Seelenfeuer. Cornelia Haller

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Seelenfeuer - Cornelia Haller

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Teil ihrer Johannisbuschen zum Kranz gewunden im Haar trugen. Die duftenden, bunten Sommerblumen schmückten die Frauen wie eine Sommerbraut oder eine Korngöttin. Fast alle trugen ihr Haar offen und hatten sich in ihre schönsten Gewänder gekleidet.

      »Ich kann Hans gar nicht entdecken. Er wird doch heute Abend kommen?«, fragte Luzia.

      Magdalenas Blick war schwer zu deuten.

      »Ich weiß doch, dass er dir gefällt«, ermutigte Luzia die Freundin.

      »Ich hätte doch lieber das rote Kleid wählen sollen. Oder meinst du, ich gefalle ihm auch in diesem blauen, alten Lumpen?«, fragte Magdalena zögernd. Sie wirkte plötzlich unsicher, obwohl es dafür überhaupt keinen Grund gab. Dennoch wusste Luzia, dass Magdalena sich ihrer Zähne schämte. Erst kürzlich musste sie der Bader wieder um einen Eckzahn erleichtern. Seither lachte Magdalena nicht mehr so gerne. Luzia fand das sehr schade.

      »Mach dir nicht so viele Gedanken! Natürlich wird dich Hans schön finden! Sieh doch nur dein wunderschönes Haar!«

      Magdalenas Arme legten sich um Luzias Mitte, und sie fand sich in einer stürmischen Umarmung wieder. Sie spürte Magdalenas Glück und die Ungeduld, mit der sie sich nach Hans umsah. Luzia konnte die Aufregung ihrer Freundin nur halb nachvollziehen. Sie war anders. Sie legte keinen Wert darauf, den jungen Männern aus dem Dorf den Kopf zu verdrehen.

      Nach und nach trafen immer mehr junge Männer und Frauen beim großen Festplatz auf der Landzunge ein. Traditionell bestand das Holz für die Sonnwendfeier aus neunerlei unterschiedlichen Sorten: Eiche, Birke, Erle, Esche, Holunder, Ahorn, Weißdorn, Schwarzdorn und Weide wurden von einem jungen Paar entzündet. In diesem Jahr war die Wahl auf Josef, den jungen Schuster, und seine zukünftige Frau, Elisa, gefallen.

      Bald brannte ein großes Sonnwendfeuer. Zweige knisterten und Funken stoben in die samtblaue Nacht. Der Mohrenwirt war mit seinem Karren von der Langen Gasse, wo sein Wirtshaus stand, bis ans Ufer des Sees gekommen. Unter den Bäumen hatte er seinen Stand aufgebaut und schenkte heißen Met aus. Luzia schaute ins Feuer. Glühend schossen die hellen Zungen weit in den Nachthimmel. Heute Nacht waren die Tore zur Anderswelt weit geöffnet. Dicht über der Wasseroberfläche schwebten silberne Schleier. Eine leichte Bö trug das leise Lachen der Wassergeister bis auf die Landzunge.

      An eine Weide gelehnt verfolgte Matthias, wie Luzia ein wenig abseits des Feuers barfuß und mit gerafften Röcken im Wasser stand. Er schaute ihr schon eine ganze Weile zu, wie sie tief in Gedanken versunken auf den See hinaus blickte. Sie verzauberte ihn, so wie sie es immer tat. Es fiel ihm schwer, sich von ihrem Anblick zu lösen. Das silberne Licht des Mondes tanzte wie eine geheimnisvolle Brücke aus Feenhaar über dem nachtschwarzen See. Mondschein und Feuer hüllten Luzia in einen Mantel aus Licht, das sich im Wasser zu ihren Füßen spiegelte. Wie gerne hätte Matthias mit dem Licht getauscht. Aber Luzia ließ ihn nie richtig an sich heran.

      Einen Augenblick hielt Luzia inne, um dem tiefen Herzschlag des Gewässers zuzuhören. Das grüne Haar des Sees bewegte sich im rhythmischen Puls der unsichtbaren Strömung. Neugierig liebkoste das kühle Nass ihre nackten Füße. Das leise Murmeln kam von der anderen Seite des Sees. Dort gab es einen unheimlichen Platz. Teufelstisch nannten die Leute die geheimnisvolle Felsnadel, die aus dem Wasser ragte. Über den Teufelstisch erzählte man sich furchterregende Dinge. Mitunter sollten dort riesige Welse leben. Halbe Seeungeheuer, die jedes Fischerboot mit sich in die Tiefe zogen. Boot und Fischer blieben auf ewig verschwunden.

      Sie entdeckte Matthias, der langsam Richtung Feuer ging. Sie winkte ihm zu, und er kam zu ihr.

      »Luzia, wie schön, dass du gekommen bist. Ich weiß nicht, mit wem ich sonst getanzt hätte«, begrüßte er sie.

      »Ach nein, weil es hier außer mir keine weitere Frau gibt, oder wie?« neckte sie und bereute es gleich, weil Matthias’ Miene sich verdüsterte.

      »Darf ich dich zu einem Becher Met einladen?«, fragte er zögernd.

      Luzia deutete eine Verbeugung an. »Mit Vergnügen!«, erwiderte sie. Sie wollte heute ausgelassen sein. Lachen und Tanzen, bis ihr schwindelte. Und ein paar Becher Met waren auch nicht zu verachten.

      »Dann lass uns zum Mohrenwirt hinüber gehen und sehen, was er dabei hat. Vielleicht verkauft er wieder die fettigen Küchlein vom letzten Jahr.« Luzia nickte und ein Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht.

      »Die, von denen du schon zur Wintersonnwende zu viele gegessen hast?«

      Matthias stutzte. »Das weißt du noch?«

      Sie nickte. »Ich werde nie vergessen, wie du jammernd auf deinem Bett gelegen hast und mich davon überzeugen wolltest, dein letztes Stündlein habe geschlagen – dabei hattest du dich einfach nur überfressen! Ich hoffe, du hast daraus deine Lehren gezogen. Jedenfalls holst du mich nicht wieder zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett, hörst du?«

      Matthias musste ebenfalls lachen. »War es wirklich so schlimm?«

      »Schlimmer!«, bestätigte Luzia und rannte Richtung Mohrenwirt davon.

      Sonnwendküchlein gab es tatsächlich, aber beide aßen nur sehr wenig davon. Dafür sprachen sie dem Met etwas ausgiebiger zu. Der heiße Honigwein rann ihnen die Kehlen hinunter und erzeugte einen leichten Schwindel.

      »Lass uns tanzen!«, schlug Matthias übermütig vor. Gemeinsam schlossen sie sich dem tanzenden Reigen an. Männer und Frauen hielten sich an den Händen und umtanzten das Feuer. Auch Magdalena und Hans hatten sich bereits unter die Tanzenden gemischt. Luzia freute sich, als sie die beiden ausgelassen lachen sah.

      Der Klang der Fiedel trieb sie zu immer schnelleren Drehungen an. Die jungen Leute lachten und tanzten so ausgelassen, dass manch einem schwindlig wurde. Doch müde durfte man ein andermal werden. Heute war die Nacht zu schade. Lau und süß flüsterte sie so den Menschen Unerhörtes ins Ohr. Als das Feuer kleiner wurde, begannen die jungen Leute durch die reinigenden Flammen zu springen. Die Flammen des Sonnwendfeuers galten als heilig. Sie schützten die, die durch sie hindurchsprangen, im neuen Jahr vor Krankheit und Leid. Im warmen Feuerschein glitzerten Luzias tiefblaue Augen dunkel und unergründlich. Lächelnd nahm sie ein paar Finger voll Teufelsklau aus ihrer Tasche. Im Alltag puderte sie damit rote Kinderpopos. Ins Feuer geworfen, knallte der Sporenstaub des Keulenbärlapps und glühte hell auf.

      Matthias lachte. »Seit wann kannst du denn zaubern?«

      »Das würdest du wohl gerne wissen!« Luzia beugte sich ganz nah an Matthias Ohr. »Schon immer. Hast du das denn nicht gewusst?«, flüsterte sie geheimnisvoll, während ihre weichen Lippen die erhitzte Haut seines Nackens streiften.

      Matthias stand in Flammen. Eine prickelnde Gänsehaut umfing ihn von den Zehen bis zu den Haarspitzen. Luzias geheimnisvolles Lachen klang in seinen Ohren warm, süß und verlockend. Nur eine Handbreite trennte ihn jetzt noch von ihrem Mund. Doch bevor er sie küssen konnte, entzog sie sich ihm und tanzte allein um das kleiner werdende Feuer.

      Matthias lief ihr nach und sprang neben Luzia durch die Flammen. Er beobachtete sie von der Seite. Ihr Haar schien in Flammen zu stehen. Der helle Feuerschein brachte die langen, roten Flechten zum Leuchten. Manchmal glaubte er an ihr etwas Geheimnisvolles zu entdecken, als sei sie eine weise Frau, die das Wissen längst vergangener Zeiten in sich trug. Dann schienen ihre Augen unendlich tief wie zwei Seen. Er meinte dann zu sehen, wie sich zwei schwarze Rädchen in atemberaubender Geschwindigkeit um die Pupille drehten und jeden hineinzogen, der ihr zu nahe kam. In solchen Momenten kamen ihm die Augen der Hebamme geheimnisvoll und wissend vor. Aber bevor er sich vergewissern konnte, verschloss sich ihr Blick wieder und er meinte, sich getäuscht zu haben.

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