Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May
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Читать онлайн книгу Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May страница 25
Er mußte einsehen, daß die Perspektive, welche sie ihm hier stellte, eine große Wahrscheinlichkeit für sich habe; er starrte ihr eine ganze Weile lang wortlos in das Gesicht, wendete sich dann rasch ab, schritt einige Male im Zimmer auf und ab und sagte endlich, vor ihr stehenbleibend:
»Wissen Sie, daß Sie ein Ungeheuer sind?«
»Ah! Wer ist ungeheuerlicher und abscheulicher, der Mörder oder die Zeugin, welche ihn seiner That überführt?«
»Aber ich bin ja gar nicht der Mörder!«
Da erhob sie sich von ihrem Sitze, legte die Hand auf seine Schulter und fragte ihn, indem sie ihren Blick flammend in sein Auge bohrte:
»Baron, wollen Sie, daß ich Sie verachte?«
»Verachten? Wieso?«
»Der Mord ist durch das Gesetz verboten; aber der Mörder ist doch ein muthiger Mann, vor dem eine Frau Respect haben muß, ja, für den sie sogar Sympathie empfinden kann. Wer aber seine That leugnet, und zwar vor einem Wesen, welches es herzlich gut mit ihm meint, der ist feig, der ist geradezu verächtlich.«
Sie drehte sich stolz von ihm ab. Sie war in diesem Augenblicke sinnberückend schön. Sie stand am Fenster; er sah ihr zornig schönes Gesicht, ihren glänzenden Nacken, ihre vollen Schultern und Arme, ihren üppigen Busen, welcher sich lebhaft auf und nieder bewegte. Er war ein gott- und rücksichtsloser, ein sinnlicher Mensch; es riß ihn zu ihr hin; er ergriff ihre Hand und fragte:
»Sie behaupten, daß Sie es herzlich gut mit mir meinen? Haben Sie da die Wahrheit gesagt, Ella?«
Sie drehte sich rasch zu ihm herum, warf ihm die Arme um den Nacken, drückte ihn fest und mit mehr als Innigkeit an sich und antwortete:
»Kannst Du daran zweifeln, Franz?«
»Muß ich nicht zweifeln, da Du gegen mich als Anklägerin auftreten willst? Du willst mich also in den Tod treiben!«
»Kann ich anders? Frage Dich selbst und gieb mir dann Antwort!«
»Ich begreife Dich nicht! Meine Antwort kann doch nur so lauten, daß man Den, welchen man liebt, nicht in das Verderben stürzt.«
»Willst Du nicht die Frage nach der Gegenliebe auch mit in Rechnung ziehen? Wenn ich schweige und ein Unschuldiger wird dadurch zum Tode verurtheilt, so bin ich seine Mörderin. Dieser Mord fällt so schwer auf das Gewissen, daß die Last nur durch das Glück, wieder geliebt zu werden, ausgeglichen wird.«
»Du meinst, daß Du schweigen würdest, wenn Du meiner Gegenliebe sicher wärst?«
»Ja, das will ich damit sagen.«
»So kenne ich keinen Grund, an meiner Liebe zu zweifeln!«
»Du selbst hast ihn mir vorhin an die Hand gegeben, als ich davon sprach, daß nur die privilegirte Liebe ein wirkliches Glück gewähren kann. Um einen Mord verschweigen zu können, muß ich nicht die Geliebte, sondern die Frau des Mörders sein!«
Da wand er sich aus ihrer Umarmung los und sagte:
»Das soll heißen, Du wirst mich denunziren, wenn ich Dir nicht gestatte, Baronin von Helfenstein zu sein?«
»Genau so!«
»Das ist zuviel verlangt! Das kann ich unmöglich gewähren. Der Stammbaum der Helfenstein darf nicht durch eine Mesalliance be– be– be–«
»Besudelt werden!« fiel sie ein. »Gut, Herr Baron! Wir sind also miteinander fertig, und es wird sich zeigen, wodurch ein Stammbaum mehr befleckt wird, durch eine Ehe oder einen Mord. Sie hatten die Wahl zwischen mir und dem Schafotte; Sie haben gewählt, und ich kann gehen.«
Sie warf mit einer entschlossenen Miene den Kopf zurück, griff zu ihrem Umhang, den sie um die Schultern nahm und entfernte sich.
Er ließ sie bis zum Hausflur kommen, dann aber übermannte ihn die Angst. Er wußte, wie resolut sie war, und fühlte sich überzeugt, daß das Bewußtsein, von ihm verschmäht zu sein, sie zur rücksichtslosesten Rache antreiben werde. Er eilte ihr nach, ergriff sie beim Arme und sagte:
»Bitte Ella, nicht so rasch entscheiden! Treten Sie wieder ein! Wir können ja sehr leicht ein Uebereinkommen treffen, welches Sie vollständig befriedigen wird.«
Sie schüttelte sehr ernst den Kopf und antwortete:
»Es giebt nur ein einziges solches Uebereinkommen, und das heißt nicht anders als ›Ehe‹. Ich lasse mir nichts abhandeln.«
Da zuckte es wie ein schneller Entschluß über sein Gesicht. Er sagte sich, daß es sich doch nur um eine augenblickliche Befriedigung handele. That sie jetzt noch eine falsche Aussage vor Gericht, so konnte sie später gar nichts erreichen, sie hätte sich dann ja selbst anklagen müssen. Darum ergriff er ihre Hand und sagte im freundlichen Tone:
»Nun, wir werden wohl auch darüber einig zu werden wissen. Treten Sie nur ein, damit wir weiter verhandeln können.«
»Gut, ich will es noch einmal versuchen, sage es Ihnen aber ganz aufrichtig, daß ich nicht mit mir spielen lasse.«
Er führte sie in das Zimmer zurück und begann von Neuem:
»Würden Sie sich mit einer Geldbelohnung begnügen? Ich liebe Sie, ich liebe Sie sogar recht herzlich; aber ich kann doch unmöglich mit den Traditionen meiner Familie brechen!«
»Indem Sie Mörder wurden, haben Sie mit denselben gebrochen. Oder sind vielleicht die Helfensteins alle und stets Mörder gewesen?«
»Sie nehmen das zu streng!«
»O nein, mein Lieber! Uebrigens, wie wollen Sie mir eine Gratification in Geld bezahlen. Ich weiß ja sehr genau, daß Ihre Verhältnisse vollständig derangirt sind. Sie wären wohl kaum im Stande, mir heut lumpige hundert Thaler zu zahlen. Ich bin ja selbst reicher als Sie, denn da mein Bruder keine Kinder hinterließ, bin ich seine einzige Erbin gewesen. Sie werden niemals ein Vermögen wie das meinige besitzen, obgleich dies kein bedeutendes ist. Auch in dieser Beziehung muß es Ihnen willkommen sein, wenn ich Ihnen meine Hand anbiete.«
»Sie irren! Ich bin der festen Ueberzeugung, daß ich einmal sehr reich sein werde.«
Sie erhob die Hand und drohte warnend mit dem Zeigefinger.
»Herr Baron, ich weiß, woran Sie denken. Ihren Berechnungen vermag ich sehr gut zu folgen!«
»Wieso?«
»Am Abende wurde der Baron ermordet, am anderen Morgen sein projectirter Schwiegersohn; Der, welcher Alma liebte, wird als Mörder hingestellt. Dadurch sind drei Personen aus dem Wege geräumt. Glauben Sie etwa, die Hand Alma's zu erhalten?«
»Nein.«
»Dies ist das einzige, ehrliche Wort, welches Sie mir heute gesagt haben. Alma wird überhaupt nicht die Herrschaft Helfenstein besitzen können; diese