Ein Junge liebt ein Mädel: Annemarie Land. Robert Heymann
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„Pst, sprich Leiser“, sagte Hans Scholl. Seine Fröhlichkeit war mit einem Male tiefem Ernst gewichen. Er sah zum Hause Hin, und unwillkürlich wandten auch die Freunde den Blick.
Auf dem Gartenweg näherte sich langsam ein junges Mädchen, sie ging, in tiefes Nachdenken versunken, strich hier und dort liebkosend über eine Blume, einen Strauch, ohne sich anscheinend dessen bewusst zu werden, was sie tat, denn ihr Kopf war gesenkt, sie war völlig mit ihren Gedanken beschäftigt.
Die Freunde waren halb hinter einer Laube versteckt, und so bemerkte sie, die drei jungen Männer erst, als sie im Begriffe war, die Laube zu betreten.
Ein flüchtiges Rot huschte über ihre Wangen. „O, Verzeihung —“ sagte sie, „ich wusste nicht, dass du Besuch hast, Hans —“
Gerhard und Theo hatten sich rasch erhoben. Hans stellte die Freunde vor. „Und das ist meine Schwester Maria“, sagte er, und ein Ton von Zärtlichkeit schwang in seiner Stimme, den die beiden noch nie bei ihm gehört.
,,Gerhard und Theo bleiben ein paar Tage in Auerbach“, wandte er sich erklärend an die Schwester. „Wir fahren dann zusammen in die Stadt, sobald die Ferien zu Ende sind.“
„Lassen Sie sich nicht stören“, sagte Maria mit weicher, angenehm klingender Stimme. Sie wollte wieder in den Garten gehen, aber ihr Bruder hielt sie zurück:
„Du wirst doch nicht ausrücken, Maria? Meine Freunde beissen nicht.“
Sie lächelte. Es lag etwas unendlich Rührendes auf ihrem blassen Gesicht, das die Spuren eines geheimen Kummers trug.
„Das glaube ich schon. Aber Sie haben sich doch sicherlich so manches zu erzählen, und ich tauge, offen gestanden, nicht für fröhliche Gesellschaft.“
Sie liess sich aber doch bewegen, zwischen Falk und Brausewetter Platz zu nehmen.
Theo von Falk war plötzlich wie verändert. Er sprach kaum ein Wort, er starrte Maria fast ungezogen an, bis sie ihn ansah und er nun verwirrt die Augen senkte.
Aber auch Gerhard konnte den Blick nicht von ihr wenden. In dem dunklen Kleid bildete sie eine auffällige Erscheinung. Sie hatte schweres, kastanienbraunes Haar, das tief im Nacken zu einem Knoten gewunden war, ihre Hände waren sehr weiss und sehr klein, ihre Augen von einem leuchtenden Blau. Aber tiefe Schatten lagen um diese strahlenden Augen, und um den schmalen Mund zog sich eine steile Falte, die von Leid und Kummer erzählte.
Sie sass zwischen den Freunden und beteiligte sich in ihrer ruhigen, zurückhaltenden Art an der Unterhaltung. Brausewetter gab sich Mühe, sie zum Lachen zu bringen, der traurige Zug um ihren Mund berührte ihn geradezu schmerzlich. Aber es gelang ihm nicht, ihr ein frohes Lachen zu entlocken. Maria konnte nur lächeln, und dann war es eigentlich mehr der Ausdruck einer stillen Resignation.
Brausewetter sah zu Theo hinüber. „Was ist denn mit dir los, Theo? Eben noch hast du uns kaum zu Worte kommen lassen, und jetzt tust du den Mund gar nicht auf!“
Falk lächelte mühsam. Er kämpfte innerlich gegen etwas an, das sich plötzlich wie ein Bann über ihn legte. Zum ersten Male war er einer Frau begegnet, die einen so starken Eindruck auf ihn machte, dass er, der stets Lebhafte, Gesprächige, schweigsam wurde. Marias schwermütige Schönheit war ihm wie eine Offenbarung, ihre Traurigkeit, die sie älter erscheinen liess als sie war — sie mochte zwanzig Jahre zählen — bedrückte ihn.
Maria schien zu fühlen, dass ihre Gegenwart sich allmählich lähmend auf die Fröhlichkeit der drei Kameraden auswirkte. Sie erhob sich und reichte den beiden Gästen die Hand: „Leider ruft mich die Pflicht ins Haus zurück — aber ich sage Ihnen auf Wiedersehen, ich hoffe, Sie werden in der Zeit Ihres Hierseins unser Heim auch als das Ihrige betrachten.“
Nachdenklich blieben die drei zurück. Selbst Hans war gemessen, fast scheu geworden. — —
Die acht Tage, die Gerhard und Theo in Auerbach zu Besuch weilten, verbrachten sie nun fast ausschliesslich im Schollschen Hause. Maria hatte so lange gebeten und gedrängt, bis die Freunde auch die Mahlzeiten mit ihr und den Ihren einnahmen und sich völlig als Gäste des Hauses betrachteten.
„Ich würde Sie am liebsten bitten, aus Ihrem Hotel ganz hierher zu ziehen,“ sagte sie lächelnd, „aber leider sind wir im Platz etwas beschränkt — —“
Die Freunde lernten Maria immer besser kennen, sie blickten in der Folge mit einer geradezu schwärmerischen Verehrung zu der Schwester des Kameraden auf. Sie übte einen grossen Einfluss auf ihren Bruder aus. Er liebte sie mit hingebender Zärtlichkeit. Mochte vorfallen, was wollte, mochten Vater und Mutter vergeblich ihren Einfluss auf ihn geltend machen — ein Wort Marias genügte, ihn zu lenken. Dieser Einfluss der reinen und stillen Weiblichkeit, der in Marias Wesen begründet war, machte sich allmählich auch bei Theo von Falk bemerkbar. Er wurde nachdenklicher, stiller, und Gerhard überraschte ihn mehrmals in träumerischem Nachdenken.
Hans erzählte den beiden Freunden eines Tages, warum seine Schwester eigentlich so selten wirklich aus ganzem Herzen fröhlich war.
„Euch beiden kann ich es ja anvertrauen, ohne fürchten zu müssen, dass Maria, wenn sie es erführe, dies als Beleidigung auffassen könnte. Ihr werdet dann auch begreifen, warum ich ohne Unterlass arbeite und es manchmal geradezu mit der Angst zu tun kriege, es könnte mir zum Schluss noch etwas in die Quere kommen.
Maria ist verlobt, müsst ihr wissen, und hätte eigentlich schon vor drei Jahren heiraten sollen. Ihr Bräutigar war Offizier. Arm natürlich, ohne Aussicht, trotz seiner grossen Begabung schnell Karriere zu machen — und unsere Familie ist nicht reich. Was war da zu tun? Ich erinnere mich, solang ich lebe, an diese Zeit der Konflikte, der Aufregungen . . .“
„Der Mann, dem deine Schwester ihre Liebe geschenkt, hätte entweder in ferne Länder gehen oder den Säbel weglegen, arbeiten sollen!“ sagte Theo von Falk schroff.
Hans Scholl lächelte.
„Leicht gesagt, lieber Freund! Nach deinem Rezept hat Kurt auch gehandelt. Er hat seinen Abschied genommen und den kaufmännischen Beruf ergriffen. Das ist kein kleines Opfer, nicht wahr? Du wirst es am ehesten verstehen. Damit war es aber noch nicht abgetan. Nun kam erst die Zeit des Kampfes. Kurt musste sich hocharbeiten. Er hat Energie, er kann etwas, und die besten Aussichten waren vorhanden. Mein Vater konnte Maria Keine eigentliche Mitgift geben, aber er wäre imstande gewesen, ihrem Gatten jeden Monat so viel zuzuschiessen, dass sie sich zu einer günstigen Lebensstellung hätten emporarbeiten können.“
„Und warum — warum haben sie denn nicht geheiratet?“ fragte Falk stockend.
„Damals stand ich kurz vor dem Einjährigen“, fuhr Hans Scholl fort. „Die Frage war nun: gehe ich nach dem Einjährigen vom Gymnasium ab oder bleibe ich? Mein Beruf war eigentlich schon festgesetzt: niederer Post- oder Bahndienst. Ohne mich rühmen zu wollen — ihr misst, dass ich immer einer der Besten der Klasse war. Mein Ehrgeiz ging höher. Ich konnte es kaum verwinden, abgehen zu müssen, mich als Assistent herumschinden, während meine Kameraden, die mit mir auf einer Bank gesessen, nach einigen Jahren weiteren Studiums ganz, ganz andere Chancen haben sollten.