Logotherapie und Existenzanalyse heute. Elisabeth Lukas

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müssen, dass der bloße Vorsatz, etwas von nun an anders zu machen, noch lange nicht ausreicht, um diesen Vorsatz auch wirklich tätig umzusetzen. Die Forschung zeigt ebenso wie die Lebenserfahrung der wohl meisten: Eine zusätzliche Zutat ist vonnöten – und diese Zutat scheint nun ganz grundlegend die jeweilige Einstellung zu sein, und hierbei vor allem unser Selbst- und Menschenbild: Ermutigt es uns, frei und proaktiv von unseren Möglichkeiten Gebrauch zu machen – oder entmutigt es uns und stempelt es uns zum Opfer unserer inneren und äußeren Bedingtheiten ab?

      Die Experimente folgten im Prinzip zumeist demselben Schema. Man nahm eine zufällige Stichprobe und teilte sie in zwei Gruppen ein. Beide Gruppen bekamen – unter irgendeinem Vorwand – einen Text zu lesen. Der Text der ersten Gruppe argumentierte in ziemlich überzeugender Weise dafür, dass der Mensch vollständig durch seine Innen- und Außenumstände determiniert sei („nicht anders könne“). Der anderen Gruppe wurde in ebenso überzeugender Weise dargelegt, der Mensch sei zwar in Maßen bedingt, aber es käme vor allem auf seine eigenen frei gewählten Entscheidungen an, wie er sich verhalte; der Mensch sei daher in relevanter Weise willensfrei („er könne stets auch anders“).

      Für gewöhnlich verbirgt man in solchen Studien die wissenschaftlichen Hintergrundabsichten vor den Versuchspersonen, damit man Erwartungseffekte, Verfälschungen und Ähnliches möglichst ausschließen kann. So auch hier. Das Ziel war ja, die reine, unmittelbare Wirkung des Glaubens oder Unglaubens an die eigene Willensfreiheit auf das Verhalten des Menschen zu untersuchen. Zu diesem Zweck gab es eine sogenannte Coverstory. Bei den erwähnten Experimenten ließ man die Versuchspersonen glauben, sie würden an einer Reihe mehrerer kleiner Einzelstudien teilnehmen, die nichts miteinander zu tun hätten. Von der ersten Studie wurde den Versuchspersonen mitgeteilt, sie teste das Verhältnis von Textverständnis und Texterinnerung. Die Versuchspersonen bekamen je nachdem, welcher Versuchsgruppe sie (zufällig) zugeteilt wurden, einen vermeintlich brandneuen Artikel einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu lesen, in dem von angeblich definitiven und revolutionären Forschungsergebnissen berichtet wurde, denen zufolge nun wissenschaftlich zweifelsfrei erwiesen sei, menschliches Verhalten sei vollständig determiniert (für die „unfreie Gruppe“) bzw. nicht determiniert, sondern stünde im Einflussbereich der bewussten Entscheidungsfähigkeit der Person (für die „freie Gruppe“). Natürlich waren beide Artikel fiktiv, aber den Versuchspersonen verriet man dies nicht. Sie glaubten, dass sie gerade eine grundlegende wissenschaftliche Stellungnahme für oder gegen die eigene Willensfreiheit gelesen hätten.

      Jedoch merkte der Versuchsleiter entschuldigend an, dass aufgrund eines Programmierfehlers die richtige Lösung einige Sekunden nach Präsentation der Aufgabe automatisch auf dem Monitor aufscheinen würde. Das sei nicht gewollt – und er bat die Versuchspersonen um ihre Mithilfe: Sie sollten kurz, nachdem die Aufgabe auf dem Monitor erschien, die Leertaste der vor ihnen liegenden Tastatur drücken – damit könnten sie unterbinden, dass die Lösung auf dem Bildschirm präsentiert werde. Der Versuchsleiter betonte, dass er zwar nicht nachprüfen könne und werde, ob und wie oft die Versuchsteilnehmer die Leertaste drückten, um das automatische Aufscheinen der Lösung zu verhindern. Aber er bat sie inständig darum, nicht zu mogeln und die mathematischen Probleme wirklich selbständig zu lösen – also nicht einfach ohne Drücken der Leertaste darauf zu warten, dass die Lösung erscheine. Andernfalls wären die Versuchsergebnisse wertlos und die langen und aufwendigen Vorbereitungsarbeiten vergeblich gewesen.

      Daraufhin verließ der Versuchsleiter unter irgendeinem Vorwand den Raum; die Versuchspersonen fühlten sich also unbeobachtet und sich selbst überlassen. In Wahrheit registrierte der Computer aber natürlich, wie oft die Studienteilnehmer die Leertaste drückten bzw. wie oft sie warteten, bis die Lösung von alleine erschien.

      Die Versuchspersonen hatten somit die Gelegenheit, die frustrierend langweiligen Rechenaufgaben deutlich bequemer hinter sich zu bringen, indem sie einfach nicht die Leertaste drückten und lediglich darauf warteten, bis die Lösungen auf dem Monitor aufleuchteten. Auf diese Weise wurde ein direkter Konflikt zwischen lust- und unlustbestimmtem Verhalten einerseits und rücksichtsvollem und im weitesten Sinne wertorientiertem Verhalten andererseits herbeigeführt. Es wurde mit anderen Worten eben jene Verleitungs- oder Versuchungssituation provoziert, der der ichschwache Mensch so häufig erliegt mit der Begründung, „nicht anders gekonnt zu haben“.

      Ziel des Experiments war es, zu untersuchen, ob es in einer solchen Situation einen Unterschied ausmache, ob die Teilnehmer zuvor davon überzeugt worden waren, dass sie willensfrei bzw. willensunfrei seien. Und tatsächlich zeigte sich ein höchst signifikanter Effekt des recht kurzen Überzeugungstextes: Die Versuchspersonen, denen zuvor glaubhaft gemacht worden war, sie seien „unfrei“, drückten wesentlich seltener die Leertaste (in 48 % aller Fälle) – schummelten also signifikant häufiger als die Versuchsteilnehmer, denen zuvor ihre Freiheit zugesichert und bestätigt worden war. Diese drückten in durchschnittlich 70 % der Fälle die Leertaste. Oder anders formuliert: Die sich unfrei denkenden Versuchspersonen schummelten durchschnittlich bei 52 % der Rechenaufgaben, die sich frei denkenden Versuchspersonen bei durchschnittlich nur 30 %. Zudem zeigte sich eine starke positive Korrelation zwischen dem Glauben an die menschliche Willensfreiheit und ehrlichem Verhalten. Je erfolgreicher die Manipulation also war (d. h. je eher die Versuchspersonen dem jeweiligen Text Glauben schenkten), desto stärker war der hier beschriebene Effekt.

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