Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May
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Читать онлайн книгу Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May страница 27
»Warum nicht?«
»Weil es in diesem elenden Neste Niemand giebt, der sich an mir zu vergreifen wagen würde.«
»Das ist wahr; aber ich habe meine Vorkehrungen getroffen. Deine Person ist mir sicher, entweder als Gemahl oder als Gefangener.«
Da machte er einen letzten Versuch. Er wollte sehen, ob sie einzuschüchtern sei. Daher meinte er, die Achsel zuckend:
»So sicher denn nun wohl nicht. Ich glaube vielmehr, daß ich Dich viel sicherer habe als Du mich.«
Sie zuckte ebenso die Achsel wie er und fragte lächelnd:
»Wieso?«
»Nun, ich habe Dich ja hier in meiner Behausung! Wie nun, wenn Du dieselbe nicht wieder verläßt, wenigstens nicht lebendig?«
Ihr Gesicht zeigte nicht eine Spur von Angst oder Schreck. Sie sagte:
»Du beurtheilst mich viel, viel zu falsch. Ich weiß, daß ein Mörder im Stande ist, eine zweite Person zu tödten, wenn er sich dadurch Sicherheit verschaffen kann. Daher habe ich meine Maßregeln getroffen. Ich bin nicht ohne Begleitung hier. Man hat mich bei Dir eintreten sehen; man wird mich, wenn meine Abwesenheit zu lange dauert, hier abholen und von Dir fordern. Uebrigens bin ich nicht unbewaffnet und würde mich zu wehren wissen. Also entscheide Dich! Ich brauche nur einen Wink durch das Fenster zu geben, so kommen meine Begleiter und Du bist Arrestant. Dein Unglück ist dann nicht mehr rückgängig zu machen.«
Was sie sagte, war keineswegs Alles wahr! Sie befand sich ganz allein hier und dachte gar nicht an seine Arretur. Aber als sie jetzt an das Fenster trat und dasselbe zu öffnen begann, überkam ihn eine entsetzliche Angst. Er sagte sich, daß er jetzt nicht in der Lage sei, es mit diesem Weibe aufzunehmen und daß ihm die nächsten Tage oder Wochen vielleicht bessere Chancen bieten würden, sie loszuwerden. Daher hielt er ihren Arm zurück und sagte:
»Halt! Rufen Sie Niemand herbei! Sie sollen Ihren Willen haben!«
Sie wendete sich langsam zu ihm um und fragte:
»Das heißt, ich soll Baronin von Helfenstein werden?«
»Ja.«
»Sie geben mir die schriftliche Zusicherung nebst Siegel und Unterschrift?«
»Ja.«
»Gehen mit mir zum Pfarrer?«
»Zum Teuf – – ja, zum Pfarrer!«
»Und schreiben dann auch nieder, daß Sie der Mörder des Barons sind?«
»Ja. Ich gebe Ihnen Siegel und Unterschrift dazu.«
Da glitt ein überlegenes Lächeln über ihr Gesicht.
»Sie halten mich für dümmer, als ich bin,« sagte sie. »Auf diesem Documente würde mir Datum und Siegel nur schaden, auch die Unterschrift. Durch das Datum würde nachgewiesen, daß wir unser Uebereinkommen vor Brandt's Verurtheilung getroffen haben; ich würde also Ihre Mitschuldige, eine Verbrecherin sein und könnte, ohne mich selbst in die größte Gefahr zu bringen, von diesem Documente gar keinen Gebrauch machen.«
»Verdammt raffinirt!« stieß er hervor.
»Allerdings! Das muß man sein, wenn man mit lachender Miene einen Mörder heirathet! Wie leicht können Sie auf den Gedanken kommen, auch mich aus der Welt zu schaffen, um wieder in den Besitz Ihrer Unterschrift zu kommen. Aber ich fürchte mich nicht. Ich werde meine Maßregeln so treffen, daß Sie mir nichts anhaben können, ohne sich selbst zu verderben. Ich werde Ihnen das, was Sie über den Mord niederschreiben, dictiren.«
»Ah! Warum?«
»Das werden Sie merken, ohne daß ich es Ihnen sage. Wir werden da mitten im Satze und ganz oben auf der ersten Seite eines Briefbogens beginnen, so daß das Document als Theil eines Briefes erscheint, den Sie fortschicken wollten, aber nicht fortgeschickt haben.«
»Mädchen! In Ihnen wohnt, weiß Gott, eine ganze Hölle!«
»Aber auch ein ganzer Himmel, lieber Franz!« lachte sie. Und indem sie ihn umarmte und küßte, fuhr sie fort: »Du wirst die Wahl zwischen dieser Hölle und diesem Himmel haben. Komm, sei gescheit, und wähle den Letzteren. Nimm Papier zur Hand und schreibe. Dann gehen wir zum Pfarrer, und die Sache ist abgemacht!«
Er konnte nicht anders. Halb gezwungen und halb ihren verführerischen Liebkosungen folgend, brachte er die nöthigen Schreibrequisiten zum Vorschein. – Eine Stunde später sah man sie Arm in Arm durch das Dörfchen gehen und hinter der Thür des Pfarrhauses verschwinden. – –
Der Tag, an welchem die Untersuchung gegen Brandt verhandelt werden sollte, kam heran. Er war durch die Zeitungen verkündigt worden, und alle Welt nahm an dieser Angelegenheit den regsten Theil.
War er schuldig oder unschuldig? So fragte man sich. Die Stimmen waren getheilt; aber die große Hältte derselben fand sich auf seiner Seite. Es war nicht das Mindeste verschwiegen geblieben. Da der Untersuchungsrichter nichts Neues aufzufinden vermocht hatte, so befand sich das Publikum im vollsten Besitze aller Thatsachen, welche für oder gegen ihn sprachen. Mit dem lebhaftesten Bedauern sagte man sich, daß der Mensch Theil für ihn nehmen müsse, der Jurist ihn aber verurtheilen werde.
Da der Andrang zur Verhandlung voraussichtlich ein übermäßiger sein wurde, so waren Karten ausgegeben worden. Nur bevorzugte Persönlichkeiten hatten Zutritt erlangt. Aber draußen vor dem Gerichtspalaste hatte sich bereits am frühen Morgen eine ansehnliche Menschenmenge versammelt, um die Zeugen ankommen und aussteigen zu sehen.
Als dieselben ihre Plätze eingenommen hatten, wurde der Angeklagte in den Saal geführt. Die Monate lange Haft war nicht ohne Wirkung auf sein Äußeres geblieben; aber der Eindruck, welchen er machte, war ein durchaus guter.
Weder furchtsam und frech, sondern offen und muthig, mit dem Ausdrucke eines Mannes, welcher sich zwar in einer gravirenden Lage, aber schuldlos in derselben weiß, blickte er sich im Saale um. Sein Auge blieb nur an Zweien haften, auf Baronesse Alma und auf seinem Vater, welche Beide auch als Zeugen anwesend waren.
Die Erstere hielt die Augen niedergeschlagen; der Letztere aber sah seinen Sohn an und blickte dann wie triumphirend zu den Richtern hinüber, als wollte er ihnen sagen:
»Seht ihn an, Ihr Herren! Hat er das Aussehen eines Mörders, eines Menschen, der sich schuldig fühlt! Hört, Ihr werdet ihn wohl freisprechen müssen!«
Er konnte nicht hinüber zur Anklagebank, aber er winkte Gustav einen freundlichen Gruß hinüber und machte dabei ein Gesicht, dem man es ansah, daß es nichts Anderes bedeuten solle als:
»Kopf hoch, mein Junge! Sie werden Dir nichts anhaben können!«
Es wurde begonnen. Der Vorsitzende machte das Auditorium mit dem vorliegenden Falle bekannt; der Angeklagte wurde vernommen und dann die einzelnen Zeugen. Gustav antwortete ruhig und ernst; es war ihm keine Aufregung, weder diejenige der Angst, noch die des Zornes anzumerken. Er gab der Wahrheit die Ehre, und mehr konnte er nicht.
Unter den Zeugen wurde besonders Baronesse Alma scharf beobachtet. Es war ja von gewisser Seite die Behauptung aufgestellt worden, daß Brandt ihr heimlicher Geliebter gewesen