Neymar. Luca Caioli
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Heute wohnt in der Rua B Nr. 374 einer von Neymars Cousins. Wenn man durch die verwahrloste Gegend streift, wird einem klar, dass Juninho keine einfache Kindheit hatte. „Ich bin kein Muttersöhnchen. Ich bin in einer Favela aufgewachsen. Meine Familie kam aus bescheidenen Verhältnissen. Wir hatten ernste finanzielle Schwierigkeiten“, erinnerte sich die brasilianische Ikone Jahre später.
Nach dem Ende seiner Profilaufbahn bewarb sich Neymar Pai 1998 in Santos um eine Stelle bei der CET, der Companhia de Engenharia de Tráfego, dem Verkehrsverbund der Stadt. Er wurde genommen und erhielt den Job. Auf dem Bau zu arbeiten, entsprach nicht unbedingt seiner Wunschvorstellung, hatte er doch Mechaniker gelernt. Aber fürs Erste musste es reichen. Die CET ließ neue Überdachungen für die Bushaltestellen in Santos bauen. Neymar Pai buddelte, rührte Zement an, stellte Säulen auf und besserte Gehsteige aus. Vier Monate später begann er damit, den Fuhrpark der CET zu warten, und schließlich kümmerte er sich um die Motorräder der Militärpolizei. Dank einer Weiterbildung beim SENAI, dem nationalen Ausbildungsdienst für die Industrielehre, brachte er es schließlich zum Abteilungsleiter.
2009 verließ er die Firma, um Juninhos Manager zu werden. Aber bis es so weit war, sollte es noch ein Weilchen dauern. Einstweilen reichte der Mindestlohn, den die CET zahlte, hinten und vorne nicht. Um über die Runden zu kommen, verkaufte Neymar Pai Wasseraufbereiter und verdingte sich an den Wochenenden mit seinem guten alten VW-Bulli als Umzugshelfer. Nadine kümmerte sich ums Haus und die Kinder und arbeitete außerdem als Köchin in einem Zentrum für bedürftige Kinder.
Juninho teilte sich seine Zeit zwischen Schule und Fußball auf. Er besuchte die Escola Municipal José Julio Martins Baptista, und sobald die Klingel läutete, rannte er wie der Blitz zum Trainingsplatz, wo er immer 110 Prozent gab. Auch zu Hause spielte er: Er dribbelte um Tische und Stühle und alles herum, was ihm in den Weg kam. Die Tür seines Kinderzimmers diente als Tor, das Sofa als Gegenspieler, der ihn unfair zu Fall brachte – klarer Elfmeter. Er spielte gegen Wände, nahm den Ball volley, köpfte ihn und nahm ihn mit der Brust an, hielt ihn mit dem Oberschenkel in der Luft und benutzte ansonsten, wann immer es ging, den linken Fuß. Mit einem Kinderfußball erzielte er zwischen den Beinen eines Sessels hindurch Tor um Tor. Er dachte sich verschiedene Partien aus: Ligaduelle, Pokalkrimis, große Finalspiele.
Manchmal gingen Dinge zu Bruch. Besonders die Vasen seiner armen Mutter wurden in Mitleidenschaft gezogen. Nadine schimpfte ihn aus, aber nicht allzu sehr. Ihr Vater Arnaldo, den Juninho nie kennenlernte, hatte Fußball gespielt. Sie hatte Verständnis und hielt ihren Sohn nicht davon ab, seinen Spaß mit dem Ball zu haben.
Der junge Neymar spielte unaufhörlich Fußball. Er spielte daheim, in der Schule, am Strand mit seinem Vater, sofern der Zeit hatte, und auf der Straße mit seinen Freunden: auf einem Asphaltplatz mit improvisierten Toren und den Gehsteigen als Seitenlinien. Die Straße war abschüssig, und die Mannschaften wechselten der Fairness halber alle drei Tore die Seiten.
Gustavo Almeida erinnert sich, dass „es sowohl bergauf als auch bergab schwer war, Juninho zu stoppen“, und erzählt von einem Tag, als Betinho kam, um seinen Schützling zum Training abzuholen. „Er parkte seinen Wagen in der Nähe und wollte dem Spiel zusehen, aber er vergaß, die Handbremse anzuziehen. Der Wagen begann langsam bergab zu rollen und wurde immer schneller. Zum Glück konnten wir den Wagen einholen und anhalten. Das hätte eine Katastrophe geben können.“
In Jardim Glória erinnern sich viele an Juninho als einen schüchternen Jungen, der nicht viel sprach. Er sammelte für sein Leben gern Spielzeugautos. Er spielte auf der Straße und schoss den Ball gegen die Tore der Nachbarn. Er trainierte auf dem Platz von Grêmio Praia Grande (wo jetzt das neue Institut gebaut wird) oder auf dem Platz, den sein Vater hinterm Haus angelegt hatte. Der hatte einen Rasen und war fantastisch.
Eines Tages lud Juninho seine Freunde zu einem Spiel ein. 20 von ihnen waren dabei. Sie fingen mittags an und hörten erst um 18 Uhr auf, als es dunkel wurde. Erst da merkten sie, dass der Rasenplatz sich in eine Sandgrube verwandelt hatte. Kein einziger Grashalm war mehr übrig. Neymar Pai wäre bestimmt verärgert: die ganze Arbeit an einem einzigen Nachmittag ruiniert. Einer von Juninhos Freunden hatte eine Idee: Er sollte einfach schlafen gehen oder so tun, als schliefe er. Neymar Pai würde seinen Juninho schon nicht wecken. Und so verwandelte sich Neymar Jr. für zwei Wochen in Dornröschen: Wenn sein Vater heimkam, lag Juninho immer schon im Bett.
Diejenigen, die den berühmtesten Jungen der Nachbarschaft damals kannten, haben viele Geschichten zu erzählen. Manche von ihnen sind nicht einmal alt genug, ihn in Jardim Glória spielen gesehen zu haben, aber trotzdem wissen sie ganz genau, wo er zur Schule gegangen ist. So wie die beiden Kids, die ich von der Schule heimradeln sehe und die stolz darauf sind, dass es einer geschafft hat und ein berühmter Fußballer geworden ist. Auch sie träumen davon, die Stadt eines Tages zu verlassen, so wie Juninho.
Aber zurück zu Neymar Jrs. Karriere, die unter Betinhos Führung weiter voranging. Nach Tumiaru betreute Betinho eine Zeit lang Associação Atlética Portuguesa, anschließend arbeitete er für die Fußballschule von Grêmio Recreativo y Esportivo Sindicato dos Metalúrgicos de Santos, kurz Gremetal.
Gremetal ist eine 1972 gegründete Vereinigung, deren Mitglieder 1995 beschlossen, ein Sportprojekt ins Leben zu rufen, um der grassierenden Drogenproblematik unter der jungen Bevölkerung von Santos zu begegnen. Heute beherbergt die Escolinha de Futsal 200 Kinder im Alter von vier bis 15 Jahren. Als Klubhaus dient ein großer Betonbau mit weißen und blauen Streifen in der Rua Paraná. Über dem Eingang prangt stolz das Klubwappen.
Drinnen trainieren ein paar Kinder. Weiße Trikots über gebräunter Haut auf einem hellblauen Platz. Im Korridor hängt eine große grüne Leinwand, auf der es heißt: „Die Erfolge des Klubs. Athleten, die Gremetal besuchten und heute in Brasilien und der ganzen Welt Fußball spielen.“ Zahlreiche Mitgliedsausweise mit Fotos und Namen sind zu sehen. Von Adriano Bispo Dos Santos (Grêmio) bis Anderson Carvalho (Santos), von Renatinho (Hangzhou Greentown in China) bis Rodolfo (Vasco Da Gama). Und natürlich Neymar. Von ihm sind vier Fotos zu sehen, an der Seite seiner Teamkollegen aus der Zeit, als er hier spielte, und dann später mit der Jugendmannschaft von Gremetal, als er schon berühmt war.
Elton Luiz, der Manager von Esportes Futsal, erinnert sich: „Er kam 2001 zu uns. Betinho nahm ihn zusammen mit 15 anderen Kindern unter seine Fittiche. Schon damals spielte er in seiner eigenen Liga, sowohl auf als auch neben dem Platz. Er liebte es einfach, mit dem Ball zu spielen. Wir haben dreimal die Woche trainiert, aber das schien ihm überhaupt nichts anzuhaben. Wir versuchen hier im Klub immer, sämtliche Kinder einzubinden. Wir setzen sie auf allen Positionen ein, auch im Tor, und arbeiten hart an den Grundlagen. Sie müssen beidfüßig schießen können, gute Ballkontrolle haben und teamfähig sein. Auch die Beziehung zur Familie ist wichtig. Wir arbeiten eng mit den Eltern zusammen, denn letztlich hat unser Job auch soziale Aspekte. Neymars Vater hat sich sehr engagiert. Er sprach mit den Trainern und gab ihnen Tipps, immerhin war er früher selbst Profi. Wir bereiten die Kinder auf Wettbewerbe, internationale Turniere und regionale Meisterschaften vor. Als Neymar bei uns war, haben wir einen Titel nach dem anderen gewonnen.“
Er bricht mitten im Satz ab und bittet einen der Anwesenden, nach den Fotos der Siege zu suchen. Auf einem sieht man Neymar im gelben Trikot mit dem grünen Kragen und einem Ball in der Hand im Kreise seiner Mitspieler hocken, hinter ihm der wie immer lächelnde Betinho. Auf einem anderen hat er ein weißes Trikot an und eine Frisur wie Ronaldo bei der WM 2002 in Japan und Südkorea: eine Glatze, die vorne von einem Haarbüschel geschmückt wird. Ronaldo war damals sein Vorbild, und Neymar wollte mindestens so gut werden wie er.
Auf dem Foto ist außerdem Alcides Magri Júnior zu sehen, der die U11 trainiert. Nach dem Spiel hat er ein paar Minuten Zeit, um mit mir über seinen früheren Schützling zu plaudern: „Er