WattenAngst. Andreas Schmidt

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WattenAngst - Andreas Schmidt

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trieb schwere Wolkenberge über den Himmel. Er atmete tief durch und sog die würzige Luft der Ostsee tief in seine Lungen ein. Als er die Augen zu schmalen Schlitzen verengte, glaubte er, auf der gegenüberliegenden Seite des Fjords die Lichter des Yachthafens von Gråsten zu sehen. Weiter rechts erkannte er die markanten Zwillingstürme der Kirche von Broager. Majestätisch erhoben sich die grauen Spitzen über der strahlend weißen Fassade in den Morgenhimmel. Sie schienen die Wolkendecke durchbohren zu wollen.

      Während er einfach so dastand und auf den Fjord blickte, rückte seine Mission in unendlich weite Ferne. Hier fühlte er sich zum ersten Mal seit Wochen frei.

      Er sehnte sich nach Ruhe und Harmonie, nach Normalität in seinem Leben. Im Grunde genommen wollte er nur glücklich sein. Doch diese Ruhe war ihm nicht gegönnt. Je länger er über sein armseliges Leben nachdachte, umso klarer wurde ihm, dass er immer auf der Schattenseite gestanden hatte. Seine Schulkameraden hatten gute Noten geschrieben. Sie hatten ihre ersten Freundinnen am Wochenende ins Kino nach Westerland ausgeführt, sie hatten wilde Partys mit ihren Mädchen am Strand von Kampen gefeiert, während er alleine auf den Holzstegen am Strand gestanden und stundenlang auf die Nordsee geblickt hatte. Einsam. Melancholisch. Doch damals war ihm nicht bewusst gewesen, dass er anders war als die Jungs aus der Nachbarschaft. Auch später, als sie längst im Berufsleben standen, war der Alltag bei ihm anders verlaufen. Viele seiner Freunde hatten die Insel verlassen. Sie hatten Probleme gehabt, einen vernünftigen Job zu bekommen. Auch der bezahlbare Wohnraum auf Sylt war von Jahr zu Jahr knapper geworden. Die Touristen und die Saisonarbeiter hatten die Einwohner von Sylt aufs Festland vertrieben.

      Auch er flüchtete irgendwann auf das nordfriesische Festland, um hier neu anzufangen. Doch wirklich glücklich gewesen war er damit nie. Vertrieben von der eigenen Insel … wie sich das anhörte!

      Wut keimte in ihm auf, je länger er darüber nachdachte. Dass er die rechte Hand zu einer Faust geballt hatte, bemerkte er erst, als sich die Fingernägel in den Handballen gruben und dort rote Stellen hinterließen. Schnell lockerte er den Griff. Er atmete ein paar Mal tief durch und beruhigte sich. Jetzt spürte er sie wieder, die Freiheit.

      Doch es war eine trügerische Freiheit, denn er war noch lange nicht am Ziel angelangt. Der Tod von Berger sollte erst der Auftakt seiner Mission sein.

      Die rechte Hand in der Tasche strich über das glatte Metall der Waffe. Es herrschte Ostwind, ein Umstand, der ihm in die Karten spielte. Mit einer gleitenden Bewegung zog er die Waffe aus der Tasche und wog sie in der Hand. Beinahe liebevoll glitten seine Fingerkuppen über das glatte Metall.

      Zeit, Abschied zu nehmen, dachte er, holte weit aus und schleuderte die Pistole in weitem Bogen ins Meer. Es gluckste leise, dann sank die Waffe auf den Grund. Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, versenkte er die Hände wieder in den Taschen, wandte sich um und trat den Rückweg an. Er nutzte die Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Die nächsten Schritte wollten gut geplant sein. Eigentlich, so dachte er sich, war alles gut verlaufen. So sollte es bleiben.

      Dass er auf dem Rückweg beobachtet worden war, hatte er nicht bemerkt. Das junge Pärchen, das sich in die Einsamkeit der Nordspitze zurückgezogen hatte, wunderte sich, weil der Mann einen Gegenstand ins Wasser geworfen hatte. Doch genauso schnell, wie es den Fremden gesehen hatte, war er auch schon wieder vergessen. Die jungen Leute beschäftigten sich wieder mit sich selbst …

      SIEBEN

      „Wir sind den Fall los“, begrüße Kai Christensen Wiebke, als sie gut zwei Stunden später das Revier an der Poggenburgstraße erreichten. Petersen war wortkarg im Büro verschwunden, das er sich seit Jahren mit Wiebke teilte.

      Eigentlich hatte sie sich nur kurz im Büro ihres Vorgesetzten zurückmelden wollen, den Kopf durch die Tür stecken. Doch in Anbetracht dieser Nachricht trat Wiebke ein. Leise drückte sie die Tür hinter sich zu. Sie wunderte sich ein wenig über Kai Christensens betroffene Miene.

      „Jetzt schon?“ Wiebke runzelte die Stirn.

      Christensen seufzte. „Die Kollegen aus Flensburg haben den Berger-Mord nun ganz offiziell übernommen.“

      Wiebke betrachtete ihren Vorgesetzten. Wie immer trug er einen Anzug. Eine feine Note seines After-

      shaves hing im Raum. Dennoch sah er müde und schwach aus.

      Jetzt lächelte er matt zu ihr auf. „Trotzdem gibt es Arbeit für uns.“

      „Immerhin kann sich die Mordkommission jetzt mit der Staatsanwaltschaft herumärgern, nehme ich an?“ Der Ansatz eines schadenfrohen Grinsens stahl sich in ihr Gesicht.

      Der Kripochef nickte. „Sowieso. Hast du mit Jan die ersten Erkenntnisse in Hockensbüll zusammengetragen?“

      Wiebke nickte. „Allerdings ist das in Anbetracht der kurzen Zeit vor Ort nicht allzu viel, fürchte ich.“

      „Wie dem auch sei, ich bin sicher, dass ihr gute Vorarbeit geleistet habt, danke. In einer Stunde gibt es ein Meeting mit den Kollegen im Konferenzraum. Ich habe die Büros oben schon herrichten lassen.“

      „In Ordnung. Ich werde Jan berichten, vielleicht ist er dann ein wenig motivierter.“

      Kai Christensen schien Petersens ablehnende Haltung gut nachvollziehen zu können. „Es geht ihm gegen den Strich, dass die Kollegen des K 1 ihm die Arbeit abnehmen, was?“

      „Es geht ihm sogar gewaltig gegen den Strich“, stimmte Wiebke ihm zu.

      „Er soll nicht traurig sein, ich habe schon neue Arbeit“, wiederholte Kai Christensen.

      „Ein Fahrraddiebstahl?“ Wiebke konnte sich den Sarkasmus nicht verkneifen, doch der Kripochef ging nicht darauf ein.

      „Eine vermisste Person“, eröffnete Christensen ihr. Er beugte sich vor und faltete die Hände auf dem Schreibtisch, fast so, als wolle er beten. „Kerstin Möller, 36 Jahre alt, ledig, aus Husum. Sie kam gestern Abend vom Joggen nicht nach Hause.“

      „Meldet wer?“ Wiebke zog sich den Besucherstuhl heran und ließ sich darauf sinken. Sie zückte ihren Block und einen Stift.

      „Ihre Vermieterin, eine alte Dame. Sie zeigte sich äußerst besorgt, da sie Kerstin Möller als sehr zuverlässige Person beschrieben hat.“ Christensen nestelte an der dunkelblauen Krawatte, die hervorragend mit seinem himmelblauen Hemd korrespondierte, herum. Er nahm einen Schnellhefter aus der Schreibtischschublade und hielt ihn hoch. „Hier steht alles drin, musst also nicht mitschreiben.“

      Wiebke legte den Stift neben den Block und lehnte sich entspannt zurück. „Wo können wir bei der Suche nach Kerstin Möller ansetzen?“

      „Spaziergänger haben heute Morgen in einem Waldstückchen bei Mildstedt herrenlose Sportbekleidung gefunden. Die Kleidung stammt von einer weiblichen Person, Konfektionsgröße 38.“ Christensen blätterte in den Unterlagen, während er redete. „Und auf dem angrenzenden Parkplatz steht ein Kleinwagen, Marke Kia. Die Halteranfrage hat bereits ergeben, dass das Fahrzeug auf die vermisste Kerstin Möller zugelassen ist.“

      Für Wiebke gab der Fall nicht allzu viele Rätsel

      auf. „Vermutlich ein Sexualdelikt“, vermutete sie spontan.

      Christensen zuckte die Schultern. „Möglich. Von der Besitzerin der Bekleidungsstücke fehlt jede Spur. Es gibt wohl Schleifspuren im Morast. Möglicherweise hat jemand auf die Frau gewartet und sie außer Gefecht gesetzt und entführt.“

      „Dann

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