Osterläuten. Friederike Schmöe
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Osterläuten - Friederike Schmöe страница 3
»Ich hätte das Restaurant verkaufen sollen, als sie mich darum bat. Unsere Arbeitszeiten waren zu unterschiedlich. Wir haben uns praktisch nicht mehr gesehen.«
»Das Restaurant war dein Leben.«
»Nein. Mein Leben war Monika.«
Er war abgestürzt. Nach Monika. Hatte das Lokal aufgegeben und arbeitete heute in einer Kantine. Was er verdiente, reichte für die winzige Erdgeschosswohnung, in die nie ein Lichtschimmer drang. Er hatte keine Ambitionen mehr, keine Pläne, keine Wünsche. Außer dem einen: durchzuhalten, der Schlaflosigkeit Paroli zu bieten. Von der Straße drangen die Geräusche des allmählich anschwellenden morgendlichen Verkehrs herein.
Mia sah, dass André geweint hatte. Seine Augen waren gerötet, die weichen Gesichtszüge umschattet. Damals hatten sie gegenseitig ihre Krisen kennengelernt. Sich in allem gestützt.
Ich war zu jung. Ich war erst 18.
»Warum ist ihr Kopf in dem Wald? Warum nur der Kopf? Und da oben am Ellerberg, meine Güte. Warum hätte sie dorthin fahren sollen? Oh mein Gott.«
Sie sahen einander an. Seinerzeit hatten sie sich die Köpfe zermartert, versucht, sich an etwas zu erinnern, an einen kleinen Baustein nur, der den Gedankengebäuden, die die Polizei um sie herum errichtete, irgendetwas Sinnhaftes hinzuzufügen hätte. Vergebens. Es gab nichts, an das sie sich zu erinnern vermochten, denn Monika hatte nie etwas erzählt.
»Wo war noch mal dieser Wanderparkplatz?«, fragte Mia, als ihr die Stille zu tief und zu gefährlich wurde.
André stand auf und schlurfte aus der Küche. Sie hörte ihn mit Schranktüren klappern und Schubladen auf- und zuziehen. Schließlich kam er wieder, eine Landkarte in der Hand.
»Räum mal den Kram da weg.«
Mia kannte die Karte. Sie hatten sie gemeinsam mit Markierungen versehen, immer wieder neu, immer wieder aktuell, wobei es nichts zu aktualisieren gab. Alles nur Aktivismus, nur Vermutungen, nur ausgebrütete Geschichten. Wie der Plot für einen Film, der nicht von der Stelle kam. Mia stellte die Essensreste und das Brandyglas weg. »Zeig.«
Er breitete die Karte aus.
»Hier. Der Wanderparkplatz in der Fränkischen Schweiz. Im Aufseßtal. Da hat sie das Auto abgestellt.«
Mia starrte auf den Fingernagel mit dem Trauerrand. »Sie selbst. Oder jemand.«
»Jemand. Richtig. Irgendwer.« Sein Zeigefinger fuhr über die Karte. Wald. Höhenlinien. »Und dort …«
Der Kopf. Dort lag ihr Kopf. Mia spürte Brechreiz. »Das sind 30, 40 Kilometer.«
Sie sahen einander an.
»Was meinst du, wie lange hat er da gelegen?«, fragte André. »Der Schädel, meine ich.«
Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht.« Tränen kullerten aus ihren Augen. Sie wischte sie weg.
»Hast du Hunger?«
»Nach dem Brandy …«
»Macht Appetit. Ich weiß.« Er ging zum Kühlschrank. »Croque Monsieur?«
»Hm.«
Er schaltete den kleinen Grill an und ging zum Kühlschrank. Verquirlte Ei. Tunkte die Brotscheiben hinein. Belegte sie mit Emmentaler und Kochschinken.
»Béchamel?«
»Bitte!«
Er nickte, als habe er Mia ganz richtig eingeschätzt, kleckste Béchamelsoße auf die Sandwiches, deckte sie mit einer weiteren Toastscheibe zu und packte sie in den Grill.
»Kaffee?«
»Schwarz.«
Er mahlte Bohnen. Goss Kaffee auf. Obwohl Mia ahnte, dass er sich allzu oft gehen ließ, achtete er auf hochwertige Zutaten und sorgfältige Zubereitung. Mit Essen hudeln, das hatte er nicht einmal damals getan. Als Monika verschwand. Mit ihrem Auto. Als man das Auto an dem besagten Wanderparkplatz fand. Und keine Spur von ihr. Seit elf Jahren. Als habe es sie nie gegeben.
Und jetzt ein Schädel. Ein Phantombild ohne Haare. Ein wenig zu füllig gezeichnet, Monika war zierlich gewesen.
Keine anderen menschlichen Überreste. Zumindest nicht an dieser Stelle im Wald. Aber irgendwo musste doch der Rest sein.
Der Kaffeeduft belebte Mias Sinne. André stellte ihr eine Tasse hin.
»Danke!« Sie sog tief das Aroma ein. »Deine üblichen Keniabohnen?«
Er nickte. »Also. Wieso ist da der Kopf? Und sonst nichts?«
Rasch trank Mia einen Schluck Kaffee und verbrühte sich die Lippen. »Vielleicht war ein durchgeknallter Schädelsammler am Werk?«
»Wenn einer sammelt, ist der Schädel ja nicht im Wald, sondern bei dem Typen zu Hause.«
Sie drehten sich schon jetzt im Kreis. Monika war weggefahren, am Nachmittag des 11. April 2008, um welche Uhrzeit genau, hatte man nicht feststellen können, und genauso wenig, was ihr Ziel gewesen war. Fest stand nur, dass sie sich zuvor im Büro freigenommen hatte. Nur für diesen einen Nachmittag.
»Sie hatte was vor. Aber was? Keine ihrer Freundinnen hatte die leiseste Ahnung, und den Arbeitskollegen hat sie auch nichts gesagt.«
Sie hatten fantasiert. Mia und André. Vielleicht ein Arzttermin mit einer ungünstigen Diagnose, die sie erschüttert hatte? Doch bei keinem ihrer Ärzte hatte Monika für jenen Nachmittag einen Termin gehabt. Auch keiner der vielen anderen Erklärungsversuche – eine Affäre, eine neue Freundschaft – brachte irgendetwas über Monikas Verbleib ans Licht.
»Ich will den Schädel sehen«, sagte André.
»Mach das nicht.«
»Wieso denn nicht? Sie war meine Frau. Und jetzt kann ich sie endlich für tot erklären lassen. Damit sie ihren Frieden hat.«
Er nahm die Toasts aus dem Grill und servierte sie. Mit einer gelben Papierserviette.
»Stilvoll geht die Welt zugrunde«, murmelte er.
Zugrunde gegangen ist sie schon, dachte Mia. Hat sich aufgelöst in diffuse Schatten, zusammen mit Monika.
3.
Es regnete leicht, als Mia sich aufs Rad schwang und Richtung Berggebiet fuhr. Sie trat kräftig in die Pedale.
Ihre Eltern würden in einer guten halben Stunde zur Praxis aufbrechen, da blieb noch Zeit für ein kurzes Gespräch. Keinesfalls wollte sie ihnen die Neuigkeit am Telefon zumuten. Und vielleicht, hoffte sie irgendwo tief drin, hatten sie und André sich getäuscht. Womöglich war es nicht Monika. Sondern eine Frau, die ihr ähnlich sah. So etwas gab es.
Ihr Handy klingelte, als sie einem Taxi auswich, das knapp vor ihr nach rechts