Alte Werte in neuer Zeit. Matthias Zimmer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Alte Werte in neuer Zeit - Matthias Zimmer страница 3

Автор:
Серия:
Издательство:
Alte Werte in neuer Zeit - Matthias Zimmer

Скачать книгу

im Mittelpunkt, die Entfaltung seiner Person.

      Damit sind wir auch schon bei dem wichtigsten Prinzip der Soziallehre. Der Mensch wird als Person gedacht, nicht als Individuum. Um es zu überspitzt darzustellen: Das Individuum ist der Mensch, der keine sozialen Bezüge hat und Herr seines eigenen Lebens, seines Schicksals ist; der Mensch als Individuum ist der Schöpfer seiner selbst und seiner Werte. Die Person ist demgegenüber der Mensch, der immer schon in seinen sozialen Bezügen gedacht ist. Zunächst den Bezügen zu seiner Familie, also seinen Eltern und Geschwistern. Zweitens dann in den weiteren sozialen Kreisen, in denen er verwurzelt ist: In der Gemeinde (ob kirchlich oder lokal), den Vereinen, den Freundschaften, schließlich auch seinem Heimatland. Drittens aber auch in dem Bezug zu Gott: Er ist nach Gottes Ebenbild geschaffen und legt durch sein Handeln Rechenschaft ab. Die Gottesebenbildlichkeit ist der Grund für die Würde des Menschen; und die Würde ist der Grund für die Menschenrechte. Das Tun des Menschen ist in die Demut vor Gott gestellt. Das ist der zentrale Unterschied im Menschenbild von Soziallehre und Liberalismus: Im Liberalismus ist der Mensch sein eigener Herr, ein »gottloser Selbstgott«, wie es Heinrich Heine einmal ausgedrückt hat. In der Soziallehre besteht die Freiheit des Menschen in seiner Bindung, seinem Eingebundensein in eine göttliche und menschliche Ordnung.

      Die Soziallehre spricht von der Personalität als einem Prinzip. Das bedeutet: Es ist ein grundlegender Konstruktionsmechanismus des Sozialen. Aus der Personalität folgen vier weitere Konstruktionselemente des Sozialen. Das erste ist die Solidarität. Sie ist das horizontale Gestaltungsmerkmal einer Gesellschaft. Sie ist Ausfluss der Sozialität des Menschen, also der wesensmäßigen Bindung des Menschen an andere Menschen. Solidarität bedeutet hier nichts mehr als: Der Mensch ist für den Menschen da. Er hilft ihm in der Not. Solidarität ist also neben dem Gestaltungsmerkmal einer Gesellschaft auch eine Tugend. Sie macht deutlich: Es ist mir nicht egal, wie es meinem Nächsten geht. Da wir alle gleich sind an Würde, ist meine Entfaltungsmöglichkeit auch davon abhängig, dass sich mein Nächster entfalten kann. Solidarität trägt also den Anspruch in sich: Alle Menschen sollen ihr Potential entfalten können, und dafür sind alle Menschen auch ihren Mitmenschen gegenüber verantwortlich.

      Das zweite Konstruktionselement ist die Subsidiarität. Das ist ein schwieriger Begriff. Er bedeutet zunächst einmal, dass sich der Staat nur unter sehr bestimmten Voraussetzungen Kompetenzen aneignen darf, im Übrigen aber zu Hilfeleistungen verpflichtet ist. Deswegen wird Subsidiarität auch als das vertikale Gestaltungselement einer Gesellschaft angesehen. Sie regelt also die Beziehungen von »oben« und »unten« in einer Herrschaftsstruktur. Subsidiarität beantwortet die Frage, wie Herrschaft gestaltet sein soll, wie folgt: So, dass die Probleme möglichst nahe bei den Menschen gelöst werden können. »Empowerment« heißt das heute und meint: Der Staat hat die Menschen dabei zu unterstützen, ihre Probleme lösen zu können. Er darf sich nicht ihre Kompetenzen anmaßen, sondern muss Hilfestellung geben. Das hat unmittelbare Konsequenzen etwa bei den Problemen der Familien oder der Pflege. Kompetenzen hat der Staat nur dort, wo Einzelne Probleme nicht mehr lösen können. Banale Beispiele: Einzelne können keine Infrastruktur wie Straßen bereitstellen oder Verteidigung organisieren. Dazu bedarf es des Staates. In allen anderen Bereichen aber hat er ein Kompetenzanmaßungsverbot. Er darf also nicht in Bereiche eingreifen, die besser von den Einzelnen wahrgenommen werden können. Klassisches Beispiel ist die Kindererziehung. Schon im Grundgesetz heißt es deshalb, dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern ist. Das ist nicht immer ganz trennscharf, denkt man beispielsweise an die Schulpflicht. Aber es ist vom Grundsatz her ein Element, dass die Freiheit des Einzelnen im Blick hat und staatliche Gewalt auf das Notwendigste beschränkt. Nicht umsonst haben alle totalitären Regime sich in fundamentalem Gegensatz zum Prinzip der Subsidiarität befunden.

      Das dritte Konstruktionselement ist die Nachhaltigkeit. Sie bedeutet eine Solidarität in der Zeit. Wir sind nicht nur unseren unmittelbaren Zeitgenossen verpflichtet, sondern auch unseren Nachkommen. Biblisch betrachtet haben wir von Gott die Welt zur Hege und Pflege übernommen. Wir sind nicht die Eigentümer dieser Welt, sondern lediglich die Verwalter. Wir tragen Verantwortung dafür, dass diese Welt fortbesteht, und nicht nur irgendwie, sondern mindestens so, dass unsere Nachkommen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen dieser Welt eine gleiche Entfaltungsmöglichkeit haben. Sicherlich, wir haben durch die technische Entwicklung vieles möglich gemacht, was den Generationen vor uns nicht möglich war. Das wirft Fragen auf, was die Ersetzung natürlicher durch künstliche Ressourcen betrifft. Das soll uns hier aber zunächst nicht weiter beschäftigen. Uns geht es um die Möglichkeit zukünftiger Menschen, sich in ihrem Menschsein entfalten zu können. Dazu braucht es eine natürliche Umgebung; und dazu wird man die technischen Möglichkeiten nicht mehr wegdefinieren können.

      Denn letztlich sind alle Konstruktionsprinzipen unter die Idee des Gemeinwohls gestellt. Das ist das vierte Prinzip. Gemeinwohl bedeutet »die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen.«5 Gemeinwohl ist also mehr als die Summe des Wohlergehens aller Einzelnen. Das war schon immer der Denkfehler des Liberalismus. Gemeinwohl bedeutet, dass ich auch als Einzelner für den Anderen und das Erreichen seiner Vollendung Mitverantwortung trage. Ich muss also das Glück aller als eine gemeinsame Aufgabe ansehen, weil es kein Glück, keine Vollendung auf dem Rücken fremden Unglücks gibt. Das kann vieles bedeuten, etwa was den fairen und gerechten Zugang zu natürlichen und gesellschaftlichen Ressourcen angeht, was die Verteilung angeht, was ein Leben in Würde angeht. Und das ist eine der großen und bleibenden Herausforderungen auch an eine Partei, die das C im Namen trägt. Wird sie diesem Anspruch gerecht? Und wenn nicht: Wie kann sie diesem Anspruch gerecht werden? Ich will und kann diese Fragen nicht umfassend beantworten, sondern werde mich beschränken auf die Felder, in denen ich selbst einige Kenntnisse habe und die ich eingangs skizziert habe: Auf die Welt von Arbeit und Wirtschaft, auf die Frage von Menschenrechten, auf die Frage des Umgangs mit der Schöpfung und der Zukunft des Kapitalismus. Und denjenigen, die dann sagen: Du hattest doch viele Jahre Zeit, all das umzusetzen, denen antworte ich: In einer Demokratie braucht man Mehrheiten. Mehrheiten sind von zwei Dingen abhängig: Der Erkenntnis des Gebotenen und den Interessen. Zur Erkenntnis des Gebotenen will ich einen Beitrag leisten, auch zuspitzend. Gegen diejenigen Interessen aber, die sich allzu häufig gegen die Erkenntnis des Gebotenen stellen, vermögen gute Argumente nichts auszurichten. Deswegen ist parlamentarische Arbeit immer unvollkommen, immer Stückwerk und endet nie in einem großen Wurf. Und trotzdem würde ich sie immer verteidigen, denn wir haben nichts Besseres.

      2. Eigentum und Gemeinwohl

      Unsere Wirtschaftsordnung beruht auf Eigentum. Jeder kann Eigentum erwerben, keiner ist davon grundsätzlich ausgeschlossen. Dafür, dass es Eigentum gibt, werden sehr gute Gründe angeführt; ebenso für die Frage, dass Eigentum auch Grenzen haben muss. Beides ist wichtig für unsere weitere Argumentation. Deswegen schauen wir uns zunächst einmal den wichtigsten Grund dafür an, warum es Eigentum geben muss. Das wird ein wenig philosophisch, aber durchaus wichtig für unsere gegenwärtigen Debatten.

      Eigentum ist in der klassischen Theorie des Liberalismus eng mit dem Begriff der Freiheit verbunden, und das ist richtig.6 Eigentum haben zu können bedeutet Freiheit; Eigentum verwehrt zu bekommen, ist der Inbegriff der Unfreiheit. Ganz grundlegend und deutlich ist dies, wenn man mit dem Eigentum am eigenen Körper beginnt. Eigentum am eigenen Körper bedeutet, dass man nicht verkauft werden kann; dass kein anderer als ich selbst Verfügungsgewalt über meinen Körper hat. Es bedeutet: Ich bin selbst der Herr über mein Leben, mit allen Konsequenzen: Kein Sklave, keine Ware, keine Sache, der man nach Belieben Leben und Freiheit nehmen kann. Deswegen sind die Wurzeln der Menschenrechte als Abwehrrechte gegen den Staat und als Anspruch des Eigentums am eigenen Körper auch eng miteinander verwandt. Ohne Eigentum also keine Menschenrechte, damit keine Bürgerrechte und keine Demokratie. Die Idee, dass der Mensch Würde hat, hängt eng zusammen mit der Idee, dass der Mensch sein Eigentum ist, sich also selbst gewissermaßen besitzt. Damit ist er autonom, zumindest im Grundansatz, und autonom bedeutet: Er setzt sich seine eigenen Gesetze des Handelns. Die letzte

Скачать книгу