WattenAngst. Andreas Schmidt

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WattenAngst - Andreas Schmidt

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zog einen Notizblick aus der Tasche und machte sich Notizen. „Sicher haben Sie den Namen der Freundin und des jungen Mannes?“

      „Aber sicher.“ Erika Brütsch trat an ein Beistelltischchen neben dem großen Sofa. Ihre Hände zitterten, als sie ein kleines, altmodisches Telefonregister nahm und darin blätterte. „Hier“, sagte sie schließlich und zeigte Wiebke ihre krakeligen Notizen. „Sven Gerissen heißt der junge Mann. Er wohnt wohl in der Husumer Neustadt, arbeitet als Verkäufer in einem Autohaus im Industriegebiet.“ Erika Brütsch nannte Wiebke Gerissens Adresse und die Nummer sowie den Namen des Autohauses, bei dem er arbeitete, danach blätterte sie weiter und fand den Eintrag von Kerstin Möllers bester Freundin. „Das ist Christiane Vollmer, sie wohnt in Treia.“ Auch hier diktierte sie Wiebke Adresse und Telefonnummer.

      „Haben Sie schon versucht, dort anzurufen?“

      „Aber sicher.“ Erika Brütsch nickte. „Leider vergeblich. Sie hat sich weder bei Christiane Vollmer, noch bei ihrem Freund gemeldet. Auch die beiden sind in größter Sorge, haben mich aber gebeten, noch abzuwarten, bevor ich die Polizei einschalte.“

      Wiebke horchte auf. „Warum das?“

      „Nun ja …“ Die alte Dame legte das Telefonbüchlein zurück und druckste herum. „Weil ich mir wohl zu oft und zu schnell Sorgen mache.“

      „Sie haben alles richtig gemacht, als Sie uns angerufen haben“, versicherte Wiebke ihr und deutete auf das Telefonbuch. „Bestimmt haben Sie auch die Nummer von Kerstin Möller notiert?“

      „Aber ja.“ Erika Brütsch nahm das Register wieder in die Hände und nannte Wiebke die Nummer. Wiebke zückte das Smartphone und wählte die Nummer. Schon nach dem ersten Freizeichen meldete sich die Mailbox. Wiebke unterbrach den Anruf, erhob sich aus dem bequemen Fernsehsessel und rief die Galerie ihres Handys auf. Schweigend zeigte sie Erika Brütsch das Bild, das sie bei der Grabstätte aufgenommen hatte.

      „Ist das ihre Kleidung?“

      Die alte Dame betrachtete das Bild auf dem Display. Ihre Augen schimmerten feucht, als sie Wiebke ansah und langsam nickte. „Ja“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Das sind ihre Sachen.“ Sie räusperte sich. „Wurde sie vergewaltigt?“

      Wiebke fand, dass die alte Dame bei aller Emotionalität abgeklärt klang. „Das wissen wir nicht. Spaziergänger fanden die Kleidung bei der Grabstätte bei Mildstedtfeld, von Kerstin Möller fehlt uns jede Spur. Um sicherzugehen, würde ich gern einen DNA-Vergleich anordnen“, erklärte Wiebke. „Dürfte ich mich in Kerstin Möllers Wohnung umsehen?“

      „Aber sicher doch.“ Sie ging voran zum Flur. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen ihr Apartment.“

      ZEHN

      Bundesstraße 201 bei Schuby

      Es war ein Kinderspiel gewesen, die Überreste von Kers-

      tin Möller zu entsorgen. Niemand beobachtete ihn dabei. Obwohl, wenn man es ganz genau nahm, dann sahen ihm sogar Gott und die Welt dabei zu – ohne auf dem Schirm zu haben, was hier, auf der Bundesstraße in Richtung Westen, überhaupt abging. Ein siegessicheres Grinsen stahl sich auf seine Mundwinkel.

      Ich bin gut, sagte er sich immer wieder. Verdammt gut.

      Seine Hand zitterte ein wenig, als er den unauffälligen Schalter unter dem Armaturenbrett betätigte, ohne den Blick von der Landstraße zu nehmen. Ein gelbes Lämpchen im Armaturenbrett zeigte ihm, dass seine Erfindung funktionierte. Durch den Knopfdruck hatte sich ein geheimes Ventil im Wagenboden geöffnet, durch das die unbrauchbar gewordene Flüssigkeit ins Freie rann.

      Zwei Stunden waren vergangen, seitdem er die Anlage erstmals in Betrieb genommen hatte. Bisher hatte sie tadellos funktioniert. Die Brühe, die durch das komplexe Rohrleitungssystem unter dem fahrenden Wagen auf die Straße sickerte, war farb- und geruchsneutral. Und sie war biologisch abbaubar und nicht nachzuweisen. Kein noch so abgedrehter Umweltfreak konnte ihm etwas ans Zeug flicken – vorausgesetzt, sie hatten überhaupt auf dem Schirm, was hier gerade vor sich ging.

      Ich bin gut …

      Unter anderen Umständen hätte er sich für die geniale Erfindung feiern lassen. Doch dann wäre er für den Rest seines Lebens in den Bau gewandert. Und er hatte noch ganz andere Pläne. Nein, der Knast war keine Option für ihn.

      Erst einmal musste er seine Mission fortsetzen.

      Ein Zeichen setzen, ihr zeigen, wie mächtig er sein konnte, und ihr beweisen, wie sehr er sie liebte. Doch noch war es nicht so weit. Er musste sich in Geduld üben, um sie zu überzeugen. Doch je länger er darüber nachdachte, umso sicherer wurde er, auf dem richtigen Weg zu sein. Abgesehen davon gab es keinen Weg zurück mehr. Jetzt galt es, aufs Ganze zu gehen.

      Die Nachrichten überschlugen sich förmlich: Zu dem rätselhaften Mord an Hans Olaf Berger war eine vermisste Frau gekommen – die Polizei hatte reichlich Arbeit. Da würde ihm so schnell niemand auf die Schliche kommen.

      Ein Lichtreflex im Rückspiegel riss ihn aus den Gedanken. Er beugte sich vor und sah einen silbernen VW Passat, der ihm dicht auffuhr und immer wieder die Lichthupe betätigte.

      Sein Herzschlag schien einen Moment lang auszusetzen. Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich. Stimmte etwas mit der Maschine nicht? War man ihm doch auf die Schliche gekommen?

      Das war unmöglich, denn er hatte alles gut vorbereitet.

      Doch was wollte der verdammte Typ in der Vertreterkarre, der ihm seit einigen Kilometern schon im Kofferraum hing?

      „Überhol doch, du Arschloch“, zischte er, nahm den Fuß vom Gas und zog den Wagen so weit an den rechten Fahrbahnrand wie möglich.

      Der Fahrer hinter ihm nutzte die Gelegenheit, um noch dichter aufzufahren. Doch er überholte nicht.

      Jetzt drang das Dröhnen einer Hupe an seine Ohren.

      „Fahr vorbei“, brüllte er wütend. Ich muss cool bleiben, mahnte er sich. Was will der blöde Arsch von mir?, fuhr es ihm durch den Kopf.

      Kurz spürte er Unsicherheit aufkommen. Er war versucht, das Ventil im Fahrzeugboden zu schießen, entschied sich aber dagegen. Der nervige Passat-Fahrer konnte unmöglich bemerkt haben, was hier gerade abging. Während er den Wagen mit knapp hundert Stundenkilometern über die Bundesstraße in Richtung Westen rollen ließ, entsorgte er, völlig unbemerkt von der Außenwelt, die Altlasten. Dabei spielte ihm der Nieselregen sogar in die Karten, denn er spülte die Flüssigkeit im Nu von der Fahrbahn.

      Bleib locker, mahnte er sich zur Ruhe. Der Typ hat keine Ahnung, was hier gerade läuft. Er warf einen irritierten Blick in den Außenspiegel. Doch nichts wies darauf hin, was gerade passierte, keine auffällige Spur, die er hinter sich herzog, nichts. Wer auch immer ihm da bis auf die Stoßstange aufrückte, er konnte nicht ahnen, was hier gerade geschah. Langsam beruhigten sich seine Nerven. Er atmete zwei-, dreimal tief durch und lehnte sich entspannt im Fahrersitz zurück.

      Gut so, dachte er zufrieden. Ich befinde mich mitten unter euch, und ihr bemerkt nicht die Blutspur, die ich durchs Land ziehe. Gut so.

      Der Regen tat sein Übriges: Durch die nasse Fahrbahn war der Flüssigkeitsfilm, den er hinterließ, unsichtbar für den Rest der Welt.

      Er war so unendlich gut. Zufrieden lehnte er sich im Fahrersitz zurück,

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