Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Vollendung des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann страница 34
„Ich auch nicht.“
„Wir schwören: Niemals haben wir geglaubt, daß Sie der Antichrist sind.“
„Euch mußt ich nun doch für dumme Teufel halten. Jetzt wird es Zeit, uns besser kennenzulernen. Sollen alle drei noch lang zusammen leben.“
Auf seinen Wink verließen sie ihre Deckung, und ehe es gedacht, lagen sie vor ihm auf den Knien. Er lachte gutmütig über ihre verdutzten Gesichter, fragte auf einmal ernst nach ihrer kürzlich verbrachten Zeit der Not; und da sie ein gewisses Mehl erwähnten, sie hatten es wirklich von den Friedhöfen geholt, was sie selbst schon nicht mehr glauben wollten: da schloß der König die Augen und erbleichte.
Von dieser Begegnung berichteten sie nachher einer großen Zahl begieriger Personen, die aber weniger seine Worte zu kennen verlangten als seine Miene und Gebärden. Ob er böse wäre, ob gut.
„Er ist traurig“, bekundete einer derer, die ihm nahe in das Gesicht geblickt hatten. Der andere widersprach.
„Wie kannst du das wissen. Die ganze Zeit hat er sich lustig gemacht. Obwohl. Allerdings.“ Hier stockte der Mensch, der ihn für einen Spaßmacher hielt.
„Obwohl. Allerdings“, sagte in Zweifeln befangen auch der, dem er betrübt erschienen war.
„Groß ist er.“ Darin waren beide einig. „Vonhohem Wuchs, leutselig und so einfach, daß man erschrickt, ja, daß man —“
„Ihm die Hand gibt“, schloß schnell der zweite. Der erste schwieg betreten. Er hätte fast verraten, daß sie vor dem König am Boden gelegen hatten.
Der König empfing nun in seinem Klostergarten den Besuch des Pastors La Faye, der hielt an der Hand eine verschleierte Frau. „Wir sind ungesehen eingetreten“, waren die ersten Worte des alten Mannes.
Henri konnte keinen Sinn darin finden, er sah von dem Pastor zu der Frau; ihr Schleier war aber dicht. „Ungesehen — und unerwartet“, äußerte er in Eile; er war auf dem Wege zu Gabriele.
„Sire! Lieber Sohn“, sagte der Alte. „Gott vergißt nichts, und wenn wir am wenigsten darauf gefaßt sind, führt er uns unsere Taten vor Augen. Wer sie beging, soll sie nicht verleugnen.“
Hier begriff Henri. Diese Frau mußte er gekannt haben, wer weiß wo und in was für Tagen. Vergebens suchte er nach einem Zeichen auf ihrer unbedeckten Hand. Kein Ring; aber die Finger waren gequollen und eingerissen von Arbeit. Innerlich riet er Namen, fürchtete übrigens, belauscht zu werden, gern hätte er sich nach den Fenstern des Hauses umgesehen.
„Sie ist von unserem Glauben“, sagte La Faye und entschleierte sie. Da war es Esther aus La Rochelle: Henri hatte sie geliebt so gut wie zwanzig andere und vielleicht besser als zehn von ihnen, wer unterscheidet es noch. Er ist unterwegs zu Gabriele.
„Madame de Boislambert, wie ich sehe. Madame, der Augenblick ist schlecht gewählt, ich habe Geschäfte.“ Er denkt: ,Gabriele, der dies ganz gewiß hinterbracht wird!‘
Pastor La Faye mit wehenden weißen Haaren, sehr fest: „Sehen Sie besser hin, Sire! Vor ihrem Gewissen fliehen die von der Religion nicht.“
„Wer spricht von Flucht.“ Henri stellte sich zornig, aber im Verlauf seiner Rede wurde er es in der Tat. „Ich flieh ja nicht, hab aber Geschäfte und erlaube keinen Überfall. Auch Ihnen nicht, Herr Pastor.“
„Sire! Sehen Sie besser hin“, wiederholte der Pastor. Da sank in Henri eine Schwinge nieder, ihn trug nichts mehr, weder Verlangen noch Zorn. Vor ihm, jetzt wirklich entschleiert, eine gealterte, kranke und ärmliche Person — hatte aber einst sein Geschlecht entzückt und seine Kraft begeistert. Er wäre nicht soweit gelangt, nicht bis vor das offene Tor seiner Hauptstadt, wenn diese alle ihn nicht entzückt und begeistert hätten. ,Esther! Das ist aus ihr geworden. La Rochelle, Festung am Meer, starke Zuflucht der Hugenotten, wir zogen aus ihr in viele Schlachten als Kämpfer für das Gewissen. Nicht nötig, Pastor, mich anzublitzen: wir sind einig. Es war der rechte Augenblick.‘
„Madame, was ist Ihr Anliegen?“ fragte Henri.
Er denkt: ,Der Augenblick für die Hugenottin Esther, mir elend unter die Augen zu treten, ist genau dieser. Ich soll die Religion abschwören, dafür bin ich glücklich mit Jesabel, die den König Ahab zum Gotte Baal verführt. Wird aber dereinst von den Hunden gefressen. O schnell bestrafte Schönheit, unser Undank schwärzt sie: Esther aus La Rochelle haben nunmehr der Kummer und die Not im Gesicht geschwärzt!‘
Hier wäre er dennoch geflohen, wenn sie nicht gesprochen hätte. Ihre rauhe, schwache Stimme sprach:
„Sire! Ihr Kind ist tot. Seitdem zahlt Ihre Kasse mir nicht mehr. Ich bin von den Meinen verstoßen, bin allein und darbe. Barmherzigkeit!“
Sie versuchte ein Knie zu beugen, aber ausgroßer Schwäche wäre sie umgefallen. Nicht Henri, der alte La Faye fing sie auf. Sein Blick blitzte streng, und Henri beantwortete ihn trostlos. Dann ging er. Zuletzt hatte er dem Pastor zugenickt, als ein Versprechen, daß alles geschehen sollte. Hierüber dachte er nach, während sein Schritt, in den Gängen des Hauses, immer langsamer wurde. ,Was hab ich getan, was kann ich noch retten. Dies ist das unverzeihlichste Beispiel meiner Gefühllosigkeit. Flüchtige Tränen, die ich weine, und bin jedesmal unterwegs zu der nächsten. Das ist auch mein Ruf, alle kennen ihn, ich selbst bemerke als letzter, wie es um mich steht.‘
Ihm ging wahrhaftig ein Licht auf, und er staunte, was ihm zustieß. Er machte Opfer. Nach allen Regeln und seinem wirklichen Bewußtsein hätte er anders handeln müssen, da er die Mühen des Lebens aus eigenem sehr wohl kannte und der inneren Festigkeit immer bedurft hatte, sowohl in der Schule des Unglücks wie auf dem Weg zum Thron. Unsere gute Haltung wird aber bezahlt mit einigen geopferten Wesen. Henri erinnerte sich nochmals an Esther, weil ihm die Rente, die er ihr geben wollte, durchaus fehlte: er hätte denn um ebensoviel Gabriele, seine teure Herrin, kürzen müssen. Das hielt er für außer Frage und fürchtete sich davor, da sie gewiß nichts nachließ. Er brauchte nur das Bild zurückzurufen, wie ihre schöne Hand, auf der Lehne des Sessels, den Stein erglühen ließ, den Stein, den Herr d’Estrées gestohlen hatte.
In Sorgen vertieft, betrat er ihre Gemächer ungewöhnlich leise. Aus dem Vorzimmer spähte er durch die offene Tür: da saß die Schöne an ihrem Frisiertisch. Sie schrieb. ,Eine Frau soll aber nicht schreiben, außer mir selbst. Welcher andere Brief wäre ganz unverdächtig.‘ Henri bewegte sich völlig geräuschlos, und jetzt nicht mehr infolge Vertiefung. Endlich blickte er der Schreibenden über die Schulter, ohne daß sie ihn bemerkte, obwohl alles, was beide taten, vor dem hellen Glas eines runden Spiegelchens geschah. Henri las: „Madame, Sie sind im Unglück.“
Er erschrak, wußte sogleich, worauf dies hinaus wollte, und folgte dennoch mit angstvoller Spannung der Feder, die knirschte, sonst hätte man vielleicht seinen Atem gehört. Sein Atem trübte den Spiegel. Die Feder malte groß hin: „Madame, das ist unser Schicksal, wenn wir schönen Worten geglaubt haben. Wir müssen uns hüten, sonst gehen wir mit Recht zugrunde. Sie