Blutgrätsche. Jürgen Neff

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Blutgrätsche - Jürgen Neff

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die Alles-in-Ordnung-Allee hinab. »Ich sollte hierbleiben. Sollte ihnen …« Aber ich kann nicht, spiele mit meinem Therapie-Gummiband am Handgelenk, will meine Atmung beruhigen. Und mein Hirn.

      Schröter versucht zu retten, was zu retten ist. »Den Schnaps hättest du rein nach Vorschrift nicht trinken dürfen.«

      Habe ich?! Anscheinend. Ich weiß echt nichts mehr. »Ich brauch ein Bier.«

      »Wir müssen in ihre Wohnung.«

      »Ich habe keinen Bock!«

      Er zieht die Augenbrauen nach oben wie mein Religionslehrer damals.

      Ich bin hier die Vorgesetzte, verdammt! Auf Professionalität darf nur ich mich berufen.

      »Verstehe, wer das Opfer war, und du erkennst, wie dein Täter ist.«

      »Wo du immer diesen Mist hernimmst, Schröter.«

      Kontrolliertes Chaos

      Einsam liegt ein einziger Füßling auf dem Teppich in der Mitte des Wohnzimmers. Wie Katrins Leiche oben auf dem Schlossberg.

      Kleine Wohnung, 60 Quadratmeter, schätze ich. Eckcouch, ein bisschen zerschlissen. Fernseher. Esstisch für vier Personen. Klamotten hier und Schuhe da, alles ziemlich chaotisch. Als sei sie gestern noch hier gewesen. War sie ja auch. Aber unter der Schlamperei – bei mir sieht’s um einiges schlimmer aus – alles auch irgendwie adrett, um nicht zu sagen spießig. Und in jedem Zimmer mindestens fünf Kätzchenabbildungen oder süße Katzenfigürchen. Frage mich, warum sie sich keine angeschafft hat. An der Wand ein Bild der aktuellen FCH-Mannschaft, bestimmt zwei auf einen Meter.

      »Wären die vielen Miezen nicht, könnte es die Wohnung eines Junggesellen sein«, meint Schröter.

      »Und der da.« Ich zeige mit der Nasenspitze auf das Söckchen.

      Intimschnüffelei. So gar nicht mein Ding. Ich fühle mich immer schlecht, wenn wir in Wohnungen fremder Leute herumschleichen, mit Gummihandschuhen Gegenstände befummeln, zu denen die Eigentümer eine ganz persönliche Beziehung hatten, die nur sie kannten. Für uns sind es einfach Dinge, für die Personen Geschichten. Reliquien ihres Lebens.

      Es ist wie mit den Leichen auch: Sie sind Arbeitsmaterial. Wie für den Tatort-Paparazzo heute Morgen. Zurückhaltung ist da fehl am Platz. Es geht darum, Beweise zu sichern, und nicht darum, dem Opfer gegenüber Abstand und Anstand zu wahren. Oder bei einem Verdächtigen. Oder Angehörigen. Wir schnüffeln in alle Winkel und Ritzen eines Lebens hinein, graben die liebevoll gehegten Geheimnisse einer Person ebenso aus wie die hässlichen, zerren sie ans Tageslicht. Das ist unser Job. Pietätlosigkeit mit Lupe und hochauflösender Kamera.

      Arbeitszimmer mit Stapeln von Akten. Kleiner Schreibtisch, Notebook. »Das nehmen wir mit«, bestimme ich.

      »Sollen wir die Spurensicherung reinschicken?«, fragt Schröter, und ich zucke mit den Schultern.

      Schlafzimmer. Zerknülltes Laken. Hübsche Farbe. Handschellen mit Plüschbezug am Gitterrost.

      Dann entdecke ich das Bild an der Wand: Cat, Arm in Arm mit ihrem Ex Johannes und einer Frau, die aussieht wie ich, nur jünger, und mit meinem Leo. Meinem Ex-Leo. Alle in den Farben der Osttribüne, der Heimat der FCH-Ultras, lachend. Bier in der Hand. Das Opfer und eine Person, die ich nicht mehr bin. Das ist fast zehn Jahre her, ich hatte weniger Falten und definitiv viel, viel weniger Ringe unter den Augen. War ich wirklich einmal so? Was für ein Weg führt von dieser Frau da zu der Person, die ich heute bin?

      Schröters Handy klingelt im Nebenraum, und er geht ran. Klingt nach der Forensik.

      Ich komme nicht los von dem Bild. Warum habe ich den Kontakt nicht gehalten? Warum sie nicht ab und zu angerufen? Wäre nichts dabei gewesen. Ich ertappe mich beim Stummeln, reiße mich los von dem Bild und schnüffle weiter herum. Finde nichts Spezielles. Da liegt noch ein Bild. Ein Foto. Auf dem Nachttisch. Ein junger Kerl, sehr attraktiv. Dunkler Teint, schwarze Locken. Irgendwoher kenne ich den.

      »Das war die Gerichtsmedizin«, holt mich Schröter zurück, der im Türrahmen steht. »Wie vermutet. Todesursache die drei Stiche direkt ins Herz.« Mir wird schlecht. Wut steigt in mir auf. Zu wem hast du hochgeblickt, Katrin? Welches Dreckschwein hast du als Letztes angesehen in deinem kurzen Leben?

      Schröter scheint zu ahnen, was ich denke. Er sieht mich wieder mit seinem Religionslehrerblick an, und ich werde noch wütender. »Was?!«

      Er schüttelt den Kopf. »Nichts.« Es brodelt.

      »Wurde sie vergewaltigt?«, fahre ich ihn an.

      »Wissen sie noch nicht genau. Erster schneller Befund: vermutlich nicht.« Schröter zieht Augenbrauen und Schultern nach oben.

      Irgendwann halte ich seinen Blick nicht mehr aus. Ich betrachte erneut das Foto von Cat und mir und bin froh, dass er nicht näherkommt. Ich will nicht, dass er mich so sieht. Dann nehme ich den Rahmen von der Wand. Scheiße. Fröhlicher. Viel, viel fröhlicher. Die Nina Schätzle von damals. Was ist passiert? Wo habe ich das gelassen, verdammter Mist?

      Im Moment bin ich froh über den kleinen Dachschaden, den ich habe. Der macht, glaube ich, vieles leichter.

      »Ruf Berti an. Er soll hier alles auseinandernehmen. Alles!«

      »Ich dachte …«

      »Ist mir egal, was du dachtest!«

      Wann bin ich eigentlich in diese beschissene Abseitsfalle geraten? Wenn ich dieses Schwein erwische.

      Tinder oder die Götterkomödie

      Tinder-Date am vorigen Sonntag.

      Ich denke mir, was soll’s, muss auch mal abschalten, und sage zu.

      Und da sitze ich nun. 09:30 Uhr. Eigentlich eine unmögliche Zeit für so ein Treffen. War sein Vorschlag. Aber ich wollte eh mittags noch einmal die aktuellen Fälle durchgehen und dann einen kleinen Spaziergang über den Hochberg machen. Das hilft mir, mich zu ordnen.

      09:40 Uhr kommt er endlich. Ich musste schon zweimal den Kellner vertrösten und bin bereits genervt. In der Realität sieht er weniger gut aus als auf den Fotos. So ist es ja immer.

      Jetzt kommt der Kellner natürlich nicht mehr. Klar. Ich würde es genauso machen. Der Typ grinst über beide Ohren, und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Zunächst bin ich froh, dass er mich nicht erkennt. Ich war die letzten Jahre häufig in der Presse, das macht das Privatleben nicht leichter. Und haben die Jungs erst einmal mitgekriegt, dass ich ein Bulle bin, dann klemmt ihr Schwanz in der Regel schon so eng zwischen den Schenkeln, dass man nicht weiß, ob man sich noch mit einem Kerl unterhält oder mit einer Pussy.

      Wir bestellen. »Einen großen Kaffee, bitte, schwarz.«

      »Eine Halbe Bier.«

      Wie bitte? Sein breites Grinsen verrät nicht: War das ein Scherz, oder meint er es so? Die lange Pause dagegen offenbart die Gedanken des Kellners, der darauf wartet, dass die Aussage revidiert wird. Wird sie aber nicht.

      Der Kellner mustert den Typ, dann blickt er mitleidig zu mir, notiert die zwei Dinge, als ob er sich die nicht merken könnte, vor allem das zweite, blickt erneut zu mir auf und ich sehe genau, dass

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