Alte Werte in neuer Zeit. Matthias Zimmer

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Alte Werte in neuer Zeit - Matthias Zimmer

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Institutionen. Aber trotzdem: Wenn es nicht eine Idee gäbe, wie das Zusammenleben der Menschen denn wäre, wenn alles Gute sich verwirklicht, wäre unser Leben ärmer. Wir brauchen die Utopie einer besseren Welt, weil sie der Sehnsuchtsort unseres Strebens ist.2 Wir brauchen sie, weil wir die Wirklichkeit an dem Möglichen, an dem Sehnsuchtsort vermessen. Wir wollen besser sein, als wir sind, denn wir sind auch idealistisch, fähig zur Nächstenliebe, wir sind Träumer einer besseren Welt. Darum geht es in dem vorliegenden Buch. Es ist nicht geprägt von den Kompromissen, die man in der Politik schon immer mitdenkt, sondern ein Plädoyer für das bislang Unerreichte. Freilich habe ich hier viele Themen auslassen müssen und mich auf die Bereiche konzentriert, in denen ich besonders tätig war und bin: Arbeit und Soziales, Nachhaltigkeit und Menschenrechte. Mir ist bewusst: Ich hätte noch vieles schreiben können, etwa im Bereich der Gesundheit, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Außenpolitik, der Migrationspolitik, der Ernährung- und Landwirtschaftspolitik und vielen anderen Bereichen. Aber erstens fühle ich mich inhaltlich in diesen Bereichen nicht ausreichend sattelfest, und zweitens geht es in dieser Schrift auch eher darum, exemplarisch und auf begrenztem Raum politische Alternativen zu entwickeln. Über weite Strecken ist diese Schrift eine leidenschaftliche Kritik an dem Bestehenden, an den Zuständen, die ich seit vielen Jahren sehe, ohne bislang grundlegend daran etwas ändern zu können. Ich bin dabei nicht ausgewogen, sondern Partei. Ich nehme Partei für ein Menschenbild, das sich aus dem Bekenntnis zum Christlichen ergibt. Ich verteidige also alte Werte, die auch in die neue Zeit passen. Und ich tue das mit Dank an zwei meiner großen Vorbilder: Norbert Blüm und Heiner Geißler, die Philosophen und Praktiker des »C« in der Politik.

      1. Die Zumutung des »C«

      Am Anfang steht ein Befund. Die CDU und die Kirche haben sich voneinander entfernt. Die frühere Selbstverständlichkeit, dass ein Christ, ein katholischer zumal, quasi automatisch die CDU wählt, ist Geschichte. Offen war noch in den fünfziger Jahren von den Kanzeln zur Wahl der Union aufgerufen worden. Das würde uns heute seltsam anmuten. Kirche soll nicht für eine Partei werben. Sie soll die frohe Botschaft, das Evangelium verkünden. Richtig ist aber auch: Das hat politische Konsequenzen dort, wo die Menschen aufgefordert sind, ihr Zusammenleben im Licht des Evangeliums zu gestalten. Und deswegen ist Kirche heute immer noch politisch, aber nicht mehr parteipolitisch. Sie kann nicht verkünden, ohne der Welt den Spiegel vorzuhalten. Sie kann nicht die Gottesebenbildlichkeit des Menschen verkünden, ohne zu sagen: Das hat auch Konsequenzen für unser Zusammenleben. Sie kann nicht die Hoffnung auf eine bessere Welt nur ins Jenseits verlegen, sondern muss davon überzeugt sein, dass das Gute im Menschen auch im Diesseits kraftvoll wirken kann und soll.

      Aus all diesen Überlegungen ist die Soziallehre entstanden.3 Sie ist nicht die Übersetzung der Bergpredigt in ein politisches Programm, sondern gibt Leitplanken vor für das Verhältnis der Menschen untereinander. Sie gibt Orientierung für den politisch Handelnden. Präziser formuliert: Sie liefert einen Begründungsrahmen. Der ist nicht immer eindeutig. Ob ich beispielsweise die Grundsicherung erhöhen soll oder nicht, lässt sich nicht aus den Prinzipien der Soziallehre ableiten, wohl aber, dass wir eine Verpflichtung gegenüber den Armen haben. Wie genau das Arbeitsrecht aussehen soll, lässt sich nicht aus der Soziallehre ableiten, wohl aber, dass Menschen nicht Mittel zum Zweck anderer Menschen werden dürfen. Oder, um ein kontroverses Beispiel zu nennen: Selbst in der Kirche gibt es eine Debatte darüber, ob Ehe nicht auch auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften angewendet werden kann. Denn wenn die Liebe von Gott gegeben ist, dann spielt das Geschlecht keine Rolle – und Ehe lediglich auf Reproduktion zu reduzieren hieße, den Menschen zum Mittel zu machen.

      So ist die Soziallehre selbst ein System offener Sätze. Freilich, die großen Sozialenzykliken der Päpste sind Meilensteine. Aber der Charakter der Soziallehre ist dadurch geprägt, dass es nicht nur die Sozialenzykliken gibt, sondern auch die Veröffentlichungen der Lehrstühle, die sich mit der Soziallehre beschäftigen, und, noch wichtiger: Dem Engagement der Laien in der Kirche, die sich mit den sozialen Fragen befassen.

      Es war einmal der Stolz der Union, zu diesen Laien und ihren Organisationen eine besondere Beziehung zu haben, sei es der Kolpingbund, der in Deutschland heute noch über 220.000 Mitglieder hat, die Katholische Arbeitnehmerbewegung mit über 100.000 Mitgliedern oder der Bund der katholischen Jugend mit über 650.000 Mitgliedern. Die Wirklichkeit sieht allerdings heute anders aus. In den Laienorganisationen werden Themen debattiert, für die die CDU scheinbar kein offenes Ohr hat. In den Sozialenzykliken werden Themen angesprochen, die bei der CDU unter Sozialismusverdacht geraten. Und an den Lehrstühlen befindet man sich weit entfernt vom christlich-demokratischen Milieu. Eher noch, so hat man mitunter den Eindruck, sind viele Themen heute eher bei den Grünen oder gar bei den Linken anschlussfähig. Für eine Partei, die das C im Namen trägt, müssten spätestens bei diesem Befund alle Alarmglocken klingeln.

      Ich sehe vor allem drei Bereiche, in denen sich die Differenzen heute entzünden und die ich im weiteren Verlauf des Buches konkretisieren will. Der erste Bereich ist eine kapitalismuskritische Sicht der Soziallehre. Der Kapitalismus wird nicht grundsätzlich abgelehnt, hat aber eine Existenzberechtigung nur dort, wo er den Menschen hilft, sich als Personen zu entfalten. Anders formuliert: Der Kapitalismus ist rechenschaftspflichtig und hat eine Existenzberechtigung nur dort, wo er dem Gemeinwohl dient.

      Die zweite grundsätzliche Differenz ist die Option für die Armen. Das bedeutet: Wir haben eine Verpflichtung dafür, dass die Armut aus der Welt verschwindet. Das kann sehr vieles bedeuten: Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben, aber auch der Abbau ungerechter Strukturen, die Armut produzieren. Das gilt auch für Handelsstrukturen, von denen wir profitieren. Sie können eben dazu führen, dass sich in anderen Ländern Armut verfestigt, anstatt weniger zu werden. Option für die Armen kann aber auch heißen: Dort, wo wir an ungerechten Strukturen mit Schuld tragen, haben wir auch eine besondere Verpflichtung, Opfer dieser Strukturen bei uns aufzunehmen, wenn sie durch diese Strukturen heimatlos geworden sind. Ein hoch brisantes Thema, das uns noch lange begleiten wird!

      Die dritte grundsätzliche Differenz hat mit der Ehrfurcht vor der Schöpfung zu tun. Das bedeutet einen anderen Umgang mit der uns anvertrauten Welt, angefangen von ausbeuterischen Wirtschaftspraktiken, die Mensch und Umwelt schädigen, bis hin zu Erwägungen des Tierwohls. Die Enzyklika Laudate sì von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015 hat hier deutlich Position bezogen und darauf hingewiesen, dass unsere jetzige Art und Weise zu Wirtschaften mit den Erfordernissen der Nachhaltigkeit nicht vereinbar ist. Die dahinter liegende Idee ist sehr alt: Die Bewahrung der Schöpfung ist ein biblischer Auftrag. Sie hat Politiker, die sich dem »C« verbunden fühlen, schon lange vor dem Aufkommen der grünen Bewegung verpflichtet.

      Diese Differenzen haben auch etwas damit zu tun, dass unsere Welt in Nationalstaaten aufgeteilt, die christliche Botschaft aber universal ist. Es überrascht daher nicht, dass die Soziallehre auch in letzter Konsequenz eine wahre Weltautorität befürwortet, subsidiär strukturiert. Man mag darin Reste des universalen Anspruchs des Papsttums sehen, der durch das Aufkommen der Nationalstaaten ja in Frage gestellt worden ist. Aber dennoch ist richtig: Nationalstaaten sind eine Übergangslösung, eine Behelfslösung. Globale Probleme brauchen globale Lösungen und globale Institutionen. Wer wollte das ernsthaft bestreiten?

      Aber was zeichnet das »C« eigentlich aus? Natürlich nicht der Kirchgang oder die Tiefe des Glaubens. Sondern das »C« steht für eine politische Gestaltungsidee, die aus dem Glauben erwächst.4 Während aber Glaubenssätze den Anspruch auf Wahrheit haben, ist dies bei der politischen Gestaltungsidee nicht so. Sie ist in die Praxis gestellt und kann sich unterschiedlich manifestieren. Überdies ist der Mensch fehlbar. Deswegen ist die erste Aussage: Die Soziallehre ist ein System offener Sätze. Dies ist deshalb wichtig, weil es gegen jede totalitäre Versuchung immunisiert. Die Soziallehre will gerade nicht einen Gottesstaat, in dem anhand biblischer Gebote regiert wird. Sondern die Grundidee ist die des freien, verantwortlich handelnden Menschen – eines Menschen also, der auch irren kann. Deshalb hat mein erster Chef, der CDU-Politiker Bernhard Vogel, immer wieder gesagt: Es gibt keine christliche Politik, nur christliche

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