WattenAngst. Andreas Schmidt

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WattenAngst - Andreas Schmidt

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bei ihm war. Dass sie sehen konnte, wie er starb, wie ihm ein Ende bereitet wurde für das, was er getan hatte.

      Ja, es war gut, dass sie in den letzten Minuten seines elenden Lebens bei ihm war.

      Und sie würde begreifen, dass er es ernst meinte.

      Gut so.

      Sie würde er leben lassen, schließlich war sein Tod heute der Beginn seiner Mission.

      Bevor er den Gedanken vertiefen konnte, schlug beim Haus ein Hund an. Verdammt, der Köter, durchzuckte es ihn. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Er versuchte, seinen Puls unter Kontrolle zu bringen, dann ordnete er seine Gedanken. Der Hund würde ihn nicht von seinem Vorhaben abhalten.

      Tagsüber hielt ein großer Hund, der sich frei auf dem umzäunten Grundstück bewegen konnte, Wache. Die Töle sollte ungebetene Gäste fernhalten. In den Abendstunden sperrte man den großen Hund in den Zwinger rechts neben dem Haus. Dort schlug er jetzt zwar an, bedeutete aber keine Gefahr für den Eindringling.

      Zielstrebig steuerte er auf die Einfahrt zu. Hinter den großen Fensterflächen brannte noch immer Licht. Die bodenlangen Vorhänge täuschten den Bewohnern des Hauses Sicherheit vor. Doch es gab kein Entkommen mehr für die Menschen, die sich jenseits der Stores aufhielten. Dafür würde er Sorge tragen. Jetzt tat sich im Haus etwas. Einer der Vorhänge glitt zur Seite. Eine hochgewachsene Silhouette tauchte auf und blickte in die Nacht hinaus, als hätte sie dort etwas Auffälliges gesehen.

      Lange genug hatte er ihn studiert, um zu wissen, dass es sich bei der Gestalt am Fenster um seine Zielperson handelte. Wochenlang hatte er sich Fotos angeschaut, war ihm wie ein unsichtbarer Schatten gefolgt und hatte sich an seine Fersen geheftet. Jetzt war es an der Zeit für den Showdown.

      Der Mann am Fenster blickte jetzt genau in seine Richtung. Sein Herz raste. Jetzt musste es schnell gehen. War er aufgeflogen? Gab es einen Bewegungsmelder, der ungebetene Gäste gleich anzeigte? Eine zweite Kamera existierte seines Wissens nicht.

      Noch während der Besitzer der Villa ins Dunkel starrte, riss der ungebetene Gast die Hand, mit der er die Waffe umklammert hielt, in die Höhe. Noch in der gleitenden Bewegung entsicherte er und legte den Zeigefinger um den Abzug, zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, spürte den mechanischen Widerstand, dann zog er durch. Um den Rückschlag so gering wie möglich zu halten, stützte er den ausgestreckten Arm mit der Waffe ab, sah das Mündungsfeuer aufblitzen, dann ging die große Fensterscheibe mit einem ohrenbetäubenden Klirren zu Bruch. Das Glas bot dem Hausherrn keinerlei Schutz.

      Unter das Prasseln des Scherbenregens mischte sich der Schmerzensschrei seines Opfers. Obwohl der Mann versucht hatte, sich mit einem Sprung nach hinten in Sicherheit zu bringen, gelang es ihm nicht, der tödlichen Kugel zu entgehen.

      Der spitze Schrei der Frau ging im Lärm unter. Sie hatte also alles mitbekommen, war zur Zeugin geworden.

      Gut so.

      Als der Mann am Fenster die Arme hochriss und beide Hände flach vor die Brust presste, wusste der Schütze, dass er sein Ziel nicht verfehlt hatte. Er wich zurück und beobachtete das Schauspiel aus sicherer Deckung. Sein Opfer ruderte wild mit den Armen, verlor das Gleichgewicht und stürzte aus dem Fenster in die Tiefe.

      Seine Knochen brachen mit einem hässlichen Geräusch, als er hart auf dem Pflaster der Einfahrt vor dem Haus aufkam und sich nicht mehr rührte. In wenigen Sekunden breitete sich eine große Blutlache um den leblosen Körper aus.

      Der Schütze verzog angewidert das Gesicht. Eigentlich konnte er kein Blut sehen. In verrenkter Haltung lag der Mann da und rührte sich nicht mehr. Nachdem ein letztes Wimmern über seine Lippen gekommen war, kehrte bedrückende Stille ein, die erst durch den spitzen Angstschrei der Frau durchschnitten wurde. Sie kreischte, stürzte zum zerstörten Fenster, riskierte dabei, auch zur Zielscheibe für den Schützen zu werden, stand barfuß in dem Scherbenhaufen, hielt beide Hände vor das Gesicht und rief einen Namen.

      Doch der, den sie rief, rührte sich nicht. Er würde nicht mehr aufstehen.

      Mit einem zufriedenen Grinsen steckte der Schütze die Waffe zurück in die Jacke. Das Metall war warm. Schnell duckte er sich in den Schatten der Hecke, eilte in gebückter Haltung davon, verschwand um die nächste Häuserecke, sah im Augenwinkel, wie in einem der Nachbarhäuser Licht aufflammte. Die Nachbarn waren wach geworden. Jetzt war es höchste Zeit zu verschwinden. Seine Mission hatte begonnen.

      EINS

      Wenningstedt/Sylt, drei Monate zuvor

      Er wusste nicht, wie lange er schon wach neben ihr lag. Müdigkeit verspürte er trotz der vorgerückten Stunde nicht, wahrscheinlich lag es daran, dass sein Körper von Endorphinen nur so strotzte. Er hielt kurz den Atem an und lauschte in die Nacht. Irgendwo an der Rückseite des reetgedeckten Hauses klapperte ein Fensterladen. Unheilvoll pfiff der Wind ums Haus, doch das schien sie nicht im Geringsten zu stören. Zusammengerollt wie ein Baby lag sie neben ihm und schlief tief und fest. Seine Blicke störten ihre Nachtruhe nicht, so nutzte er die Gelegenheit, um sie verliebt zu betrachten. Das Licht des Mondes drang durch den Spalt der bodentiefen, blauweiß gemusterten Vorhänge und ließ ihre Haut wie Samt wirken. Verzückt musterte er ihre wunderschöne Kehrseite, hätte am liebsten die Hand ausgestreckt, um sie zu berühren, um mit den Fingerkuppen zärtlich die Konturen ihres Körpers nachzuzeichnen. Es fiel ihm schwer, sie nicht zu streicheln, doch um nichts auf der Welt wollte er ihren tiefen Schlaf stören. Kurz schloss er die Augen und lauschte ihren gleichmäßigen Atemzügen. Sie war, nachdem sie leidenschaftlich miteinander geschlafen hatten, glücklich und erschöpft in seinem Arm vom Schlaf übermannt worden. Obwohl er selber müde gewesen war, hatte er den Moment ausgekostet, sie an seiner Schulter zu spüren, ihrem Atem zu lauschen und ihren Duft zu genießen. Irgendwann hatte sie sich zur Seite gedreht, um ihm den Rücken zuzuwenden. So lag er hinter ihr ebenfalls auf der Seite, den Kopf auf den linken Arm gestützt, und sah sie an.

      Er war so glücklich wie nie zuvor in seinem Leben, war mit Anfang vierzig endlich angekommen, hatte die Frau gefunden, mit der er alt werden wollte. Zahlreiche Frauen hatte er in den letzten Jahren gehabt, kein Wunder bei seinem Aussehen und seiner offenen Art, die gut bei den Frauen ankam. Doch bisher hatte er die Richtige nicht gefunden. Jetzt war alles anders.

      Angekommen, hallte es in seinem Kopf. Ich bin angekommen.

      Er atmete tief durch und inhalierte ihren Duft. Sie roch nach Kokosnuss und exotischen Früchten. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte ihn, er hatte nie an die Liebe seines Lebens geglaubt, hatte stets gehofft, die Hoffnung an der Seite anderer Frauen aber schnell wieder verworfen. Wie sehr er sich geirrt hatte, dachte er jetzt.

      Jetzt ist alles perfekt.

      Im nächsten Moment legte sich ein Bleigürtel um seine Brust, eine undefinierbare Angst befiel ihn, als er an die Grausamkeiten, die das Leben mit sich brachte, dachte. Das glückliche Lächeln auf seinen Lippen gefror. Eine schwere Krankheit, ein Unfall, der sie aus seinem Leben riss und damit alles zunichtemachte, was den Sinn seines Daseins ausmachte. Er versuchte, die düsteren Gedanken zu verdrängen, doch es gelang ihm nur schwer. So nahm er sich vor, alle Gefahren, die ihr gemeinsames Glück zunichtemachen könnten, bis aufs Blut zu bekämpfen.

      Ein Geräusch riss ihn aus den Gedanken. Erschrocken hielt er die Luft an und lauschte mit geneigtem Kopf ins Dunkel des Zimmers.

      Es war ihr Haus, doch er wusste, dass das mit Reet gedeckte Gebäude in Sturmnächten eigenartige Laute abgab. Die Dielenböden knarzten, als würde sich jemand darauf bewegen, das Gebälk unter dem Reet knackte, all das machte ihm keine Angst.

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