen, weil er angeblich in krumme Geschäfte verwickelt war, weil er immer wieder mit Korruption in Verbindung gebracht wurde und weiß der Geier was.“

      „Das sind doch alles Halbwahrheiten“, entgegnete Wiebke. „Was wissen wir wirklich über Berger?“ Sie dachte einen Moment lang nach und gab sich dann selbst die Antwort. „Er war ein einflussreicher

      Geschäftsmann.

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