Alte Werte in neuer Zeit. Matthias Zimmer

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Alte Werte in neuer Zeit - Matthias Zimmer

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Böse fragt), ist das Gewissen.

      Wenn wir einen Moment innehalten und dieses Argument etwas genauer betrachten, dann fällt auf: Es hat weitreichende Konsequenzen für unser Zusammenleben. Die großen Denker des Liberalismus haben sogar gesagt: Der Staat entsteht nur, um diese Rechte zu schützen. Diese Rechte – Leben, Freiheit, Eigentum – sind vorstaatliche Rechte, die dem Menschen von Natur aus zukommen, also Naturrechte. Im Grundgesetz sind die Naturrechte zu einem vorstaatlichen Rechtsgrund verdichtet worden: Der Würde des Menschen. Der Mensch hat Würde bedeutet: Er ist kein Objekt, sondern Zweck in sich; er hat ein eigenes moralisches Universum in sich und kann, anders als ein Tier, sich in seinem Handeln auf diese moralischen Gründe beziehen und sich von bloßen Erwägungen von Lust und Unlust als Motivation des Handelns befreien. Der Mensch ist also mehr als ein Tier, das nach Instinkten handelt. Er kann auch nach moralischen Gründen handeln.

      Aus der Würde des Menschen entspringen die Grundrechte: Freiheit, Gleichheit, Recht auf Leben und Eigentum und vieles mehr. Diese Rechte sind, wie schon gesagt, vorstaatlich. Der Staat wird lediglich gegründet, damit diese Rechte geschützt werden. So heißt es in aller Deutlichkeit in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, dass man für selbstverständlich halte, dass alle Menschen gleich geschaffen seien, dass sie der Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet habe, zu denen das Recht auf Leben, auf Freiheit und das Streben nach Glück gehörten und das Regierungen nur zu dem Zweck eingesetzt würden, diese Rechte zu schützen, und zwar im Konsens mit den Regierten. Der sich selbst gehörende Mensch begründet also Herrschaft damit, dass ein ganz bestimmtes Bild des Menschen geschützt wird. Die Regierung hat die Aufgabe, die Rechte der Menschen zu schützen und dort Abgrenzungen vorzunehmen, wo die Ausübung der Rechte des einen die Rechte des anderen verletzt. Denn eines ist auch klar: Rechte gelten nicht absolut, sondern enden dort, wo Rechte anderer betroffen sind.

      Die Grundrechte gelten nicht nur im Verhältnis des Menschen zum Staat; das ist eine Selbstverständlichkeit, wenn man annimmt, dass der Staat gegründet worden ist, um die Grundrechte der Menschen zu schützen. Sie gelten vor allem im Verhältnis der Menschen untereinander. Das Problem im vorstaatlichen Zustand war ja nicht der Staat, sondern dass die Menschen untereinander in Streit und Zwist lagen, weil es keine Autorität gab, die Streit und Zwist endgültig auflösen und entscheiden konnte. So sah es zumindest Thomas Hobbes, der englische Philosoph. Wie eigentlich, so fragte er sich, leben Menschen ohne jede Herrschaft zusammen? Seine Antwort war düster. Ohne Regierung, ohne Herrschaft ist der Mensch des Menschen Wolf. Das Leben ist dann, so schreibt er in einer berühmten Passage, einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz. Das hatte viele Gründe, auch den ziemlich einleuchtenden, dass dort, wo es keine Regierung gibt, das Recht des Stärkeren herrscht. Dort, wo das Recht des Stärkeren herrscht, ist kein anderes Recht auf Dauer: Es gibt keine Garantie für Leben, Eigentum, Sicherheit, keine Garantie dafür, auch nur im Ansatz seines eigenen Glückes Schmied sein zu dürfen oder zu können. Dieses Recht gibt es nur für den Stärkeren, aber auch nur so lange, wie er nicht durch andere von dem Thron der Tyrannei verdrängt wird. Auch der Stärkere lebt in permanenter Furcht; unser Mitleid mag sich hier in Grenzen halten, dennoch: Ohne Regierung leben alle Menschen in permanenter Unsicherheit und Furcht.

      Uns genügt es hier festzustellen: Dem Staat obliegt es, alle Beziehungen der Menschen untereinander dem Prinzip unterzuordnen, dass alle Menschen die gleiche Würde haben. Das hat Auswirkungen auf unser Verständnis der Unterschiedlichkeit des Menschen: Bei aller Unterschiedlichkeit von Herkunft, Geschlecht, Hautpigmentierung, sexueller Orientierung oder religiöser Überzeugung: All das spielt keine Rolle in der Frage der Würde des Menschen. Hier sind alle Menschen gleich an Würde. Dieses Prinzip hat natürlich auch unmittelbare Auswirkungen auf das Arbeitsleben. Arbeit, die den Menschen entwürdigt, muss verboten werden. Arbeit, die seine Rechte als Mensch verletzt, die seiner Gesundheit schaden, sein Leben gefährden, muss verboten werden. Arbeit, die dem Menschen keine Anerkennung als Mensch verschafft oder ungerecht entlohnt wird, muss reguliert werden. Der Staat hat die Aufgabe, Menschenrechte und Menschenwürde auch bei der Arbeit zu garantieren. Die Vertragsfreiheit der Menschen findet ihre Grenzen in der Menschenwürde und den Menschenrechten. Dazu aber mehr in den Kapiteln, die sich mit der Arbeit auseinandersetzen.

      Kommen wir zurück zu dem Begriff des Eigentums. Es war John Locke, der große englische Philosoph, der den Zusammenhang von Eigentum und Freiheit dann erweitert hat. Wenn ich als Eigentümer meines Körpers die dingliche Welt mit meiner Arbeit mische (also etwas bearbeite), entsteht ein Eigentumsanspruch. Kurz und gut: Arbeit begründet Eigentum. In einem zweiten Schritt weitet Locke die Argumentation dann aus: Durch Geld wird Eigentum gewissermaßen »haltbar« gemacht; darüber hinaus begründet Geld einen Wertmaßstab, der unterschiedliche Produkte aus der Arbeit in eine Relation bringt (teurer/billiger). Damit kann ich dann mein Eigentum verkaufen oder anderer Menschen Eigentum kaufen. Geld erleichtert die Transaktion. Das führt zu ganz eigenen Problemen, etwa dort, wo sich Geld als Mittel der Transaktion verselbständigt. Aber so elegant das Argument bei Locke war, Eigentum aus Tätigkeit des Menschen abzuleiten, der sich selbst gehört (also Eigentum an sich selbst hat), so bedeutet dies nicht, dass dieses Eigentum keine Grenzen hat, also Eigentum zu einem Recht wird, das andere Rechte aushebelt. Eigentum darf nicht dazu führen, dass anderen Menschen nichts mehr übrigbleibt und sie deswegen Schaden nehmen. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland findet sich hier eine kluge Formulierung: Danach verpflichtet Eigentum, und sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Es gibt also Eigentumsschranken. Diese ergeben sich allerdings nicht notwendig aus dem Argument von Locke, sondern aus einem sehr viel älteren Argument, das sich schon bei dem Kirchenvater Thomas von Aquin findet. Demnach hat Gott, nachdem er die Erde geschaffen hat, diese allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung gestellt. Da er den Menschen als soziales Wesen geschaffen hat, steht damit auch Eigentum unter dem Vorbehalt, die Sozialität des Menschen zu befördern. Oder, anders formuliert: Dem Menschen dabei zu helfen, sich in der Gemeinschaft selbst zu verwirklichen. Eigentum ist also ein Mittel zum Zweck, kein Zweck in sich. Deswegen kannte die Kirche immer auch das Notrecht. »Not kennt kein Gebot«, so lautet ein altes Sprichwort. In der Not ist alles gemeinsam; und deswegen verwendet Thomas von Aquin auch einigen Scharfsinn darauf nachzuweisen, dass jemand, der aus Not stiehlt, keinen Diebstahl begeht. Man würde sich wünschen, dass deutsche Gerichte sich dieses Grundsatzes entsinnen würden. Wer aber die Entwendung weggeworfener Lebensmittel (das so genannte »Containern«) als rechtswidrig ansieht, hat sich von der christlichen Auffassung des Eigentums weit entfernt.

      Auch bei John Locke gibt es eine Einschränkung des Eigentums; das Eigentumsrecht gilt nicht absolut. Es muss, nachdem sich ein Mensch Eigentum geschaffen hat, immer noch genügend und ebenso Gutes für die anderen verbleiben. Der Erwerb des Eigentums der einen darf also nicht zu Lasten der Lebenschancen der anderen gehen. Das ist entweder eine Forderung der Gerechtigkeit und der Fairness oder aus der Idee geboren, dass der Mensch die Erde von Gott als Obereigentümer zum Gebrauch zugeteilt bekommen hat mit der Maßgabe, dass er dort arbeitet und handelt in sozialer Verantwortung – also unter der Maßgabe der Nächstenliebe. Damit ist Eigentum nicht ausgeschlossen, aber begrenzt auf bestimmte Zwecke.

      Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt es, der Gebrauch des Eigentums soll gleichzeitig dem Wohle der Allgemeinheit dienen – also dem Gemeinwohl. Hier taucht der christliche Gedanke wieder auf, wonach Eigentum nie Selbstzweck ist. Diese soziale Bindung des Eigentums bedeutet auch: Der Staat darf regulieren im Sinne des Gemeinwohls. Er darf beispielsweise, um ein aktuelles Beispiel heraus zu greifen, zur Verwirklichung der Gleichberechtigung Quoten in Vorständen von Unternehmen vorschreiben. Das ist dann ein legitimer Eingriff in die Eigentumsrechte, wenn damit das Gemeinwohl befördert wird.

      Fassen wir zusammen, weil es für die weitere Argumentation wichtig ist. Der Mensch hat Eigentum an sich selbst. Das bedeutet, er kann von anderen nicht zum Eigentum gemacht werden. Das schließt alle Formen der Arbeit aus, die auf Unfreiheit beruhen. Da der Mensch sein eigener Herr ist, hat er eine Zweckbestimmung in sich selbst: Die Entwicklung seiner Personalität. Das schließt alle Arbeit aus, die dieser Zweckbestimmung entgegensteht. Da der Mensch Eigentum erwerben kann, sind Leben und Freiheit zusätzlich gesichert. Das schließt – innerhalb der Grenzen legitimer Eigentumsbildung

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