Blutgrätsche. Jürgen Neff

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Blutgrätsche - Jürgen Neff

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»Wir haben die Aalener 4:1 verdroschen.«

      Danke. Aber Schröter kapiert noch immer nicht.

      »Die Aalener und Heidenheimer sind sich spinnefeind. Zwischen denen gibt es von jeher böses Blut. Und wenn die hier 4:1 untergehen, dann kochen die Emotionen hoch.«

      Jetzt lichtet sich der Nebel bei Schröter. »Ach so. Okay.«

      »Na endlich«, rutscht es mir heraus, und Schröters Gesicht verzieht sich.

      »Benimm dich, Nina«, meint Berti mit einer Tüte in der Hand. »Ihr Handy. Zertrümmert.«

      »Todeszeitpunkt?«, frage ich ihn.

      »Muss kurz nach dem Spiel gewesen sein.«

      Wäre kaum drauf gekommen. Manchmal kann ich mich einfach nicht beherrschen.

      »Moment mal«, sagt Berti und kniet sich neben Katrin. »Da steckt etwas.« Er beugt sich über ihr Gesicht, nimmt seine Pinzette und zieht ein Stück festen Stoff aus ihrem halb geöffneten Mund. »Ein Heidekopf-Emblem.«

      Wieder der Gedanke: so viel Nähe zu einem toten Menschen, der geliebt wurde. Das ist einfach nicht richtig. Wenngleich es sich bei Berti anders verhält. Er kannte Cat und mochte sie sehr. Das macht es ein wenig besser.

      Er lässt das Emblem in eine Plastiktüte fallen. »Vermutlich von ihrer Kleidung abgerissen.«

      »Das klingt fast wie eine symbolische Degradierung«, brütet Schröter. »Auch wenn in dem Abreißen irgendwie Wut steckt.«

      Ich mustere ihn. »Du siehst echt zu viele amerikanische Serien, Schröter.« Er antwortet mir nicht, und ich frage in die Runde: »Wer war gestern hier?« Drei Streifenpolizisten heben den Arm. »Wer nicht dienstlich, sondern im Block?« Alle drei lassen ihre Arme wieder sinken.

      »Ich«, erklärt in diesem Moment Berti.

      »War eigentlich klar. Ist irgendetwas vorgefallen in der Kurve?«

      »Was denkst du, bei diesem Ergebnis? Die Fanatico Boys haben natürlich aufgedreht. Die Fans der anderen auch. Schätze, es waren 300 bis 400 Ultras auf beiden Seiten.«

      »Aalener Crew Eleven.«

      Berti nickt.

      »Schweinskopf-Parolen?«

      »Klar. Die skandierten die Aalener schon vor dem Stadion, beim 0:1 gegen uns auch, später, als es 3:1 für uns stand, noch viel lauter und verbissener. Und auf dem Rückweg zum Bahnhof.«

      »Wie viele von uns waren im Einsatz?«

      »Zwei Hundertschaften«, informiert mich einer der Kollegen von der Seite.

      Klar. »Hochrisiko-Spiel.« Allen ist im Voraus bewusst, wie es dabei zugeht.

      »Wir hatten die Lage im Griff«, erklärt der Kollege weiter. »Die Blöcke waren gut separiert. Nach dem Spiel gab es einige Ausbruchsversuche, die Sonderkräfte konnten dies aber unterbinden. Außer der üblichen Randale im Zug und einiger unkontrollierter Bengalos am Bahnhof ist nichts weiter vorgefallen.«

      »Bis auf die drei Schwarzen, die sich in die Ost geschlichen hatten«, wirft Berti ein und ich sehe ihn an. Die Schwarze Elite der Aalener.

      »Die Ost?«, fragt Schröter.

      »Mensch, Schröter. Die Osttribüne, wo die heimischen Ultras stehen.«

      »Die drei Aalener haben sich hinübergemogelt«, erklärt Berti, »und einen Schweinskopf an die Wand gesprayt. Das warf aber keine Wellen mehr, weil der Ausgleich fiel. Und beim 2:1 inszenierte Katrin ihren großen Auftritt.«

      »Was meinst du?«

      Bertis Augen funkeln. »Hättest du sehen müssen: Es steht 1:1, und wir bekommen in der 71. Minute einen Elfmeter. Schnatti, der Kapitän, schießt, trifft den Ball nicht richtig, und der Aalener Torwart, der Italiener Brunelli, ist gut, kommt ran. Aber der Ball kullert trotzdem langsam hinter die Linie. 2:1, mit viel Dusel. Und Katrin springt auf die Balustrade, entreißt dem Capo der Fanaticos das Megafon. In dem Moment hält die Stadionkamera auf sie, und sie realisiert, dass sie auf der Großleinwand zu sehen ist. Sie reißt ihr T-Shirt hoch und auf ihren nackten Brüsten ist ein Stinkefinger gemalt, und darunter steht: ›Fuck you, Aalen!‹ Dann brüllt sie durchs Megafon: ›Fuck you, Aalen! Fuck you, Aalen!‹ Und die Menge tobt und brüllt mit.«

      »Scheiße.« Die Katrin. Oh Mann.

      »Nina. Keine Kontamination bitte«, weist mich Berti zurecht.

      Erst jetzt bemerke ich, dass ich meine Kippenschachtel und das Feuerzeug in den Händen halte. »Sorry.«

      Ich sehe auf das Emblem in der Plastiktüte, dann auf Cat hinab; Schröter und Berti auch. Der Philosoph spricht das aus, was wir alle denken: »Hat ihr jemand das Maul gestopft?«

      Und an das noch viel weniger

      »Mensch, Nina. Das ist ja der Wahnsinn!«, freut sich Vater Benzeler überschwänglich. »Schön, dich zu sehen. Komm rein!«

      Genau davor hatte ich Angst. Brauchte eine halbe Stunde, um mit Schröter aus dem Auto auszusteigen, und nochmals zehn Minuten, um endlich an dem Reihenhäuschen in der Albstraße zu klingeln, einer Allee, die einem das »Alles in Ordnung« entgegenbrüllt wie ein Bobbycar im Sandkasten: Birken rechts und links, säuberlich getünchte Familiennestchen, Geranientöpfe, ein Engel im Vorgarten – wenigstens kein Gartenzwerg, der hätte mir den Rest gegeben.

      Schröter gefällt es bestimmt. Bin mir sicher, bei ihm zu Hause sieht es nicht viel anders aus. Heim, Herd, Frau, zwei Kinder. Und ganz bestimmt auch Kugelgrill und Bobbycar.

      Wir gehen ins Wohnzimmer. Vor meinem inneren Auge eine Stadionuhr, die heruntertickt. Mit jeder Sekunde, in der ich nicht mit der Nachricht rausrücke, sie ihnen vor die Füße werfe, wird es schwerer. Nichts ist so fatal wie das Verschweigen eines Erdrutsches. Jede Sekunde zählt!

      »Du siehst gut aus, Frau Kriminalinspektorin«, bezirzt mich Katrins Erzeuger.

      »Danke, Alfred.« Kriminaloberkommissarin eigentlich.

      »Wollt ihr was trinken? Kaffee, Tee? Herr Schröter?«, fragt Anne.

      Schnaps! Mein Blick schreit Schröter an, stumm.

      Es hat sich nichts verändert in den letzten sieben Jahren. Gar nichts. Noch dasselbe Sofa mit den schrecklich großen Blumen auf dem Bezug. An der Wand das Foto der Fußballbrüder Heidenheim, ein Wimpel in Vereinsfarben. Vater Benzeler hat in der ersten Mannschaft gespielt. Zusammen mit meinem Vater. Vor Jahrzehnten. Daneben eins von Katrin. Dem einzigen Kind. Vor ihrem Motorrad, mit FCH-Schal. Freudestrahlend, als ende das Leben niemals.

      Er bemerkt, wie ich auf das Bild starre.

      »Ist nicht mehr das, was es einmal war, Nina. Du hast es rechtzeitig kapiert.«

      Ich sehe ihn an, und mein Inneres schreit. Meine Seele zerfließt zu Brei. Katrins Mutter mustert mich. Frauen. Diese scheißempathischen Wesen! Ich will heulen. Ich will, dass Anne mich in den Arm nimmt und ich einfach heulen darf wie eine Achtjährige. Umgekehrt

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