Seelenfeuer. Cornelia Haller

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Seelenfeuer - Cornelia Haller

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Mitgefühl ist euch in diesen Stunden gewiss.

      Luzia, nun zu dir. Ich habe mir Gedanken über deine Zukunft gemacht, wie es meine Pflicht ist.

      Du solltest möglichst bald nach Ravensburg kommen, um das Grab deiner Mutter zu besuchen.

      Deine Mutter Anna hat eine Hebammentasche zurückgelassen. Sie gehört jetzt dir. Entscheide selbst, was du brauchen kannst. Nachdem nun deine Mutter nicht mehr ist, fehlt unserer Stadt auch eine tüchtige Hebamme. Ich bin der festen Meinung, dass du ihre Nachfolge antreten solltest.

      Ich kann mir denken, dass du mit Schrecken an deine Kindheit in Ravensburg zurückdenkst. Ich weiß, was Eusebius Grumper dir angetan hat. Er ist nach wie vor als Kaplan und Notar in der Stadt tätig. Dennoch hoffe ich inständig, dass ich dich überzeugen kann, nach Ravensburg zurückzukommen. Auch an Grumper ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen, und auf meine Unterstützung kannst du zählen. Zudem hättest du als Hebamme die Möglichkeit das Bürgerrecht zu erlangen. Dies würde deine Position stärken.

      Nach einer kurzen Vorstellung bei unseren Stadtärzten, am besten bei Johannes von der Wehr, unserem jungen Wundarzt, könntest du die Stelle schon bald antreten. Von der Wehr ist ein äußerst liebenswürdiger Mann, er bereitet dir sicher keine Schwierigkeiten.

      Liebe Luzia, ich bitte dich, meinen Vorschlag in deinem Herzen zu bedenken. Natürlich würdest du in meinem Haus wohnen, und ich würde für dein Wohlergehen sorgen und auf deinen Ruf achten. Seit Annegrets Tod ist das Haus so leer und für mich allein viel zu groß. Bitte überlege es dir, Ravensburg und ich freuen uns auf dich!

      Mit den allerherzlichsten Grüßen,

      euer aller Basilius. Im Jahres des Herrn 1483

      »Wie du es auch drehst und wendest, Ravensburg eröffnet dir ungeahnte Möglichkeiten!«, sagte Elisabeth und nahm sich seufzend ein weiteres Hemd aus dem Korb vor ihr, bei dem es ein großes Loch zu stopfen galt. »Luzia, Kind, du musst diese Gelegenheit nutzen! Auch wenn deine Erinnerungen nicht die besten sind. Bedenke, heute bist du eine erwachsene Frau, kein hilfloses Kind mehr!«

      Seitdem der Brief von Basilius eingetroffen war, redeten Elisabeth und Jakob mit Engelszungen auf ihre Ziehtochter ein, obwohl ihnen die Vorstellung, dass Luzia ihr Haus verlassen würde, Angst machte. Dennoch, eine solche Gelegenheit würde nicht wiederkommen! Elisabeth wusste, sie durfte jetzt nicht an sich denken.

      Luzia sollte Hebamme in einer der größten Städte der näheren Umgebung werden. Nur Konstanz, das sich auf der anderen Seite des Sees befand, zählte mehr Einwohner als Ravensburg.

      Und so wurde beschlossen, dass Luzia zum Herbst hin Seefelden verlassen und ihr neues Leben in Ravensburg beginnen sollte. Viel zu schnell gingen ihre letzten Wochen in der Fischergasse vorüber, und nun war schon der Tag des Abschieds gekommen.

      Noch heute Abend würde sie in das große Apothekerhaus ihres Onkels in der Marktstraße einziehen und fortan in Ravensburg wohnen. Matthias würde sie nach dem Achtuhrläuten mit ihren Habseligkeiten nach Ravensburg bringen.

      In den vergangenen Tagen waren Luzias Gedanken oft nach Ravensburg, die Stadt an der Schussen, gewandert. Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, als sie das erste Mal ohne die Mutter Basilius’ Apotheke betreten hatte. Sicher war sie auch vorher schon öfter dort gewesen. Dennoch hatte sich dieser Besuch eindeutig von den vorherigen unterschieden. Luzia hatte nicht vergessen, wie sehr sie sich bemüht hatte, die kleinen Buchstaben auf den vielen großen und kleinen Gefäßen in den mannshohen Regalen zu entziffern. Zuerst hatte sie gedacht, sie hätte über Nacht das Lesen verlernt. Dann hatte der Kaplan vielleicht doch recht gehabt? Weibliche Wissbegier außerhalb einer Klostermauer stellte für ihn eine schwere Sünde des von Natur aus schwachen und dummen Weibes dar. Immer hatte der Kaplan haarscharf zwischen ihr und den anderen Buben und Mädchen der Klasse unterschieden. Die wenigen anderen Mädchen waren äußerst widerwillig und gelangweilt zur Schule gekommen. Für sie war die Welt in Ordnung gewesen, wenn sie Nähen und Sticken durften. Der Umgang mit den Buchstaben war ihnen im Gegensatz zu Luzia sehr schwergefallen. Sie aber war aus freien Stücken gekommen. Lesen und Schreiben waren ihr in den Schoß gefallen. Für sie hatte es schon damals nichts Spannenderes gegeben, als die Welt zu verstehen, deshalb hatte sie immer viel zu viele Fragen gestellt. Schulmeister Grumper hatte ihre unbändige Fragelust unbarmherzig mit dem Stock oder dem Riemen bestraft. Freilich, auch die Buben hatte er bestraft, wenn auch nur für ihre frechen Antworten. Doch ihnen hatte der Schulmeister allenfalls den Hosenboden strammgezogen und das auch immer während des Unterrichts. Für Luzia hatte er sich etwas Besonderes ausgedacht. Sie hatte nach dem Unterricht im Kämmerchen neben dem Schulraum zu erscheinen. Noch heute glühten ihre Wangen vor Scham, wenn sie daran dachte.

      Sie hatte so viele Strafen für ihre Wissbegier hingenommen, und jetzt konnte sie die Worte auf den vielen Behältern nicht lesen. Erst Basilius’ Erklärung, dass es sich hierbei um Latein, die Sprache der Gelehrten handele, hatte Luzia zumindest ein bisschen versöhnlicher gestimmt. Zumindest hatte sie das Lesen nicht verlernt.

      Schnell zog Luzia die wackelige Tür zur Schlafkammer hinter sich zu. Elisabeth sollte nicht sehen, wie sie schon wieder weinte. Auf dem Bett sitzend, kämpfte sie den in heißen Wogen aufflackernden Schmerz zurück. Erst als sie sich einigermaßen beruhigt hatte, begann sie sich anzuziehen. Rasch bürstete sie die nassen, widerspenstigen Locken und nahm die fuchsrote Mähne im Nacken mit einem Lederband zusammen.

      Wehmütig ließ sie ihren Blick durch die kleine, gemütliche Kammer schweifen. Neben einem liebevoll gezimmerten Bett und einem Nachtkästchen aus dunklem Holz ließ sie den kleinen Schreibtisch zurück. Hier hatte sie oft mit Blick auf den See Pater Wendelins Pergamente beschrieben. Kleine Übersetzungen aus dem Lateinischen, Abschriften und manch andere Übung hatte sich der Pfarrer für sie ausgedacht. Sieben Jahre war dies ihre Heimat gewesen. In Seefelden hatte sie sich geborgen und angenommen gefühlt. Das Leben war leicht und selbstverständlich gewesen. Jeder kannte jeden. Die Allermeisten besaßen wenig bis nichts und dennoch waren die Menschen zufrieden. Luzia schluckte schwer. Wie sehr sie sie alle vermissen würde: Elisabeth und Jakob. Magdalena, die gute Freundin der vergangenen Jahre. Wie viel Spaß hatte es gemacht, plaudernd, lachend und singend mit ihr die Wäsche zu waschen und den Brotteig zu kneten. Von Magdalena hatte sie sich bereits am Vortag unter Tränen verabschiedet. Dann waren da die vielen Kinder, denen sie auf die Welt geholfen hatte, und natürlich Matthias. Sehr bitter war ihr auch der Abschied von Pater Wendelin gewesen. Luzia dachte an die vielen Lateinstunden oder an die etwas selteneren Lektionen in Griechisch. Darüber hinaus hatte der gemütliche Pater seine fleißige Schülerin in Botanik unterwiesen. Luzia vermisste schon jetzt die gemeinsamen Stunden des Lernens und der Gartenarbeit. Doch auch Pater Wendelin hatte ihr dringend zu einer Übersiedelung nach Ravensburg geraten.

      »Du tust gerade so, als wäre Ravensburg aus der Welt. Dabei ist es gerade einmal eine knappe Tagesreise von unserem See entfernt. Wenn dich das nicht überzeugt, solltest du bedenken, dass du auch von deinem Onkel noch eine Menge lernen kannst. Stell dir nur einmal vor, wie viele Bücher und Schriftrollen er besitzt?«

      Natürlich wusste Luzia, dass der Pater, Elisabeth und Jakob recht hatten. In Ravensburg würde sie das angesehene, gesicherte Leben der Stadthebamme führen. Aber es gab einen Winkel in ihrem Herzen, der wusste, dass in Ravensburg auch Gefahren auf sie warteten. Seit ihrer Ohnmacht nach Basilius’ Brief hatte sie immer wieder die hasserfüllte Stimme gehört und den brennenden Schmerz auf ihrem Rücken gespürt. Luzia ahnte, dass ihr in Ravensburg etwas auflauern würde. Böse und dunkel griff es bereits jetzt nach ihr.

      »Luzia, hast du keinen Hunger? Du musst etwas essen, bevor du dich auf den Weg machst«, mahnte Elisabeth.

      Die Stimme der Tante ließ Luzia aus ihren trüben Gedanken aufschrecken.

      Sie

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