WattenAngst. Andreas Schmidt
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„Indirekt“, antwortete Carstensen. „Barbara Gerlach bewohnt eines der benachbarten Ferienhäuser. Gesehen hat sie wohl nichts, aber sie wurde vom Lärm geweckt, als das große Fenster zu Bruch ging.“
„Kein Auto, das sich mit hohem Tempo entfernt hat, nichts?“, versuchte es Petersen.
„Nein, absolut nichts Auffälliges.“ Carstensen schüttelte den Kopf. „Womöglich befindet sich der Schütze noch in der Nähe.“
„Wir sollten einen Heli kommen lassen“, schlug Petersen vor.
„Schon dabei.“ Wiebke zückte das Handy und forderte einen Hubschrauber an, der die Gegend mit einer Wärmebildkamera absuchte. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Täter so auf der Flucht gestellt wurde. „Und wir brauchen Verstärkung, die sich um die Anwohner kümmert“, sagte sie an Carstensen gewandt.
„Das habe ich bereits veranlasst, Kollegen. Müsste jeden Moment eintreffen.“
„Sehr gut“, lobte Wiebke. „Dann würde ich jetzt gern ins Haus.“
„Sprich das mit Piet ab, dazu kann ich euch nichts sagen.“
„Wird gemacht.“ Wiebke nickte Petersen zu. Seite an Seite marschierten sie die Auffahrt zum Haus hinauf. Sie ließen Carstensen zurück. Wiebke erhoffte sich einen vorläufigen Bericht von dem schrulligen Kriminaltechniker, fürchtete aber, dass er noch nicht viel zum Geschehen sagen konnte.
„Piet wird sich bedanken, wenn wir ihm jetzt schon auf den Sack gehen“, raunte Petersen und sprach Wiebkes Gedanken aus.
„Da muss er durch, fürchte ich.“ Sie hatte zuerst die offen stehende Haustür erreicht, Petersen stand einen Schritt hinter ihr und überließ ihr den Vortritt. Wiebke blieb an der Schwelle stehen und rief nach Piet Johannsen, dem Leiter der Husumer Kriminaltechnik.
„Wer stört?“, ertönte eine dumpfe Stimme aus dem Obergeschoss.
„Sabbel nich‘, trau dich runter“, rief Petersen nach oben. Einen Moment später kam Johannsen die Treppe herunter. Er trug einen weißen, faserfreien Overall.
„Ausgeschlafen?“
„Abgebrochen.“ Wiebke hatte keine Lust auf Sprüche. „Hast du schon was für uns?“
„Zwei Weingläser, eine fast geleerte Pulle Rotwein, eine verrammelte Wolldecke auf dem Sofa und unzählige Scherben.“
Wiebke hatte Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen. „Dürfen wir trotzdem gucken? Ich würde mir gern einen Überblick vom Tatort verschaffen.“
„Wenn ihr auf dem Trampelpfad bleibt und nichts anfasst.“
„Wie lange sind wir bei dem Trachtenverein, für wie blöd hältst du uns, Piet?“ Petersen hob eine Augenbraue.
„Kommt schon, damit ich weitermachen kann.“ Johannsen gab ihnen ein Zeichen. Sie folgten ihm in den quadratischen Flur des Hauses. Wiebke fiel der kühle Einrichtungsstil sofort auf. Die typischen Dekoelemente anderer Wohnhäuser gab es hier nicht – keine Buddelschiffe auf der Fensterbank, keine hölzernen Möwen und keine großen Bilder mit Leuchttürmen, nichts. Stattdessen neben der Tür und an der Treppe ins Obergeschoss übergroße Gemälde mit abstrakten Motiven, die Wiebke nicht zuordnen konnte. Sie war keine Kunstkennerin, konnte einen farbenfrohen Kandinsky kaum von den Werken eines Marc Chagall unterscheiden. Kurz schloss sie die Augen und sog die Luft durch die Nase ein. Es roch nach Reinigungsmitteln.
„Hier – anziehen bitte.“ Johannsen war vor einer Alukiste in die Hocke gegangen und fischte zwei Einmalanzüge, Handschuhe und Überzieher für die Schuhe heraus. Beides hielt er Petersen und Wiebke hin.
„Muss das sein?“, maulte Petersen.
Anstelle einer Antwort stöhnte Piet Johannsen gequält auf.
Petersen zwängte sich umständlich in den Overall. Wiebke konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Nachdem sie in die dünnen Overalls geschlüpft waren und die Überzieher über den Schuhen trugen, folgten sie Johannsen über die breite Treppe in das Obergeschoss des luxuriösen Hauses.
Der kühle Einrichtungsstil aus dem Erdgeschoss setzte sich hier oben fort. Berger schien die kühle Eleganz geschätzt zu haben. Wiebke stellte die Wertigkeit der Einrichtung nicht infrage, war aber sicher, dass sie sich in diesem Haus niemals hätte wohlfühlen können. Für ihren Geschmack durfte die Einrichtung etwas wohnlicher sein. Aufmerksam blickte sie sich um und ließ die Atmosphäre auf sich wirken. Seite an Seite stand sie mit Johannsen und Jan Petersen an der Schwelle zu einem Wohnraum, der fast so groß war wie ihre ganze Wohnung im beschaulichen Ostenfeld.
„Leck mich fett, muss der Kohle gehabt haben“, tuschelte Petersen sichtlich beeindruckt. „Das ist mal ’ne Stube.“
„Stube?“ Johannsen lachte. „Du untertreibst, Jan.“
Wiebke blendete das Geplänkel ihrer Kollegen aus. Ihr Blick schweifte über die Einrichtung. Es gab ein Bücherregal, eine unfassbar große Wohnlandschaft, auf der sich unzählige Kissen und eine zerwühlte Wolldecke befanden. Davor ein niedriger Tisch, auf dem ein Kerzenhalter stand, zwei Gläser und die Flasche Wein, die Johannsen schon erwähnt hatte. Ein kleines Sideboard und an der Wand ein Flatscreen, der zu WM-Zeiten als Public-Viewing-tauglich durchgegangen wäre. Auf dem Boden lagen Kleidungsstücke, die davon zeugten, dass sich die beiden vor dem Attentat vergnügt hatten.
Ein leises, metallisches Klackern lenkte Wiebkes Aufmerksamkeit auf die große Fensterfront. Scherben, soweit das Auge reichte, bedeckten den Parkettboden. Der Wind der nahen See wehte in den Raum, verfing sich in den Vorhängen und erzeugte ein leises Klackern. Wiebke war versucht, den Raum zu durchschreiten, an das Fenster zu treten, um einen Blick in die Tiefe zu wagen. Etwas hielt sie ab.
So schloss sie die Augen und versuchte, sich vorzustellen, was kurz vor dem Attentat hier geschehen war.
Ein Schäferstündchen zwischen Berger und seiner Geliebten. Wahrscheinlich in aller Heimlichkeit. Wiebke fragte sich, ob Bergers Frau wusste, dass er sich die Zeit mit einer anderen vertrieb. Hier, in ihrem Haus, in ihrem Refugium. Kurz dachte Wiebke an ihre eigene Beziehung. Sie wusste auch nicht, was Eike tat, wenn er mit der Band durch die Republik tourte. Sekundenlang legte sich ein schwerer Bleigürtel um ihre Brust. Wiebke atmete tief durch, verdrängte die privaten Sorgen um Eike und nahm einmal mehr den Duft nach chemischen Reinigungsmitteln wahr.
Sie stellte sich vor, wie die beiden gestört worden waren. Was hatte die Zweisamkeit gestört?
Hatte der Täter geklingelt? Hatte er sich an die Einfahrt gestellt und gerufen, bevor der Hund angeschlagen hatte?
Berger war, von der Störung verunsichert, aufgestanden, um nach dem Rechten zu sehen. Natürlich hatte er wegen des Seitensprungs mit Annika Rüther ein schlechtes Gewissen. Womöglich hatte er befürchtet, dass seine Ehefrau früher als erwartet heimkehrte, um ihn hier in flagranti zu erwischen.
Vielleicht konnte ihnen die Zeugin dazu später mehr berichten. Ich werde es herausfinden.
Wiebke legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Es war, als würde sie die tragische Geschichte des Hauses inhalieren.
Das Auftauchen von Hans Olaf Berger am Fenster des hell erleuchteten Wohnzimmers hier oben war für den Schützen die Gelegenheit