FriesenFlut. Nané Lénard
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Читать онлайн книгу FriesenFlut - Nané Lénard страница 6
Doch da fiel der Kopf mit einem Mal nach vorn um, und sie entdeckten das ganze Dilemma. An dem Schädel waren zwar ein Hals und auch eine Schulterpartie dran, aber mehr nicht. Darum hatte das Stillleben Übergewicht bekommen.
„Ih“, klagte Hinnerk beim Anblick des fehlenden Körpers.
„Ah, nur eine Büste“, freute sich Oma Pusch, „so etwas hatten wir noch nie.“
Vor lauter Neugier steckte Rita ihre Nase durch den Zelteingang. „Das will ich sehen!“
„Bleib draußen“, zischte Oma Pusch, „nicht, dass uns jetzt noch jemand entlarvt. Das wäre eine Katastrophe!“
„Ist ja schon gut“, maulte Rita, „dass du mir das alles aber schön auf Bildern festhältst.“
„Ehrensache“, erwiderte ihre Freundin und drehte den Körperteil mit Hinnerks Hilfe um, damit sie Fotos von allen Seiten machen konnte. „Wo der Rest wohl ist?“, sinnierte sie.
„Stimmt, das wäre interessant“, gab Hinnerk zu, „es fehlt ja ziemlich viel. Könnte sein, dass der Rest an verschiedenen Stellen hier am Strand verbuddelt worden ist. Das braucht weniger Platz, als wenn du einen ganzen Kerl einbuddeln musst.“
„Ist es ein Mann?“, fragte Rita von draußen.
„Schwer zu sagen“, gab Oma Pusch zu. „Das dachte ich zuerst, aber jetzt bin ich mir ehrlich gesagt nicht mehr so sicher.“
„Komm, dann lass uns jetzt Schluss machen und schnell von hier weggehen“, drängte Hinnerk. Ihm war nicht nur heiß von der Sonne. Er hatte auch ein schlechtes Gewissen. „Streuen wir jetzt nur Sand drüber und hauen schnell ab!“, schlug er vor.
„Nee, nee“, kam es von Oma Pusch. „Ihn oder sie buddeln wir feinsäuberlich genau so wieder ein, wie wir ihn gefunden haben. Es soll doch alles ganz Original sein.“
Hinnerk seufzte. Er hatte es befürchtet. Doch das Ganze war nicht so einfach. Wieder und wieder rieselte der Sand nach, sodass es nur mit Oma Puschs Hilfe gelang, die Büste ordnungsgemäß zu vergraben. Nun kam auch sie ins Schwitzen.
„Wer von uns verständigt denn gleich die Polizei?“, fragte Oma Pusch scheinheilig. Sie hatte nämlich keine Lust, sich von ihrem Neffen Oberkommissar dumme Sprüche anzuhören. Das kannte sie zur Genüge. Und sie wusste auch, dass Hinnerk mit Sicherheit nicht dazu bereit war, weil er bisweilen schlechte Erfahrungen mit den Beamten gemacht hatte. Blieb also nur Rita übrig. Sie schien es aber nicht zu kapieren, denn es blieb still. Also legte Oma Pusch nach.
„Ritalein“, säuselte sie, „du bist doch immer so verbindlich und höflich. Diese Aufgabe solltest du übernehmen. Dir kann man einfach nicht böse sein.“
Die Freundin fühlte sich einerseits gebauchpinselt, andererseits hatte sie keine Lust, bei der Kripo anzurufen.
„Ich mach’s bestimmt nicht. Da könnt ihr euch auf den Kopf stellen“, funkte Hinnerk dazwischen und schaufelte Sand über die toten Schultern.
„Wir müssen noch bis zu den Ohren“, überlegte Oma Pusch. „Dann setzen wir ihm oder ihr die Kopfbedeckung wieder auf und fertig. Rita könnte doch so tun, als sei sie am Strand entlanggegangen und hätte den Hut aufgehoben. Dann muss sie nicht mal anrufen. Einfach ein bisschen schreien und zetern. Ich wette, irgendein Depp wird dann schon die Polizei verständigen. Sind ja genug Leute hier.“
Rita stöhnte. „Na gut, wenn ich nicht selbst anrufen muss, mache ich es, aber ich will keinesfalls befragt werden.“
„Dann musst du ganz schnell wegrennen, während du schreist und am besten vorher den Strohhut wegschleudern, damit man die Glatze sieht. Später mischst du dich einfach unters Volk. Das ist die beste Tarnung“, sagte Oma Pusch. „Vorher müssen Hinnerk und ich aber weg sein. Klar?“
„Ja, ja, schon gut“, erwiderte Rita, „dann macht mal, dass ihr wegkommt. Wir treffen uns gleich im Kiosk.“
Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen. Ruckzuck rollte Hinnerk das Zelt ein. Oma Pusch nahm Rita den Eimer ab, legte Schere und Sandschaufel hinein und schlenderte eingehakt mit dem alten Paradiesvogel in Richtung Hafen zurück. Heimlich im Gepäck trug sie eine ganze Menge Fotos des merkwürdigen Torsos. Der Hut blieb auffällig zurück.
Ritas Schauspiel
Sehnsüchtig blickte die Freundin hinter Oma Pusch her. Dies hier war eine Aufgabe, der sie sich nicht wirklich gewachsen fühlte. Eigentlich log sie nicht, sondern sagte immer die Wahrheit, bis auf ein paar kleine Notlügen vielleicht, aber das machte ja jeder. Dafür musste man sich nicht schämen, doch hier am Strand jetzt ein Riesenzinnober zu veranstalten, das war so gar nicht ihre Art. Na ja, es half nichts, mit seinem Schicksal zu hadern. Sie hatte es versprochen und wollte Lotti nicht im Stich lassen. Damit Rita nicht wie Piksieben herumstand, hielt sie ihre Hand über die Augen und tat so, als ob sie aufs Meer starren und nach irgendeinem imaginären Schiff Ausschau halten würde. Als die beiden Totengräber außer Sicht waren, fasste sie sich ein Herz und schlenderte wie zufällig in Richtung Hut, hob ihn auf und fing wie wild an zu kreischen. Dabei trampelte sie auf der Stelle. Es sah eher komisch aus, tat aber seine Wirkung. Die Leute wurden neugierig und wollten ihr zur Hilfe eilen.
„Hilfe, eine tote Leiche!“, schrie Rita, um für noch mehr Tumult zu sorgen. „Mit ohne Augen, ihh!“
Jetzt gab es kein Halten mehr. Die menschliche Natur war im Grunde schlicht. Sensationslust trieb all die Touristen wie von Zauberhand herbei, die in Hörweite am Strand waren. Das wollte man sehen. Nachdem sich eine Traube um den bedauernswerten Schädel gebildet hatte, zog sich Rita unauffällig aus der Affäre, indem sie mit kleinen, leisen Schritten rückwärtsging. Zur Tarnung zog sie sich den Dekoschal, den sie um den Hals trug, wie ein Kopftuch über. Die Enden baumelten über die Schulter. Ihre Brille steckte sie in die Tasche, dann schlüpfte sie aus der Hose. Glücklicherweise war ihre Bluse lang genug. Bisher hatte sie sie in den Bund gesteckt. Jetzt sah es aus, als ob sich eine ältere Dame im Strandkleid vor der sengenden Sonne schützte. Die Verwandlung war perfekt. In einiger Entfernung blieb sie stehen und blickte zurück. Die Menschentraube war noch größer geworden. Sie konnte den Kopf ganz getrost seinem Schicksal überlassen. In Kürze würde er geborgen werden. Damit würde auch die Suche nach dem Mörder beginnen. Denn eins war ja wohl sonnenklar: Niemand, der keinen Dreck am Stecken hatte, wäre auf die Idee gekommen, einen Torso am Strand zu vergraben.
Konspirative Sitzung im Kiosk
Als Rita am Kiosk ankam, hatte Oma Pusch alle Hände voll zu tun. Hinnerk stand hinten an der Anrichte und schmierte Brötchen, während ihre Freundin einen großen Eimer mit Rollmöpsen öffnete. Die Schlange vor dem Kiosk war lang. Dass Oma Pusch die besten Rollmopsbrötchen in Neuharlingersiel anbot, war längst kein Geheimtipp mehr. Mit einem Spritzer aus der Honigflasche verlieh sie den Snacks einen besonderen Pfiff. Außerdem geizte sie nicht mit dem Fisch und legte ein Röllchen mehr drauf. Jetzt, so kurz vor Mittag, regte sich der Appetit der sonnenhungrigen Strandlieger.
Aber heute konnte man behaupten, dass sich eine wahre Invasion vor dem Tresen tummelte. Das war einerseits gut, weil Oma Pusch viele Menschen ausfragen konnte, andererseits sprengte die Masse an Touristen schon fast die Kapazität ihrer Ressourcen.
„Rita, hol mal bitte schnell noch 20 Brötchen bei Hinrichs“, bat Oma Pusch. „Wir sind gleich ausverkauft.“
„Schick doch