Die Ansiedler in Kanada. Фредерик Марриет
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Henry, der älteste Sohn, war beinahe zwanzig Jahre alt. Er hatte viel von der Gemütsart seines Vaters. Ohne schlimme Fehler zu besitzen, neigte er doch mehr zur Untätigkeit als zum Gegenteil. Dieser Hang war seiner Erziehung und dem Universitätsleben, zumeist jedoch seiner natürlichen Anlage zuzuschreiben.
Alfred, der Seemann, war voller Willens- und Tatkraft, geduldig und arbeitsam, wo es erforderlich war. Er nahm nie eine Sache in die Hand, ohne sie zu vollenden, wenn es irgend anging. Er war etwas schroff, doch nicht roh, in Sprache sowohl wie in Manieren, und zugleich voller Selbstvertrauen, er fürchtete sich vor nichts in der Welt.
Mary Percival war ein sehr angenehmes, sinniges Mädchen. Still, ohne schwermütig zu sein, neigte sie wenig zu Unterhaltungen, außer wenn sie mit ihrer Schwester Emma allein war. Mit großer Hingabe liebte sie ihren Onkel und ihre Tante, und war für manches befähigt, wovon sie selbst keine Ahnung hatte, denn sie war bescheiden und dachte sehr gering von sich. Ihre Gesinnungsweise war liebenswürdig und dies prägte sich auch in ihrem Benehmen aus. Sie war jetzt siebzehn Jahre alt und wurde viel bewundert.
Ihre Schwester Emma, die erst fünfzehn zählte, war ganz anders veranlagt, von Natur heiter und geneigt, bei allem ein Vergnügen herauszufinden. Fröhlich wie die Lerche, sang sie vom Morgen bis zum Abend. Ihr Wesen war, dank der Sorgfalt und Aufmerksamkeit ihrer Tante, ebenso liebenswürdig wie das ihrer Schwester, und ihr lebhaftes Temperament verleitete sie nur selten zu Unvorsichtigkeiten. Sie war das Leben in der Familie, wenn Alfred fort war, der außer ihr allein ein so heiteres Gemüt besaß.
Percival, der dritte Knabe, war jetzt zwölf Jahre alt, er war ein ruhiger, kluger Bursche, sehr gehorsam und aufmerksam. Von Natur sehr wißbegierig, war ihm jede Belehrung willkommen.
John, der vierte Sohn, im Alter von zehn Jahren, war ein derber Junge. Das Lernen liebte er nicht, doch war er gut veranlagt. Seinen Büchern zog er alles andere vor, doch war er gehorsam und versuchte seine Aufmerksamkeit festzuhalten, so gut es nur gehen mochte. Er war in allem sehr langsam, sehr bedächtig, und sprach meist nur, wenn er angeredet wurde. Dabei war er nicht dumm, obgleich mancher ihn dafür halten mochte, vielmehr ein höchst eigentümlicher Knabe, bei dem sich schwer voraussehen ließ, in welcher Art er sich später entwickeln werde.
Am dritten Tag nach ihrer Einschiffung segelte das Schiff mit schönstem Winde den Irländischen Kanal hinab. Der ‚London Merchant‘ fuhr nach Cork, wo sich die amerikanische Konvoiflotte zu versammeln hatte. Der Krieg zwischen den Engländern und Franzosen, die damals alle Schrecken der Revolution zu erleiden hatten, hatte vor kurzem begonnen. Bei ihrer Ankunft in Cork erholte sich unsere Gesellschaft von der Seekrankheit, der ein jeder auf seiner ersten Meerfahrt zum Opfer fiel. Der ‚London Merchant‘ lag vor Anker mit über hundert Kauffahrteischiffen, zwischen denen man die stolzen Masten eines großen Fünfzigkanonenschiffes und zweier kleiner Fregatten bemerkte, welche den Konvoi zu seinem Bestimmungsort führen sollten. Während die übrigen Familienmitglieder, noch leidend, sich bald wieder in die Kajüte zurückzogen, blieb Alfred auf Deck. Gegen die Brüstung des Schiffes gelehnt, hafteten seine Augen an den flatternden Wimpeln der Kriegsschiffe und eine Träne lief ihm die Wange herab, als er sich vergegenwärtigte, daß er nicht länger seinem Lieblingsberufe folgen dürfe. Das Opfer, das er den Seinigen gebracht hatte, war groß. Er hatte zwar leichthin darüber gesprochen, doch nur, um sie nicht ahnen zu lassen, was es ihn koste. Seinem Vater hatte er nicht einmal mitgeteilt, daß er vor seiner Entlassung in Portsmouth das Offiziersexamen gemacht, und sein Kapitän ihm baldige Beförderung im Dienst versprochen hatte. Er hatte nichts darüber geäußert, daß seine Pläne, seine Hoffnungen, sein Lieblingswunsch, Schiffskapitän einer schönen Fregatte zu werden, vernichtet wurden. Dies alles hatte er verborgen und eine Heiterkeit zur Schau getragen, die er nicht empfand; jetzt aber, wo er allein war und sich der Wimpel des Kriegsschiffes seinen Blicken darbot, konnte er seinen Schmerz nicht zurückdrängen. Er seufzte tief und sprach zu sich selbst: „Ich habe meine Pflicht getan. Es ist schwer nach so langer Dienstzeit, wenn man gerade auf dem Punkte steht, im Dienste zu avancieren — wenn man darauf rechnen darf, sich durch Eifer auszuzeichnen und Ansehen zu erlangen, es ist schwer, dies alles aufzugeben und mit der Axt in der Hand in die Wälder zu gehen. Doch wie hätte ich meine Eltern und Geschwister verlassen, sie Mangel und Gefahr aussetzen können, während ich einen starken Arm besitze, ihnen zu helfen? Nein, nein, ich habe meine Pflicht denen gegenüber erfüllt, die darin nie gegen mich gefehlt haben, und ich hoffe, daß mein Gewissen mich belohnen wird und jener Kleinmut mir erspart bleibt, den wir nur zu leicht empfinden, wenn es dem Himmel gefällt, das zu Schanden zu machen, was uns die schönsten Aussichten eröffnete.“
„Hört, guter Bursche“, sagte Alfred nach einiger Zeit zu einem Bootsmanne, „wie heißt jenes Schiff mit fünfzig Kanonen?“
„Ich weiß nicht welches Schiff fünfzig und welches hundert Kanonen hat“, entgegnete der Irländer, „aber wenn Sie das größte von den dreien meinen, so ist es der ‚Portsmouth‘.“
„Portsmouth, dasselbe Schiff, für das Kapitän Lumley beordert wurde“, rief Alfred, „o, da muß ich an Bord gehen.“
Alfred eilte zur Kajüte hinab und bat den Kapitän des Transportschiffes, welcher Wilson hieß, ihm das kleine Boot zu erlauben, um damit an Bord des Kriegsschiffes zu gehen. Sein Wunsch wurde erfüllt, und bald befand sich Alfred auf dem ‚Portsmouth‘. Auf dem Hinterdeck fand er mehrere seiner ehemaligen Kameraden, die ihn herzlich bewillkommten, darauf ließ er durch den Steward an Kapitän Lumley die Anfrage ergehen, ob er ihn sprechen könne und wurde sogleich zur Kajüte befohlen.
„Nun, Mr. Campbell“, sagte Kapitän Lumley, „sind Sie doch noch zu uns zurückgekehrt? Besser spät, als niemals. Sie kommen gerade noch zu rechter Zeit. Ich dachte mir schon, daß die törichte Grille, die Sie in Ihrem Briefe aussprachen, bald genug vergehen würde. Gerade jetzt, wo Sie das Examen bestanden und die besten Aussichten auf Beförderung haben, den Dienst verlassen zu wollen! Wie konnte Ihnen das nur in den Sinn kommen?“
„Die Pflicht, Sir“, versetzte Alfred, „die Pflicht gegen meine Eltern gebot es mir. Es war ein sehr schwerer Schritt für mich, aber Sie mögen selbst urteilen, ob ich anders handeln durfte.“
Alfred berichtete Kapitän Lumley getreulich, was geschehen war, welchen Plan seine Eltern gefaßt hatten, und daß seine Angehörigen an Bord des Transportschiffes seien, das sie ihrem neuen Geschick entgegenführen sollte.
Kapitän Lumley hörte Alfreds Erzählung an, ohne ihn zu unterbrechen. Nach einer Pause sagte er: „Ich denke, Mr. Campbell, Sie haben recht, und Ihr Entschluß macht Ihnen alle Ehre. Ihr Mut und Ihr Schutz wird für die Ihrigen zweifellos wertvoll sein. Aber schade ist es, daß Sie für unseren Dienst verloren sein sollten.“
„Ich bedaure es am meisten, Sir, davon können Sie überzeugt sein, aber —“
„Aber Sie opfern sich, ich weiß das. Ich bewundere den Entschluß Ihrer Eltern. Wenige würden den Mut haben, einen solchen Schritt zu unternehmen, namentlich wenige Frauen. Ich werde Ihre Eltern besuchen und ihnen meine Hochachtung aussprechen. In einer halben Stunde bin ich bereit; Sie sollen mich begleiten und vorstellen. Inzwischen können Sie Ihre alten Kameraden begrüßen.“
Alfred verließ die Kajüte, angenehm berührt von Kapitän Lumleys Freundlichkeit und begab sich zu seinen früheren Kameraden, bei denen er verweilte, bis der Hochbootsmann mit der Pfeife die Mannschaft zur Kapitänsbarke heranrief. Dann ging er auf Deck und stieg, sobald der Kapitän heraufkam, in das Boot. Der Kapitän folgte und binnen kurzem waren sie an Bord des ‚London Merchant‘.