FriesenFlut. Nané Lénard
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Die Eltern, die ihre Sprache immer noch nicht wiedergefunden hatten, aber den Jüngsten sich mit Bisswunden windend vor ihren Augen sahen, bauten in Nullkommanichts ihre Strandmuschel ab und suchten das Weite. Das Pärchen mit fester Liegeabsicht im Gefahrenbereich schwenkte sofort zur Seite ab und schaute nach einem anderen Plätzchen.
Hinnerk grinste. „Kreuzotter? Du bist ja echt mit allen Wassern gewaschen. Hier kriecht nicht mal ein Wattwurm vorbei.“
„Ist doch egal“, schmollte Oma Pusch. „Haben wir unser Ziel erreicht, oder nicht? Los, lass das Zelt aufpoppen, damit wir loslegen können. Und du, Rita, geh auf deinen Beobachtungsposten. Von jetzt an darf uns niemand stören.“
„Aye, aye, Kapitän“, sagte Rita und salutierte.
Während Hinnerk kurz an der buckeligen Stelle nach dem Hut grub, um den richtigen Platz für das Zelt zu finden, stand Rita wie ein Zinnsoldat mit Blick Richtung Strand und Hafen. In ihrer Hand hielt sie den Eimer, jederzeit bereit, ihn einem Spanner über den Kopf zu hauen, wenn er zu neugierig wurde. Schaufel und Schere waren unterdessen mit Hinnerk und Oma
Pusch ins Zelt gewandert. Da es draußen schon wahnsinnig heiß vom Himmel stach, kam es den beiden im Inneren zunächst wie eine Erleichterung vor, aber nur, bis die Sonne den dünnen Stoff durchdrungen hatte und die Luft unbarmherzig aufheizte. Dann saßen sie auch hier in ihrem eigenen Saft.
Den Kopf hätte man inzwischen nicht nur optisch finden können. Auch ihm hatte die Wärme zugesetzt, obwohl der Sand das Schlimmste verhindern konnte. Oma Pusch, die erst einmal nur einen Schnitt durch den Boden des Zeltes gemacht hatte, um es über den Schädel zu stülpen, fuhr nun beherzt fort und entfernte das untere Gewebe weiträumig rings um den Hut herum, der schon sichtbar war.
„Ist die Luft rein?“, fragte sie, bevor sie nun das zu untersuchende Objekt freilegte.
„Alles paletti“, erwiderte Rita. „Niemand mag Schlangen. Das wird sich herumsprechen. Falls einer kommt, sage ich, ihr sucht ein ganzes Nest von Kreuzottern.“
„Das ist ein guter Plan“, freute sich Oma Pusch und nahm einen Pinsel aus der Tasche.
„Uh“, sagte Hinnerk, „vorhin hat der noch nicht so gemüffelt.“
„Echt?“, fragte Oma Pusch und rümpfte die Nase. „Bist du sicher, dass es die Glatze ist?“
Beleidigt schwieg der alte Fischer. Was konnte er dafür? Er hatte geschwitzt und zum Duschen war keine Zeit geblieben. Das wusste Lotti doch.
„Kannst du bitte mal mit der Lampe genau auf den Schädel leuchten“, bat Oma Pusch. „Ein schlanker Mensch war das nicht. Eher ein Dickschädel!“ Sie kicherte nervös. „Ich will von allen Seiten Aufnahmen mit dem Smartphone machen.“
Jetzt im grellen Licht sah der Kopf irgendwie gruselig aus. Man sah, dass die Haut teilweise aufgeplatzt war, und da, wo einmal die Augen gewesen waren, klafften nur zwei Höhlen. Wobei Oma Pusch stutzte, als sie mit dem Smartphone noch genauer hineinleuchtete. Da steckte doch irgendwas Blinkendes drin, wenn man es direkt anstrahlte. Das war merkwürdig. Sie hatte keine Ahnung, was es sein konnte.
„Hast du was zum Prokeln?“, erkundigte sich Oma Pusch.
Widerwillig zog Hinnerk sein Schweizer Taschenmesser aus der quietschgelben Hose. Das hatte er immer dabei, ohne Wenn und Aber. Doch eigentlich wollte er nicht, dass sie sein Heiligtum dazu verwendete, um in den Augenlöchern eines Toten herumzustochern. Das war ekelig. Wie sollte er das je wieder sauber bekommen? Richtig sauber, so mit Desinfektionsmittel. So etwas hatte er nicht.
„Nun gib schon her!“, befahl Oma Pusch, die seine Gedanken erriet. „Ich sprüh dir das nachher ein oder wir legen es in Brennspiritus, keine Bange. Das ist nachher so keimfrei wie ein frisch gewickelter Babypopo, versprochen.“
Nicht wirklich überzeugt, aber ohne dass er eine Alternative in petto hatte, reichte ihr Hinnerk das geliebte Werkzeug mit ausgeklappter Klinge. Zuerst hatte er überlegt, ihr den Korkenzieher anzubieten. Den benutzte er nie, weil er immer nur Bier und Köm trank, aber wenn das nicht gegangen wäre, hätte sie zwei Teile beschmutzt. Das wollte er auch nicht. Was für ein Dilemma.
„Sei vorsichtig, das ist scharf“, warnte Hinnerk noch, aber Lotti bohrte schon und förderte zwei Steine zutage, die zu leicht waren für ihre Größe.
„Habt ihr das Schlangennest schon gefunden?“, rief Rita plötzlich laut von draußen.
„Wir graben noch, das müssen mindestens zehn Kreuzottern sein“, brüllte Oma Pusch zurück.
Das Ehepaar mit Baby in der Trage nahm sofort Reißaus.
„Die Luft ist wieder rein“, ließ Rita die beiden im Zelt wissen. „Schon was Neues?“
„Ja“, berichtete Oma Pusch, „anstatt Augen hatte der Bernstein in den Höhlen. Wenigstens glaube ich, dass es welcher ist. Guck du mal!“ Sie reichte Rita zwei Klumpen, die sie in ihrem Seidentuch hielt.
Die kreischte. „Bist du wahnsinnig? Das fasse ich nicht an.“
„Dann nimm halt ein Taschentuch raus und leg sie da rein“, grummelte Oma Pusch. Rita war manchmal umständlich. „Du musst sie ins Sonnenlicht halten, aber ich denke, das Gewicht spricht schon für sich. Sie wiegen fast nichts.“
„Moment“, bat Rita und nestelte in ihrer Jackentasche herum. Schließlich zog sie ein umhäkeltes Spitzentuch heraus und nahm die Steine widerwillig entgegen. Sie würde es auskochen müssen, aber ob die Spitze das aushielt?
„Denkst du echt, das ist Bernstein? Dann ist es wahnsinnig viel wert“, vermutete Hinnerk. Er konnte jeden Cent gebrauchen, und es würde ja niemand wissen, dass da im toten Kopf Kostbarkeiten gesteckt hatten. Sie konnten durch drei teilen.
„Nee, Hinnerk, so viel sind die Klunker heute bestimmt nicht mehr wert“, bedauerte Rita.
„Da muss ich dir aber entschieden widersprechen“, schaltete sich Oma Pusch ein, „denn das Gramm wird teurer als Gold gehandelt. Ich wollte mir neulich Ohrringe machen lassen und bin hinten übergefallen, als ich den Preis hörte.“
„Steck sie ein, Rita“, rief ihr Hinnerk aus dem Zelt zu. „Wir teilen dann.“
„Nix da, die stecken wir schön wieder in die Tiefe, damit alles unversehrt und an seinem angestammten Platz ist, wenn mein Neffe, der emsige Oberkommissar Eike Hintermoser, den Schädel später findet.“
„Mist“, brummte der alte Fischer und sah seine Felle davonschwimmen.
„Wir gucken jetzt erst mal, ob da an dem Kopf noch wer unten dranhängt“, beschloss Oma Pusch, „und dann brechen wir unsere Zelte ab, im wahrsten Sinne des Wortes. Hinnerk, du gräbst, hier ist die Schaufel!“
Der Angesprochene war nicht gerade begeistert, denn er schwitzte trotz der leichteren Klamotten inzwischen wieder wie verrückt. Das Wasser lief ihm den Rücken hinab. Aber Hinnerk schippte natürlich. Er war selbst neugierig.
Während er grub, blieb Oma Pusch mit ihrem Smartphone ständig auf der Lauer. Mittlerweile mussten sie den Sand