Die Kuh gräbt nicht nach Gold. Bernd Gunthers
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Sie verbrachten eine gute Viertelstunde mit zunehmend mysteriösen Spekulationen über den Toten und Karles wiederholten Versuchen, auf scheinbar unverfängliche Weise Milkas Beziehung zu Hauptkommissar Eichert zu ermitteln. Ihre Antworten waren so glatt wie eine quicklebendige Bachforelle – nicht wirklich zu greifen. Karle, im Begriff, einen allerletzten Versuch zu starten, stoppte, als sich Peter Riegel näherte und ihnen winkend die Freigabe erteilte: »Sie dürfen jetzt.«
Milka wandte sich halblaut an Paul, startete erneut einen Versuch. »Du lässt mich jetzt wirklich hier stehen?« Paul schnitt eine Grimasse tiefsten Bedauerns, zuckte in einer hilflosen ich-kann-nicht-anders-Geste die Achseln und eilte dem Künzelsauer Kommissar nach.
Riegel streifte seine Kopfhaube nach hinten und zum Vorschein kam ein jugendlich-attraktives Gesicht. Er schüttelte seinen braunen Haarschopf zurecht und öffnete den Reißverschluss des Schutzanzugs. »Ganz schön heiß hier. Ich leiste Ihnen ein wenig Gesellschaft, Frau …«
»Mayr, Milka Mayr. Mayr mit Ypsilon.«
Riegels Augen blitzten bei dem Namen schelmisch, er unterließ jedoch jede anzügliche Bemerkung. »Sie wundern sich sicher, dass die Rechtsmedizin so schnell am Fundort war.«
»Nicht mehr«, klärte Milka ihn auf. »Kriminalhauptkommissar Karle hat mich informiert. Ich hab den Toten vom Wasser aus entdeckt.« Milkas Bericht war kurz und knapp.
»Ich gebe Ihnen mal einige Informationen«, sagte Riegel, der eher intuitiv Milkas Interesse an der Situation erkannte. »Der Tote liegt bereits längere Zeit an dieser Stelle. Bestimmt mehr als vier Tage.«
»Nicht ertrunken, vermute ich mal.«
»Soweit wir wissen, nein. Hätte natürlich ein Badetod sein können, und irgendjemand hat ihn dann rausgezogen.«
Milka nutzte die Gunst der Stunde und fragte nach.
»Ertrunken? Da gibt es einen klassischen Ablauf. Man hält beim Untertauchen zuerst die Luft an. Die einsetzende Anreicherung des Bluts mit Kohlendioxid führt dann zu einer zwanghaften Atmung. Wasser dringt in den Kehlkopf ein, löst einen Hustenreiz aus und führt dann mit weiterer Aspiration von Wasser zu starker Atemnot«, dozierte Riegel.
»Und dann ertrinkt der Mensch – mit dem eindringenden Wasser?«
Riegel nickte. »Da gibt es dann Erstickungskrämpfe, eine Schnappatmung und schließlich Atemstillstand.« Riegel holte Luft, sah in Richtung Ufer, der Blick zur Spurensicherung war aber von Bäumen versperrt. »Es kann aber auch unmittelbar zu einer Wassereinatmung kommen – bei schnell eintretender Bewusstlosigkeit, beispielsweise einem Infarkt.«
»Stimmt es eigentlich, dass alle Wasserleichen wieder nach oben kommen? Jetzt mal abgesehen von der Jagst, deren Wasser doch recht flach ist – zumindest im Sommer.«
»Wir kennen da den Spruch ›Die Wahrheit taucht immer auf – irgendwann‹. Wasserleichen, die nicht tiefer als 20 Meter liegen, tauchen nach einigen Tagen wieder auf, bleiben dann so zwei oder drei Tage an der Wasseroberfläche und sinken dann für immer wieder ab. Die Ursachen für das Auftauchen beschreibe ich Ihnen lieber nicht.« Herr Riegel rümpfte seine Nase.
»Und Sie sagen, bei unserem Toten war das nicht der Fall.«
»Bestimmt nicht. Mit abgehackten Händen geht man nicht ins Wasser. War übrigens wenig professionell gemacht, die reine Schlachterei.« Riegel schien Milkas heftiges Zucken nicht zu bemerken. »Der Mann ist bis zur Hüfte bekleidet, mit Jeans, deren Gürtel sich an einem Ast verfangen hat. Das hielt ihn fest. Der Oberkörper, der ab Brusthöhe im Wasser hängt, ist nackt. Keine Schuhe, keine Socken. Das Gesicht muss einen schweren Schlag erhalten haben. Der Kopf ist teilweise frei, wohl, weil der Wasserspiegel in den letzten Tagen leicht gesunken ist. Das alles, auch die Lage an diesem Baum, sieht so aus, als sei jemand beim Verbergen der Leiche gestört worden.«
Milka hatte sich wieder gefangen, biss kurz auf die Lippen, wollte abgebrühte Härte zeigen. »Die Verwesung hat bereits …?«
Riegel grinste, er betrachtete es wohl als kleine Vorlesung. »Die setzt bereits fünf Minuten nach dem Tod ein. Der menschliche Körper macht dann die letzte Metamorphose durch. Ein Wissenschaftler sagte einmal, der Mensch beginne sich selbst zu verdauen. Die Zellen lösen sich von innen nach außen auf. Erst wird das Gewebe flüssig, dann gasförmig.« Milka hielt sich anscheinend tapfer, jedenfalls sah Riegel keinen Anlass, seine Ausführungen zu beenden, schien aber neugierig zu werden. »Von der Kripo sind Sie wohl nicht, Frau Mayr? Andererseits, na ja, so ganz unbeleckt erscheinen Sie auch wieder nicht. Haben Sie denn, wie soll ich sagen, Erfahrung mit Mordfällen?«
»Ja, habe ich. Letztes Jahr. Ich konnte dabei Kommissar Eichert etwas helfen.« Milka zeigte einen ganz zarten Anflug von Lächeln.
»Klingt so, als wäre es mehr gewesen«, sagte Herr Riegel, mit einem Auge zwinkernd. »Warten Sie mal.«
Er war nach einer Minute vom Auto zurück, entfaltete nach einem kurzen Rundblick einen Schutzanzug. »Rein mit Ihnen, schnell.«
Plötzlich kamen Milka Bedenken. Klar, die Situation war höchst verlockend. Andererseits …
»Nun kommen Sie schon. Ich nehme das auf meine Kappe. Kapuze wäre wohl richtiger. Ziehen Sie die Haube über. Erkennt Sie niemand. Bleiben Sie immer an meiner Seite.«
Riegel bewegte sich in Richtung Fundort. Es war ein befremdliches, ein bizarres Bild, das sich ihnen bot. Einerseits die sanfte, reizvolle, beinahe liebliche Natur mit der leise murmelnden Jagst, sich im Uferbereich kräuselndes Wasser, das Grün der Wiese und eine idyllische Baumgruppe. Andererseits eine unwirklich erscheinende Szenerie. Der Tote, inzwischen vollständig aus dem Wasser gezogen, ein Fotograf, der seine Ausrüstung einpackte, der Rechtsmediziner auf den Knien, mit einer Lupe das Gesicht des Mannes absuchend und zugleich diktierend, fünf in Schutzanzüge Gekleidete. Einer, der Stimme nach konnte es Hauptkommissar Karle sein, schimpfte in Richtung Fluss, machte einem mit dem Handy fotografierenden Kanufahrer unmissverständlich klar, gefälligst zu verschwinden.
»Komplexe Geschichte«, flüsterte Riegel, der dicht bei Milka stehen blieb. »Einerseits haben wir den Körperteil, der an Land lag. Der bot verschiedenen Organismen sozusagen eine reich gedeckte Tafel.« Milka schauderte unter ihrem Schutzanzug ob der Wortwahl des Assistenten. »Da sind Bakterien, Insekten, Schmeißfliegen – das sind übrigens die schnellsten. Tja, und dann die Larven, die aus den Eiern schlüpfen. Die laben sich an der Substanz des Toten. Dann verlassen die Maden den Körper in Reih und Glied, folgen einer imaginären Linie nach Süden. Merken Sie übrigens den leichten Ammoniakgeruch? Das alles wurde hier gefördert durch die hohe Luftfeuchtigkeit am Wasser.«
»Das sind sicher keine Schauermärchen, Herr Riegel?« Trotz der Schwüle unter dem Anzug fröstelte Milka plötzlich.
»Ganz gewiss nicht. Manche Leicheninsekten sind für uns wie postmortale Totenuhren.« Riegel schüttelte den Kopf, die Bewegung eingeschränkt von der Kopfhaube. »Das Entwicklungsstadium, also Eier oder Larven, lässt auf die Liegezeit schließen. Nach dem, was ich gesehen habe, tippe ich auf etwa eine Woche Liegezeit. Ansonsten müssten bei den hohen Temperaturen bereits Anzeichen einer Skelettierung vorhanden sein. Da müssen wir aber ergänzend die Merkmale an den Körperteilen, die im Wasser lagen, hinzuziehen.« Milka versuchte, ihre Gefühlswelt durch kalte Schnoddrigkeit zu schützen. »Sie meinen, er wird angeknabbert?«
»Hm,