Seelenfeuer. Cornelia Haller
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Der Pater nickte zufrieden. »Der Name Marrubium kommt ursprünglich aus dem Hebräischen. Wobei ›Mar‹ bitter bedeutet und ›Rob‹ viel heißt.«
»In dem Fall wurde beides in gleicher Weise ins Lateinische übernommen«, bemerkte Luzia und blies sich eine freche Strähne ihres roten Haares aus dem Gesicht. Sie setzte den feuchten Ballen mit dem fleischigen Stängel vorsichtig in die gelockerte Erde.
»Nepeta cataria?«, fragte der Pater gespannt.
»Die echte Katzenminze. Ihr Duft ist minzig-frisch. Katzen lieben den Geruch der blühenden Pflanze.«
»Sehr gut!«
Auch diesen Setzling legte Luzia in die feuchte Erde.
»Artemisia absinthum?«, wollte Pater Wendelin wissen.
»Der gemeine Wermut. Ebenfalls eine Beifußart. Er wird auch als bitterer Beifuß bezeichnet.«
Pater Wendelins Augen verrieten, wie außerordentlich stolz er auf Luzia war. Dabei merkte sie, wie ihr schon wieder die Wärme in die Wangen stieg. Nachdem auch dieser Setzling mit Erde bedeckt war, reichte der Pater ihr den Nächsten.
»Hier haben wir etwas Lieblicheres. Artemisia abrotanum?«
»Die Eberraute. Ebenfalls eine Beifußart. Ihr Duft ist leicht und frisch. Sie wird in der Volkssprache auch Pfarrerkraut genannt«, entgegnete Luzia und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
Während der nächsten halben Stunde gruben sie Löcher, setzten die restlichen Pflanzen ein und drückten die Erde vorsichtig an. Dann betrachteten sie die getane Arbeit. Als Luzia die Kräuter gießen wollte, meinte der Pater:
»Du musst dir keine Sorgen machen, das Wässern werde ich übernehmen! Ich weiß doch, dass du heute Abend wie alle jungen Frauen und Männer zum Johannisfeuer möchtest.«
Luzia nickte zögernd.
An diesem Tag feierten die Menschen das Fest des längsten Tages und der kürzesten Nacht mit dem Sonnwendfeuer. Die katholische Kirche sah das nicht gern und beging stattdessen das Fest des Johannes. Der Pater würde am kommenden Sonntag ausführlich über Johannes predigen. Aber heute würde es keine Andacht geben. Pater Wendelin galt als gemäßigter Gottesmann. Er las die Messe höchstens einmal am Tag, doch mit dieser Haltung machte er sich nicht nur Freunde. Anderen, die dachten wie er, war es schlecht ergangen. Im nahen Elsass war einem Geistlichen, der angeblich dem Bösen verfallen war, vorgeworfen worden, einen Pakt mit dem Teufel zu unterhalten. Der Papst hatte seine Enthauptung veranlasst. Papst Sixtus beklagte sich, weil immer mehr Menschen vom rechten Glauben abfielen, und warf ihnen vor, sich dem Bösen zuzuwenden.
Pater Wendelin hielt von all diesem verrückten Treiben überhaupt nichts. Wenn sich seine Schäfchen bereitwillig zur heiligen Messe einfanden, ihre Sünden angemessen bereuten und in Frieden miteinander lebten, ließ er die Mitglieder seiner kleinen Gemeinde zufrieden. Dafür liebten die Menschen den gutmütigen Mann. Aber Wendelin war klug genug, um die Gefahren zu sehen, die sein nachsichtiger Umgang mit den alten Mythen mit sich bringen konnte. Er wäre nicht der erste Gottesmann, den die Kirche mit Exkommunikation oder Schlimmerem bedrohte. Wendelin schüttelte ein wenig unwillig den Kopf. An diesem Abend wollte er sich über seinen Garten freuen und sich keine Sorgen machen.
»Ich werde heute früh zu Bett gehen«, sagte er zu Luzia. »Aber vorher lass uns ein Glas Wein auf die getane Arbeit trinken.«
Bei einem Glas Elbling plauderten sie über die Klosterinsel Reichenau.
»Bruder Markus würde dich von Herzen gerne kennenlernen. Möchtest du mich nicht einmal in den fast schon legendären Klostergarten begleiten? Es wäre mir eine Ehre«, versicherte Wendelin mit einem Lächeln.
Luzia fehlten die Worte. Helle Freude wirbelte durch ihren Kopf.
»Pater Wendelin, damit würdet Ihr mir einen meiner innigsten Wünsche erfüllen! Einmal den wunderschönen Kräutergarten Walahfrid Strabos betreten und ausgiebig studieren zu dürfen! Diesen Wunsch hege ich schon, seitdem mein Onkel Basilius mir zum ersten Mal davon erzählt hat!«
Wendelin wusste, dass Luzias Liebe zu den Heilpflanzen durch die Weitsicht ihres Onkels Basilius geweckt worden war, der die Apotheke in Ravensburg betrieb. Schon früh hatte Basilius den außerordentlich wachen Geist der kleinen Luzia erkannt. Er war es auch gewesen, der das Schulgeld für sie bezahlt hatte, obwohl ihre Mutter den Besuch einer Schule für bloße Zeitverschwendung gehalten hatte.
Und damit hatte das Drama angefangen, das erst mit Luzias Übersiedelung nach Seefelden ein Ende gefunden hatte. Eusebius Grumper, der hartherzige Schulmeister, der zu allem Überfluss auch noch ein Mann der Kirche war, hatte für Luzias wissbegieriges Wesen nicht sonderlich viel übrig gehabt. Ihr rotes Haar hatte er mehr als alles andere gehasst. Vom ersten Tag an hatte er sie spüren lassen, dass sie in seinen Augen eine »Rote« war, ein Kind der Wollust. Während der unreinen Tage ihrer Mütter gezeugt, umgaben die Roten etwas zutiefst Sündiges. Nachdem Luzia es zum ersten Mal gewagt hatte, dem Schulmeister vor den anderen Kindern zu widersprechen – es war dabei um den Namen einer Pflanze gegangen und Luzia hatte recht behalten –, hatte Kaplan Grumper keine Gelegenheit ausgelassen, Luzia zu bestrafen. Er demütigte und quälte sie bei jeder Gelegenheit. Manchmal steigerte sich seine Wut ins Unermessliche, weil Luzia nach wie vor unbeirrt zu ihm in den Unterricht kam. Die Unerbittlichkeit des Mädchens war für den Kaplan ein weiterer Beweis für ihre Gefährlichkeit. Ihr rotes Haar, die ungewöhnlich dunkelblauen Augen und der messerscharfe Verstand – sie alle waren seiner Einschätzung nach augenfällige Hinweise für ihre Andersartigkeit. Stolz und aufrecht trug sie ihr unbedecktes Haar durch die Gassen der Stadt. Daneben fehlte ihr die nötige Demut, was sie zu einer Feindin des wahren Glaubens machte.
»Mädchen wie du gehören hinter dicke Klostermauern, wo sie ihren Mitmenschen keinen Schaden zufügen können, oder besser noch gleich auf den Scheiterhaufen«, brüllte er sie an. Um sie auf den rechten Weg zu bringen, verlangte er von ihr, jeden Sonntag nach der Messe zu ihm zu kommen. Dort zwang er sie, stundenlang auf einem scharfkantigen Holzscheit kniend das Paternoster zu beten. Als die ersten Zeichen ihrer erblühenden Weiblichkeit erkennbar wurden, ging der Schulmeister dazu über, Luzia, während sie auf dem Boden kniete, mit einer Rute zu züchtigen. Dabei hatte er es besonders auf Luzias nacktes Gesäß und ihren entblößten Rücken abgesehen.
Die Vorstellung, wie sich der Kaplan beim Anblick von Luzias knospenden Brüsten ergötzt haben mochte, verursachte Wendelin heute noch Übelkeit. Der Pater hatte oft nach dem Grund für Luzias Beharrlichkeit gesucht. Nach der Quelle, die ihr die Kraft verliehen hatte, diese Jahre zu überleben. »Ich kann es Euch nicht sagen, aber meine Neugier siegte tagtäglich über die furchtbare Angst«, hatte ihm Luzia zur Antwort gegeben. Sie konnte nur von einer höheren Macht gekommen sein, dessen war sich Wendelin sicher. Selbst heute erinnerte sich der Geistliche noch beinahe an jedes ihrer Worte. Nach und nach hatte ihm das Mädchen die ganze Geschichte anvertraut. Einiges davon unter dem Geheimnis der Beichte. Manchmal waren ihre Geständnisse furchtbar gewesen. So schrecklich, dass auch ihm die Tränen gekommen waren.
»Ich würde Euch wirklich furchtbar gern begleiten«, antwortete Luzia, bevor sie einen Schluck aus ihrem Becher nahm.
Ihre Worte rissen den Pater aus seinen Erinnerungen. Er atmete tief durch und rieb sich das Gesicht, um die Erinnerungen hinter sich zu lassen. Ein Blick auf Luzia zeigte ihm, dass auch sie an