Wolf unter Wölfen. Ханс Фаллада
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wolf unter Wölfen - Ханс Фаллада страница 45
Sie tat es, sie lachten …
Hier waren sie gemeinsam gewesen, zusammen, sie hatte auf ihn warten dürfen, nie umsonst …
Und plötzlich sah sie, in einem raschen, schmerzenden Blinzeln, die Straße, wußte, sie ging weiter … Märchenbrunnen … Hermannspark … weiter, immer weiter, immer noch Stadt … Und nun Land, endloses Land, mit Feldern und Wäldern, Brücken, Büschen … Und wieder Städte voller Häuser mit Torwegen und wieder Land und Wasser, ungeheure Meere … und wieder Länder und Land und Stadt, unfaßbar … Und die Möglichkeit, hinauszugehen, alles hinter sich zu lassen, die tausend Möglichkeiten des Lebens, an jeder Ecke, in jedem Dorf … ›Alles dieses aber‹, verwirrte es sich in ihrem Hirn, ›will ich hingeben und dich anbeten, wenn du mir unser Zimmer wieder schenkst und das Warten auf ihn in ihm …‹
Langsam wurde es schwarz. Alles löschte aus, die Welt wurde undeutlich. Die Schwärzefetzen flogen darüber hin, verdeckten sie … Einen Augenblick meinte sie noch die Gardinen des Zimmers zu sehen, gelblichgrau, schlaff und reglos in der ungeheuren Schwüle hängend – dann verlöschte auch das zu Nacht.
Aber auch die Nacht barg keine Ruhe für sie, nun leuchtete es rot in ihr auf, mit einem glühenden, bösen Rot … ach, der Hund von drüben war aufgestanden. Größer und größer werdend kam er über die Straße auf sie zu. Sein gähnender Rachen mit den spitzen, scharfen Eckzähnen war schon über ihrem Kopf. Böse rot die Augen, böse rot die drohenden Fänge, und nun legte er mit ungeheurem Gewicht seine Pfote auf ihre Schulter, sie schreit vor Angst, aber kein Ton drang bis an ihr Ohr. Sie sinkt hin …
Der Diener Ernst, die Hand auf ihrer Schulter, sagt mahnend: Fräulein, bitte! Fräulein!!
Von weit sah ihn Petra kommen und fragte doch gleich, als habe die Frage seit seinem Fortgehen dringend in ihr gewartet: Was haben die gesagt?
Der Diener bewegte zweifelnd die Schultern. Dann: Wo ist der junge Herr hin? Er sieht sie zögern, er sagt beruhigend: Vor mir brauchen Sie sich nicht zu genieren, ich bin bloß der Diener von seiner Tante. Ich erzähl schon nichts, was ich nicht will.
Und sie, da er doch Schlimmeres nicht erfahren kann, als er oben schon gehört haben wird: Fort. Geld besorgen.
Und ist nicht wiedergekommen?
Nein. Noch nicht. Ich warte.
Sie standen beide eine Weile schweigend da, sie geduldig wartend, was das Schicksal und vielleicht dieser Mann für sie bereithielt, er unschlüssig, ob er so einfach fortgehen könne, seiner Herrin zu berichten. Unschwer war zu erraten, was Frau Generalmajor von Anklam über dieses Mädchen dachte, was sie zu tätiger Hilfe sagen würde. Immerhin …
Der Diener Ernst trat langsam aus dem Torweg auf die Straße, sah unschlüssig auf und ab, der Erwartete war nicht zu sehen … Einen Augenblick hatte er den Gedanken, einfach fortzugehen. Er glaubte, genau zu wissen, daß dieses Mädchen ihn mit keinem Wort daran hindern würde. Es war die einfachste Lösung, jede andere konnte ihm Schwierigkeiten bei Exzellenz machen. Oder aber ihm Geld kosten – und je wertloser das vom Diener Ernst in einem Menschenalter ersparte kleine Kapital wurde, um so fester hing er an diesen Scheinen mit den unsinnigen Zahlen. Zu Haus in seiner kleinen Kammer füllte er eine blecherne Teepackung nach der andern mit ihnen …
Trotzdem …
Er sah noch einmal die Straße auf und ab: nichts. Zögernd, ein wenig unwillig über sein eigenes Tun, ging er in den Torweg zurück und fragte ebenso widerwillig: Und wenn der junge Herr nun kein Geld bringt?
Sie sah ihn nur an, mit einer leichten Bewegung des Kopfes – schon die vage Aussicht in diesen Worten, Wolfgang könne doch noch kommen, wenn auch ohne Geld, belebte sie.
Und wenn er gar nicht wiederkommt, was tun Sie dann?
Ihr Kopf sank ein wenig nach vorn, die Lider schlossen sich – ohne daß ein Wort laut wurde, war klar genug, wie gleichgültig ihr dann alles war.
Fräulein, sagte er zögernd, ein Diener verdient nicht viel. Und dann habe ich ja auch all mein Erspartes verloren, aber wenn Sie dies nehmen wollen …
Er versucht, ihr einen Schein in die Hand zu schieben. Er hat ihn aus der abgegriffenen, dünnen Brieftasche gewählt: Fünfzigtausend. Und da sie ihre Hand zurückzieht, dringender: Nein, nein, Sie können das ruhig nehmen. Es ist ja nur das Fahrgeld, damit Sie auch nach Haus kommen. Er stutzt, überlegt. Sie können doch hier nicht so weiterstehen! Sicher haben Sie irgend jemand Verwandtes, zu dem Sie erst einmal fahren können.
Wieder bricht er ab. Ihm ist eingefallen, daß sie in diesem Aufzug, die Beine bis über die Knie nackt, nur in vertretenen Hausschuhen, mit einem jämmerlichen Herrenpaletot, der zu viel Brust sehen läßt, unmöglich auf eine Elektrische steigen kann.
Er steht da, betreten, verlegen, fast schon ärgerlich. Er möchte ja helfen, aber Herrgott! – wie hilft man denn da?! Er kann sie doch nicht mit sich nehmen, einkleiden – und schließlich: was dann?!
O Gott, Fräulein! sagt er plötzlich traurig. Wie hat es nur der junge Herr so weit kommen lassen können?!
Petra aber hat nur eines verstanden: Sie meinen also auch, daß er nicht wiederkommt?
Der Diener bewegt die Schultern. Wie kann ich das wissen? Haben Sie sich denn gezankt? Sie wollten doch heute heiraten?
Heiraten – richtig! Das Wort erreicht sie noch, sie hat gar nicht mehr daran gedacht. Wir heiraten heute, ja … sagt sie und lächelt vage. Sie erinnert sich, daß sie heute den Namen ›Ledig‹ verlieren sollte, der immer etwas gewesen war wie ein Makel. Sie erinnert sich daran, wie sie erwachte und nicht nach seiner Geldtasche zu sehen wagte und doch noch sicher war: heute würde es sein! Dann waren die ersten Zweifel gekommen, seine unentschlossene Haltung, als sie ihn drängte, dann forderte, dann bat … Und wie sie gefühlt hatte, beim Zuschlagen der Tür schon: heute wird es nun doch nicht sein!
Aber plötzlich dann (und unbegreiflich, doch geschehen: der Hunger hatte ihr brennendes Hirn selbst das vergessen lassen) – plötzlich war vor dem Spiegel die Erkenntnis über sie gekommen, das Wissen, daß er wohl gegangen, aber doch bei ihr geblieben war, ewig unverlierbar in ihr. Was dann geschehen war: das bettelnde Hocken in der Thumannschen Küche mit dem Schielen nach Idas Schnecken, die Austreibung, das tatenlose Warten hier im Durchgang – das hatte nur der Hunger gemacht, arglistiger Feind im Leib und Hirn, der sie hatte vergessen lassen; was nie vergessen werden durfte: dies in ihr.
Was war denn los mit ihr? War sie denn verhext und verzaubert?! Sie hatte es doch immer noch geschafft in ihrem Leben, die Mutter hatte sein mögen mit ihr so roh, wie sie nur konnte – ein paar Tränchen, aber weiter! Die liebenswürdigen Kavaliere mit den messerscharfen Bügelfalten auf der Mädchenjagd mochten nachher noch so gemein und geizig sein – die Zähne zusammen, aber weiter! Wolfgang mochte wiederkommen oder nicht wiederkommen – schlimm, traurig, böse … Aber zweiundzwanzig Jahre lang hatte sie nur um der eigenen Person willen jeden Dreck gefressen – und jetzt sollte sie hier stehen, tatenlos, bestellt und nicht abgeholt – da zum erstenmal im Leben ein anderes auf sie angewiesen ist, auf sie ganz allein, und keine andere Frau auf der Welt kann sie ersetzen – einfach lächerlich!
Eine Fülle von Gedanken strömt auf sie ein, sie kann es alles gar nicht so schnell erfassen. Nachdem der Hunger ihren armen Kopf eine Zeit in Schwärze und vage Träume versenkt hat, macht er ihn jetzt überlebendig, ganz wach und klar: es ist aber alles ganz einfach. Sie hat für jemanden zu sorgen, und da dieser jemand