Die Kuh gräbt nicht nach Gold. Bernd Gunthers
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Читать онлайн книгу Die Kuh gräbt nicht nach Gold - Bernd Gunthers страница 6
Der Rechtsmediziner streifte seinen Overall ab und reichte ihn an Riegel weiter. »Das hat er Ihnen doch bestimmt schon erklärt. Also: Vor etwa einer Woche wurde der Mann an dieser Stelle mit einem stabartigen Gegenstand geschlagen. Ob der Schlag tödlich war? Hm, vermutlich. Wir werden sehen. Täter: eventuell eine Person, können auch zwei gewesen sein. Lässt sich aus den Spuren nicht klar erkennen. Einfach zu lange her.«
»Eine Woche?« Paul Eichert griff Riegels Andeutung auf.
»Plus ein oder zwei Tage. Werden wir ziemlich genau bestimmen können. Wir holen uns später die Wetterdaten.«
»Und nach dem Schlag wurde er zum Fundort geschafft?«
»Bei dem Gewicht des Mannes voraussichtlich mit einem Fahrzeug, ist immerhin ein halber Kilometer oder so«, sagte der Rechtsmediziner.
Oliver Karle nickte, als teile er die Einschätzung. »Dann könnten Blutspuren im Fahrzeug sein. Das Gesicht ist schließlich übel zugerichtet.«
»Da können Sie zuvor eine Plastiktüte drüber stülpen, damit nicht alles versaut wird. Aber theoretisch haben Sie recht.«
»Wie alt schätzen Sie denn das Opfer?«
»Schwer zu sagen«, Rühle zog die Augenbrauen hoch, »so um die 60, vielleicht knapp darunter. So. Das muss jetzt aber reichen. Wenn Sie noch etwas Wichtiges wissen wollen, fragen Sie Herrn Riegel.« Er blickte auf seinen Alukoffer. Sein Assistent verstand.
»Ich begleite Sie zum Auto«, meinte Karle. An Paul gewandt: »Bin gleich zurück.«
Peter Riegel nickte, lächelte Milka an und stapfte hinter seinem Chef her.
Paul Eichert sah für einen kurzen Moment den Kriminaltechnikern zu, die gerade ihre Utensilien verstauten. »Gehen wir, Milka?«
»Wohin?« Abgekoppelt von der Tatortanalyse und Spekulationen zum Geschehen, fehlte irgendwie der Plan. »Für Schöntal dürfte es jetzt zu spät sein.«
»Komm, wir gehen Karle nach.«
Der Künzelsauer Kommissar stand auf dem Weg und blickte dem Fahrzeug des Rechtsmediziners nach. »Ich nehme euch mit zum Kanu.«
»Und dann?«, fragte Milka trocken und blickte zwischen Karle und Paul hin und her.
Karle warf einen Blick auf das Display seines Handys. »Verdammt, schon spät. Ihr wollt bestimmt nicht weiter flussabwärts, Kloster Schöntal, oder? Ich rufe den Bootsverleiher an, der soll das Kanu abholen. Und euch nehme ich mit nach Krautheim zum Auto.«
Kommissar Karle und Paul schwiegen. Sie hängen anscheinend ihren eigenen Gedanken nach oder sind nach der nervenaufreibenden Aktion geistig entkräftet, dachte Milka. Sie fühlte sich selbst angegriffen, versuchte, Distanz zum Geschehen zu finden. Erst eine prickelnde, neugierige Anspannung zu Beginn ihrer Kanufahrt, das Wohlfühlen nach den ersten Kilometern in einer beruhigenden Natur. Und dann ein abrupter Schwenk, ein grausiger Fund, der an den Nerven zerrte und tief betroffen machte – obwohl sie persönlich nicht tangiert war. Es war das sich entfaltende innere Bild. Ein Mann, der geruhsam in einem Sessel am Flussufer sitzt, entspannt und geduldig auf den Biss eines Fisches wartend. Mit sich und der Welt zufrieden. Ruhig. Und dann, plötzlich, eine explosive Aktion. Womöglich ein kurzes, täuschend harmloses Gespräch über das Angeln an der Jagst, bei dem er den Kopf nach oben wendet und etwas über Elritzen oder Flusskrebse oder seinen Fang erzählt. Aus dem Nichts ein heftiger, brutaler Schlag auf Kopf und Gesicht, der Schmerz. Stille. Nichts mehr. Einfach so. Vorbei.
»Milka?«
Sie schreckte hoch. »Ja?«
»Kommissar Karle schlug gerade vor, hier in Krautheim in der Gaststätte zum Rad eine Kleinigkeit zu essen. Ist das okay für dich?«
»Ja sicher.« Im gleichen Moment bereute sie ihre Zusage. Eigentlich verspürte sie keinen Hunger und eine sicher belebte, laute Gasthausstube widersprach eigentlich ihrem momentanen Gemütszustand. Andererseits fehlte ihr die Energie, sich zu weigern und damit eine Diskussion auszulösen.
Milka atmete erleichtert auf, als sie das Lokal betraten. Nur an zwei Tischen saßen Gäste. Sie wählten einen entfernten Ecktisch.
Milkas Versuch, jedwede Nahrungsaufnahme zu verweigern und nur eine Apfelsaftschorle zu trinken, wurde von Hauptkommissar Karle entschieden abgeblockt – mit dem Hinweis, dies sei seine Einladung, sein Revier, und überhaupt. Schließlich musste sie seiner Empfehlung zu Kalbsbäckchen in Rahmsoße mit Spätzle und Salat Folge leisten. »Einen Seniorenteller«, rief sie der Wirtin nach, eingedenk ihrer Appetitlosigkeit.
»So äbbes hem’r ned«, kam es zurück, »s’isch ned so arg viel.«
Milka war froh, dass sich das Gespräch um, aus ihrer Sicht, eher belanglose Inhalte drehte. Die Konsequenzen der Polizeireform, neue Analysemethoden, die Kriminalstatistik im Landkreis. Für Milka war es nur ein Hintergrundrauschen, und so konnte sie ihren eigenen Gedanken nachhängen, bis die Wirtin das Essen auftrug. Zu ihrer eigenen Verwunderung entwickelte sie nach den ersten Bissen einen gesunden Appetit, es schmeckte auch zu gut. Als Karle dann doch auf den Mord zu sprechen kam, hatte Milka gerade ihren leer gegessenen Teller beiseitegeschoben und eine zweite Schorle bestellt.
»Die Tat soll ja vor gut einer Woche begangen worden sein. Mich wundert, dass in diesem Zeitraum keine Vermisstenmeldung auf unseren Tisch kam.«
»Viele Möglichkeiten«, meinte Paul Eichert. »Kann sein, er kommt von außerhalb, macht Urlaub, ist alleinstehend.«
»Muss er nicht eine Erlaubnis zum Angeln haben?«, warf Milka ein. »Ihre Leute könnten beim Hohenloher Fischereiverein nachfragen.«
»Ja, die Idee kam mir auch. Wenn er eine Gastkarte hat, dann wäre das wahrscheinlich ein Volltreffer. Ist er Mitglied, dann wird es schon schwieriger. Unsere IT-Spezialisten müssen mal zusehen, ob sie eine der Aufnahmen so bearbeiten können, dass ein halbwegs erkennbares Gesicht entsteht. Das Foto der Leiche kann ich unmöglich herumreichen.«
»Dem Anglerkorb konnten Sie nichts entnehmen, kein Handy, kein …?«
»Nichts«, sagte Karle in Milkas Satz hinein. »Kein Angelschein, kein Ausweis, kein Ring, keine Uhr – na ja, wir wissen, warum. Keine Geldbörse, kein Autoschlüssel. Absolut nichts, was irgendwie einen Hinweis auf die Identität des Toten geben könnte.«
»Also war jemand sehr gründlich«, folgerte Paul Eichert. »Unter der Annahme, dass ein Angler nicht in Gummistiefeln, Angelausrüstung und Klappstuhl Bus fährt, muss jemand sein Auto genommen haben.«
»Muss nicht, spricht aber einiges dafür.«
»Vielleicht sollten Sie doch die Jagst absuchen lassen.« Paul Eichert brachte den Vorschlag eher beiläufig, ins Off gesprochen vor.
Karle grinste. »Wollte diesem jungen Riegel nicht das Wort reden. Die Suche ist bereits veranlasst. Wir werden den Wald entlang des Weges absuchen und zwei Taucher in die Jagst schicken. Glaube zwar nicht, dass wir was finden, dran vorbei kommen wir aber nicht.«
»Irgendwie«, sagte Kriminalhauptkommissar Karle, als er Milkas Sporttasche in Paul Eicherts Auto umlud, »gefällt mir die Sache ganz und gar nicht.«
Paul hörte mit. »Ja? Ich ahne, was Sie meinen.«