WattenAngst. Andreas Schmidt

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WattenAngst - Andreas Schmidt

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und gingen ihren Berufen nach. Er atmete tief durch. Eigentlich ging es ihm gut. Er lebte dort, wo andere Urlaub machten. Er war sein eigener Chef und hatte sein Leben fest in der Hand. Lange war das nicht der Fall gewesen, doch er war gerade im Begriff, die Schieflage wieder zu richten. Und der Anfang war gemacht.

      Als er Hunger verspürte, überlegte er, wo er zu Mittag einkehren konnte. An Kneipen, Bars und Restaurants mangelte es nicht. Er entschied sich für einen Abstecher auf das Restaurantschiff „Nordertor“, das seit einigen Jahren unter neuer Flagge an seinem Standort im Binnenhafen lag. Claude Bruhn, der kultige Kapitän, war vor Längerem schon von Bord gegangen, um den wohlverdienten Ruhestand zu genießen. Touristen und waschechte Nordfriesen hatten ihm lange hinterhergetrauert. Claudes Nachfolger führten die alte Tradition auf dem ehemaligen Fahrgastschiff fort, hatten frischen Wind in die Institution gebracht, ohne dem Konzept des Restaurantschiffes untreu zu werden.

      Ohne Eile nahm er die leicht schwankende Gangway und fand sich im Vorderdeck des alten Schiffes wieder. Eine kleine Tür führte in den Gastraum, er musste den Kopf einziehen, um sich nicht zu stoßen. Drinnen schlug ihm eine wohlige Wärme entgegen, als er sich an einen freien Tisch setzte, von dem aus er den Blick auf das Hafenbecken und den Tonnenleger „Hildegard“, der als Touristenattraktion seit vielen Jahren auf der stillgelegten Slipanlage vor dem Rathaus ruhte, genießen konnte.

      Im Innern der „Nordertor“ herrschte nicht viel Betrieb, und so dauerte es nicht lange, bis ihm die Bedienung die Speisekarte brachte und er eine Apfelschorle bestellte. Eher desinteressiert blätterte er durch die Karte und entschied sich schließlich für eine Portion Backfisch im Bierteig und Bratkartoffeln.

      Die Bedienung brachte ihm die Apfelschorle. Er bedankte sich höflich, erwischte sich dabei, der jungen Frau im Weggehen auf den Hintern zu starren, und trank einen Schluck. Dann setzte er das Glas auf dem Untersetzer ab. Schließlich wollte er keine unansehnlichen Ränder auf der Tischdecke hinterlassen.

      Während er auf das Essen wartete, das in Deutschlands wohl kleinster Restaurantküche zubereitet wurde, zog er sein Smartphone aus der Tasche und stöberte ein wenig in den sozialen Netzwerken. Dann fand er ihr Foto. Er spürte, wie sich sein Herzschlag bei ihrem Anblick beschleunigte. Es schien, als würde er sie schon seit Ewigkeiten kennen. Da waren diese Vertrautheit, dieses angenehme Lächeln und die Grübchen in ihrem Gesicht, wenn sie lachte. Dass er selber lächelte, bemerkte er nicht.

      Bald gehörst du mir. Fast zärtlich strich seine Daumenkuppe über eines ihrer zahlreichen Bilder im Netz.

      „So“, riss ihn die Stimme der jungen Kellnerin aus den Gedanken. „Einmal Backfisch und Bratkartoffeln.“

      Schnell ließ er das Handy verschwinden und betrachtete das Essen. Erst jetzt spürte er, wie sein Magen knurrte. Höchste Zeit, dass er sich eine warme Mahlzeit gönnte. Hungrig rollte er das Besteck aus der Serviette und machte sich über den Fisch her. Gleich nach dem Essen würde er sie aufsuchen.

      Ich habe eine gute Auswahl getroffen, dachte er zufrieden, als ihr Lächeln wieder vor seinem geistigen Auge auftauchte.

      Und damit meinte er nicht das Essen, sondern sein nächstes Opfer. Bald schon würde er sie sich holen. Doch ein paar Stunden musste er sich noch gedulden.

      *

      Husum, Autohaus Reiners, 11.50 Uhr

      Es roch nach Reifen und Polierwachs. Der Verkaufsraum mit großer Fensterfront zur Flensburger Chaussee war vollgestellt mit den Neuwagen, die der Hersteller auf der letzten Automobilmesse in Frankfurt erst präsentiert hatte. Auf Plakaten warb man mit „satten Rabatten“ und günstigen Finanzierungen für den Kauf eines neuen Autos. Wiebke schlenderte durch die Reihen der blitzblanken Fahrzeuge und schielte unauffällig zu den gläsernen Büros im hinteren Bereich der Neuwagenausstellung.

      Für Wiebke war ein Auto nichts als ein Fortbewegungsmittel, mit dem man – je nach Modell – mehr oder weniger komfortabel von A nach B kam. Sie verstand nicht, dass ein Auto für viele Mitmenschen ein Statussymbol war. Genauso wenig wie sie die Leute verstand, die samstagvormittags Stunden damit verbrachten, den fahrbaren Untersatz zu putzen und zu polieren.

      „Kann ich Ihnen helfen?“ Die freundliche Stimme riss Wiebke aus den Überlegungen. Ohne sich umzudrehen, erkannte sie die Stimme des Mannes, die sie eben schon auf dem Anrufbeantworter gehört hatte. Hinter ihr stand der Mann, den sie von den Bildern an Kerstin Möllers Garderobenspiegel kannte.

      Nahezu lautlos war der attraktive Mittdreißiger in gut sitzendem Anzug und einer farblich zum Jackett passenden Jacke hinter ihr aufgetaucht. Der Duft seines Aftershaves umgab ihn wie eine unsichtbare Wolke. Wiebke ertappte sich dabei, genießerisch die Luft durch die verschnupfte Nase einzuziehen.

      Sie überlegte, ob sie gleich mit der Tür ins Haus fallen sollte, entschloss sich aber dagegen, sich gleich als Polizistin zu outen. „Ich würde gern mit Herrn Gerissen sprechen.“

      Das Lächeln um das kantige Kinn ihres Gegenübers wurde eine Spur breiter. „Da haben Sie großes Glück, ich stehe zur Verfügung.“ Gerissen hielt ihr die Hand hin. Wiebke nahm sie und stellte fest, dass sein Händedruck angenehm fest, aber nicht wie ein Schraubstock war. „Was kann ich für Sie tun?“

      „Mein Name ist Wiebke Ulbricht, ich bin Polizistin.“ Sie blickte sich im Verkaufsraum um. „Können wir irgendwo ungestört reden?“

      „Aber sicher.“ Das Lächeln auf seinen Lippen erlosch. „Sie kommen wegen Kerstin, nehme ich an?“

      „Ja. Ich habe ein paar Fragen an Sie.“

      „Natürlich.“ Sven Gerissen machte eine auslandende Bewegung und deutete in Richtung der beiden gläsernen Büros. „Kommen Sie.“

      Wiebke folgte ihm in das kleine Büro und nahm vor dem ebenfalls gläsernen Schreibtisch Platz. Während Gerissen den Schreibtisch umrundete, um sich zu setzen, schaute Wiebke sich um. Das Büro war höchstens fünf Quadratmeter groß und recht spartanisch eingerichtet. Es gab einen Schlüsselkasten, in dem sich unzählige Autoschlüssel befanden, einen großen Kalender mit den aktuellen Modellen des Autoherstellers und ein halbhohes, offenes Aktenregal. Auf dem Schreibtisch die Nachbildung eines Autoreifens, die als Stifteköcher diente, daneben eine Zettelbox, die aus einem Miniatur-Motorblock bestand. Darauf erkannte Wiebke das Logo des Autohauses. Auf der linken Ecke stand ein flacher Monitor, zu dem sich Maus und Tastatur gesellten. Ein stehender Bilderrahmen war das einzige persönliche Einrichtungsmerkmal an Gerissens Arbeitsplatz. Wiebke bedauerte, aus ihrem Blickwinkel nur die Rückseite des Rahmens sehen zu können. Es hätte sie interessiert, ob Sven Gerissen das Bild seiner Freundin auf dem Schreibtisch stehen hatte.

      „Kerstins Vermieterin ist außer sich vor Sorge“, begann Gerissen das Gespräch, während er die fein manikürten Hände auf der gläsernen Tischplatte faltete.

      „Sind Sie nicht in Sorge?“, konterte Wiebke.

      „Doch, natürlich.“ Gerissens Antwort kam zu schnell, zu spontan. Sein Blick wurde unstet, während er mit den feingliedrigen Händen rang. „Was denken Sie denn?“ Als er zu Wiebke aufblickte, hatte er die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst.

      Wiebke sparte sich eine Antwort. Sie wollte den Freund der Vermissten aus der Reserve locken.

      „Haben Sie denn schon eine Spur?“, riss Gerissen sie aus den Beobachtungen.

      „Leider nein.“ Wiebke schüttelte den Kopf. „Wie lange sind Sie schon ein Paar?“

      „Seit einem halben Jahr etwa.“ Er

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