WattenAngst. Andreas Schmidt
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„Ich schau mir das an und fahre dann weiter zur Vermieterin der Frau.“
Christensen nickte, ohne sich zu ihr umzudrehen. „Versuch mal, einen DNA-Abgleich zu bekommen, Piet ist schon vor Ort.“
„Wird gemacht.“
Der Kripochef wandte sich um, trat an den Schreibtisch und reiche Wiebke den Schnellhefter. „Hier steht alles drin“, sagte er.
Wiebke schob Block und Stift zurück in die Jackentasche und erhob sich. Sie freute sich, dass es einen neuen Fall gab, und hatte nicht vor, dass sich die Flensburger Mordkommission noch einmal einmischte. Noch war Kerstin Möller nur als vermisst gemeldet. „Bin schon unterwegs.“
Als das Telefon auf Christensens Schreibtisch klingelte, nutzte sie die Gelegenheit, das Chefbüro zu verlassen.
*
Es waren knapp fünfzehn Beamte der Kripo Husum und der Kollegen aus Flensburg, die sich eine Stunde später unter dem Dach des Polizeireviers zusammengefunden hatten, um ihre Erkenntnisse auszutauschen. Vor Kopf des langen Besprechungstisches unter der Schräge hatte sich Kai Christensen eingerichtet, neben ihm Hauke Jensen. Er hatte vorgeschlagen, dass sich die Kollegen des K 1 mit denen aus Husum austauschen sollten. Für Wiebke konnte das bedeuten, dass auch der Leiter der Flensburger Mordkommission einen Zusammenhang aller Fälle nicht ausschloss.
„Was haben wir am Tatort des Attentates an brauchbaren Spuren sichern können?“, fragte Jensen, nachdem er und Christensen die Runde eröffnet hatten.
Piet Johannsen räusperte sich. Die Blicke der Anwesenden waren erwartungsvoll auf den Kriminaltechniker gerichtet. „Ein erstes ballistisches Gutachten hat hervorgebracht, aus welcher Richtung geschossen wurde.“ Johannsen machte eine kleine Pause. „Nach unseren Erkenntnissen stand der Todesschütze an der linken der beiden Torsäulen. Die Überwachungskamera hat er mithilfe eines Tuchs unbrauchbar gemacht – die Glaskuppel des Objektivs wurde mit einem Tuch und einem Einmachgummi verhüllt.“
Jan Petersen, der Wiebke gegenübersaß, zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Er freute sich diebisch, dass seine ersten Vermutungen bei ihrem Eintreffen am Tatort sich bewahrheiteten.
„Ein einziger Schuss genügte, um das Opfer zu treffen“, fuhr Johannsen fort. „Es stand zum Tatzeitpunkt am Fenster, wohl, um nach dem Rechten zu sehen, wurde von einem Projektil getroffen und stürzte durch das Fenster in die Tiefe, die Falltiefe beträgt knapp viereinhalb Meter.“
„War der Schuss oder die Verletzungen infolge des Sturzes todesursächlich?“, hakte Christensen nach.
„Der Abschlussbericht der Kieler Rechtsmedizin steht noch aus“, bedauerte Johannsen. Er nahm die Nickelbrille von der Nase, zupfte ein Taschentuch hervor und reinigte umständlich die Gläser. „Aber wenn man sich das Gutachten des Notarztes ansieht, deutet viel darauf hin, dass der Schuss als Todesursache infrage kommt: Der Arzt stellte eine Schussverletzung in Brust-
höhe fest, unmittelbar neben dem Herz. Er geht davon aus, dass Berger verblutet ist – über die weiteren Verletzungen, die er sich beim Sturz zuzog, ist noch nichts bekannt. Ich gehe aber davon aus, dass wir den Obduktionsbericht noch heute vorliegen haben werden.“
„Gut“, nickte Jensen. „Bitte bleiben Sie dran.“
„Alles klar.“
„Gibt es weitere Spuren?“ Christensen hatte sich erhoben. Er war an das Flipchart getreten und kritzelte mit einem Edding darauf herum.
„Fingerabdrücke auf dem Einmachgummi oder dem Tuch, das die Kamera verhüllt hat – negativ.“ Johannsen setzte eine bedauernde Miene auf. „Aber ich konnte Fußabdrücke an der Stelle sichern, von der mit großer Wahrscheinlichkeit der Schuss abgegeben wurde. Es handelt sich um ein relativ grobes Profil einer Sohle der Schuhgröße 45.“
„Na toll“, entfuhr es Petersen. „Eine Allerweltsgröße. Das wird die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.“
„Langsam mit den jungen Pferden“, bremste Johannsen ihn aus. „Anhand des Profils konnte ich eine BKA-Datenbank zurate ziehen. Demnach gehört die Sohle zu einem hochwertigen Schuh, der in unserer Gegend nicht allzu oft verkauft wird.“
„Also kein Schuhdiscount?“, schaltete sich Wiebke ein. Ihre Neugier war erwacht.
„Nein, Wiebke.“ Johannsen schüttelte den Kopf. „Offenbar stammt der Schuh aus einem recht exklusiven Laden in Kampen auf Sylt.“
Petersen pfiff anerkennend durch die Zähne. „Also haben wir es mit einem wohlhabenden Schützen zu tun?“
„Wenn eine unserer Theorien darin besteht, dass es sich bei der Tat um einen Auftragsmord handelt, dann wissen wir, dass diese Täter oft fürstlich bezahlt werden“, gab Christensen zu bedenken. Wiebke wunderte sich ein wenig darüber, dass der Husumer Kripochef eine derart kühne Theorie zu verfolgen schien. Sie fragte sich, ob es dafür einen Anhaltspunkt gab.
„Am Schuhgeschäft sind die Kollegen auf Sylt“, bemerkte Johannsen. „Ich habe Nele Paulsen darauf angesetzt. Sie war schon dort und hat versucht, eine Art Kundenkartei zu bekommen. Wenn uns das gelingt, dann führt uns das möglicherweise zum Täter.“
„Was kann man zur Tatwaffe sagen?“, fragte Jensen.
„Die Patronenhülse konnte bereits sichergestellt werden, die Herkunft von Munition und Waffe ist unklar, aber ich werde gleich nach dem Meeting die Datenbanken durchforschen. Möglicherweise trat die Waffe bereits in der Vergangenheit bei einer Straftat in Erscheinung.“
„Bis jetzt hat es den Anschein, dass es sich um eine nicht registrierte Waffe handelt. Sie taucht nicht in unseren Datenbanken auf, aber ich bleib dran. Es ist ein Kinderspiel, sich eine Waffe aus dem Darknet zu beschaffen und sie mit Bitcoins zu bezahlen“, brummte Tadsen, ein wortkarger Kriminaltechniker vom K 6 in Flensburg. „Ich stehe bereits mit dem BKA in Kontakt und versuche, die Herkunft der Tatwaffe zu rekonstruieren.“
Jensen nickte zustimmend.
„Wer sagt denn, dass es sich um einen Auftragsmord handelt?“, wagte Wiebke einen Einspruch. Sie warf Christensen einen Blick zu. Der Kripochef hob dezent den Daumen.
„Der Backgroundcheck von Hans Olaf Berger gestaltet sich äußerst komplex“, bemerkte der Strohblonde, der sich vorhin knapp als Rick vorgestellt hatte. Wiebke wusste nicht, ob das sein Vorname war oder ein Familienname. „Wir alle wissen, dass unser Opfer“, Wiebke fand, dass er das unser Opfer seltsam betonte, „kein unbeschriebenes Blatt in der Gesellschaft war. Er war ein äußerst erfolgreicher und wohlhabender Geschäftsmann, nicht umsonst nannte man ihn den Fürsten von Husum. Möglicherweise war er nicht überall beliebt.“
„Reicht das für einen Auftragsmord?“, warf Tamme Gerdes ein. Der Ostfriesenbulle richtete sich im Stuhl auf. Er legte die mächtigen Pranken auf die Tischplatte. „Könnt ihr euch vorstellen, dass es sich bei dem Auftraggeber unseres angenommenen Killers um einen Mitbewerber handelt?“
„Möglicherweise auch um jemanden, der sich von ihm betrogen fühlte“, erwiderte Rick schnell. „Wie wir wissen, hat er in letzter Zeit zunehmend Grundstückeigentümer mit harten Bandagen bekämpft, hat sie mit Hilfe der Behörden enteignet, um an ihre Flächen