Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May
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Читать онлайн книгу Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May страница 31
»Hast Du Alles?« fragte dieser.
»Alles. Ziehen wir die Schuhe gleich hier an?«
»Ja; die Stiefel stecken wir in das Gebüsch.«
»Wie aber kommen wir in das Schloß?«
»Das wird sich finden. Jetzt weiß ich noch nicht, ob man noch munter ist. Vielleicht steht ein Fenster neben dem Blitzableiter offen.«
Sie wechselten die Stiefel mit den Filzschuhen. Letztere machten ihre Schritte unhörbar; erstere wurden im Gebüsch versteckt.
Beim Schlosse angekommen, umschlichen sie dasselbe. Der Sohn trug die Kindesleiche und der Vater die Nachschlüssel, welche er mit einem Tuche umwickelt hatte. An einem der hinteren Fenster war noch Licht. Der Schmied kannte das Innere des Schlosses sehr genau, da er alle in sein Fach einschlagenden Reparaturen hier besorgt hatte.
»Das ist das Stübchen neben der Küche,« meinte er. »Da wird das Weibsvolk sitzen und klatschen. Wenn die Herrin nicht da ist, so hat die Dienerschaft freie Zeit. Warte hier!«
Er ging. Als er nach kurzer Zeit zurückkam, flüsterte er:
»Es geht Alles gut. Dort das Eckfenster ist offen. Wir steigen ein. Sollte die Thür verschlossen sein, so öffne ich. Wir kommen in den Flur und von da nach der Treppe. Die Stube, in welcher der Kleine schläft, kenne ich ganz genau.«
»Aber die Bonne!«
»Sie sitzt mit da drin. Wie es scheint, haben sie sich eine Chocolade gekocht. Da lassen sie sich nicht stören.«
»Wie kommen wir wieder heraus?«
»Ganz auf demselben Wege.«
Sie stiegen durch das Fenster. Die Thür des Zimmers, in welchem sie sich nun befanden, war nicht verschlossen. In einigen Augenblicken befanden sich die Beiden oben auf dem Corridore.
»Hier! Leise herein!« flüsterte der Schmied.
Ein Streichholz flackerte auf. Beim Scheine desselben gewahrten sie den Knaben, welcher in seinem Bettchen schlummerte. Leise, leise nahm ihn der Schmied heraus, er drückte ihn an sich; er erwachte nicht.
»Schnell! Den anderen Balg hinein! Betten drauf und die Kleidungsstücke, welche dort an der Wand hängen. Findest Du Dich allein zurecht?«
»Ja, Vater.«
»So gehe ich. An der Buche treffen wir uns wieder.«
»Aber wenn der Junge erwacht!«
»Schadet nichts. Hier hängt ein Mantel. Ich wickle ihn hinein. Was soll man da hören.«
Er nahm den Mantel, schlug den Knaben hinein und schlich sich davon. Es war ein Wunder zu nennen, daß das Kind nicht erwachte. Mit unhörbaren Schritten huschte der Schmied zur Treppe hinab und durch die Stube, welche sie offen gefunden hatten, in das Freie hinaus.
Da begann der Knabe sich zu regen. Der Schmied schaukelte ihn im Gehen leise hin und her. Das half. Das Kind glaubte sich in den Armen der Bonne und schlief wieder ein.
An der Buche angekommen, wartete er. Nach kaum zwei Minuten hörte er leise Schritte. Sein Sohn war es.
»Nun?« fragte er. »Ist's gelungen?«
»Natürlich!«
»Man sieht aber doch nichts!«
»So schnell kann es nicht gehen. Das Fenster liegt ja auf der Seite, welche man hier nicht sieht.«
»Verdammt! Wenn es nicht gezündet hätte, würde man die Verwechslung bemerken!«
»Habe keine Sorge. Was ich mache, das mache ich gut.«
»So wollen wir das Weite suchen.«
»Ziehen wir die Stiefel an?«
»Dazu giebt es keine Zeit. Trage Du sie. Ich habe den Jungen. Ehe Lärm wird, müssen wir zu Hause sein.«
Sie eilten davon, erreichten glücklich ihren Garten und gelangten durch die Scheune in den Hof. Die Gäste saßen noch in der Stube.
»Gehe hinein und schicke die Mutter heraus,« befahl der Schmied.
Der Sohn ging, und in kurzer Zeit kam die Frau des Schmiedes.
»Endlich, endlich,« flüsterte sie. »Was ich für Angst ausgestanden habe. Ist es gelungen?«
»Ich hoffe es. Hier ist der Knabe. Ist das Versteck fertig?«
»Ja. Gieb ihn her, und gehe in die Stube.«
»Haben sie nach mir gefragt?«
»Ja; ich habe gesagt, daß Du beim Gevatter bist, aber bald kommen wirst.«
Sie nahm das Kind und verschwand im Dunkel des Hofes. Unter dem Hause befand sich ein verborgener Keller, welchen die Grenzer noch nie entdeckt hatten; dorthin trug sie einstweilen den geraubten Knaben, während der Schmied in die Gaststube trat.
Auch dort spielte man noch Karte. Es waren Bekannte aus dem Dorfe und Pascher von jenseits der Grenze herüber. Die Beiden, Vater und Sohn, mußten sich sofort zu ihnen setzen, um an dem Spiele theilzunehmen. Beide hatten allerdings nicht die rechte Lust dazu, da ein jeder Augenblick die Kunde bringen konnte von dem, was auf denn Schlosse geschehen war.
Es vergingen fünf Minuten, zehn Minuten – sollte der Streich nicht gelungen sein? Da, da ertönte draußen auf der Dorfstraße ein lauter Ruf:
»Feuer! Feurio! Feurio!«
Der Nachtwächter stieß in das Horn. Alle Gäste sprangen auf und zur Thür hinaus. Der Nachtwächter erblickte sie und rief:
»Feuer, Ihr Leute! Auf dem Schlosse brennt es!«
»Herr Jesus! Auf dem Schlosse!« ertönte es aus Aller Munde. »Rasch, zur Spritze, ehe es gefährlich wird!«
Es war bereits gefährlich genug, denn als man endlich mit der Spritze anlangte, stand der eine Flügel des Gebäudes vollständig in Flammen. Eine Feuerwehr gab es nicht in der Nähe, und ehe diejenige der Amtsstadt herbeikam, oder ehe die nachbarlichen Spritzen herbeigeschleppt werden konnten, mußte das ganze Schloß bereits brennen.
Die Bewohner desselben schleppten heraus, was ihnen das Liebste war. Die Dörfler halfen. Ihre Spritze war überflüssig, denn es fehlte an Wasser.
Der Ortsvorsteher übernahm es, die möglichen Rettungsarbeiten zu überwachen. Erst nach langer Zeit, als die Bewohner der benachbarten Ortschaften bereits angekommen waren, aber auch einsehen mußten, daß das Gebäude nicht zu retten sei, kam es ihm in den Sinn, daß ja auch Menschen in Gefahr gewesen sein könnten.
Er eilte nach der Stelle, an welcher die Bediensteten des Schlosses standen und jammernd der Zerstörungswuth des Elementes zuschauten.
»Es