Palast aus Gold und Tränen. Christian Handel

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Palast aus Gold und Tränen - Christian Handel

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sagte ich und steckte mir ein paar getrocknete Salbeiblätter und etwas Minze in den Mund. So schnell wie möglich kaute ich darauf herum. Das intensive Aroma der Pflanzen breitete sich auf meiner Zunge aus.

      »Du musst die Knoten sorgfältig knüpfen. Die Bänder dürfen nicht verrutschen.«

      Mit der Rechten schob ich meinen Hemdsärmel nach oben und streckte ihr meinen Arm entgegen. Eine winzige Tintenkröte schwamm gerade auf meine Armbeuge zu.

      »Stad! Chan eil an córr.«

      Rose zögerte nicht. Sie wand das rote Band um meinen Oberarm, knüpfte einen Knoten und zog ihn zu. Dann griff sie nach dem nächsten Band und kümmerte sich um meinen anderen Arm. Ich unterdrückte ein nervöses Lächeln.

      »Du brauchst keine Angst davor zu haben, mich zu berühren«, versprach ich ihr. »Ich glaube, der Zauber soll mich mehr aufwühlen als mir schaden. Dir sollte er nichts anhaben.«

      »Seit wann bist du eine Sachkundige für Hexenflüche?« Rose’ Stimme klang scharf, doch ich war mir sicher, dass das nur an ihrer Sorge um mich lag.

      »Jetzt die Handgelenke«, sagte ich, nachdem sie auch den zweiten Knoten festgezurrt hatte. »Bitte nicht so fest. Den Bändern kommt eher eine symbolische Bedeutung zu. Du brauchst mir nicht das Blut abzuschnüren.«

      Rose hob eine Augenbraue. »Zu fest?« Sie blickte auf meinen Oberarm, wo sich die Tintenfiguren am Rand des roten Bandes stauten wie an einem Damm. Sie schoben sich aufeinander und überlagerten sich, bis eine Handfläche breit keine helle Haut mehr zu sehen war.

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Warum auch noch die Handgelenke? Vielleicht musst du nur abwarten und die Zeichen wandern wieder in die andere Richtung und verschwinden von selbst.«

      »Vielleicht. Irgendwie glaube ich das nicht. Wenn wir noch rote Bänder an den Unterarmen verknoten, stehen die Chancen gut, dass wir diese … Symbole einkesseln und sie sich nicht zum falschen Zeitpunkt über meine Finger und Handflächen schlängeln. Oder was denkst du, was deine Mutter sagen wird, wenn ich ihr beim Kochen eine Kartoffel reiche und sie plötzlich eine Schabe aus Tinte von meiner Handfläche aus anstarrt?«

      Rose seufzte und griff nach dem letzten Bandstück. »Hast du schon eine Idee, wie wir die Dinger endgültig loswerden?«

      »Keine, außer der offensichtlichen.«

      »Irina«, grummelte Rose.

      »Sie wird wissen, was zu tun ist.«

      »Wir jagen Hexen. Wir sollten sie nicht um Hilfe bitten.«

      Ich hätte anführen können, dass Irina keine Hexe war, sondern eine Zauberin, und dass sie uns schon mehr als einmal geholfen hatte. Aber viel genutzt hätte das nicht. Rose mochte es nicht, jemandem etwas schuldig zu sein – schon gar nicht einer Magiewirkerin.

      »Ich weiß, mein Vorschlag gefällt dir nicht. Lass uns bitte heute nicht darüber streiten. Vielleicht fällt uns bis morgen ja noch etwas anderes ein. Jetzt lass uns erst mal hier aufräumen.«

      Mit einem tiefen Seufzen stand Rose auf, fuhr mir im Vorbeigehen mit der Hand über die schwarzen Haare und ging hinüber zur Tür, um Besen und Kehrschaufel zu holen. Ich begann derweil damit, die Kräutersäckchen wieder in die Truhe zu räumen. Für heute hatte ich genug Chaos verursacht.

      Zu Hause

      Später lagen wir Seite an Seite in dem breiten Holzbett und beobachteten die blauen Linien, die an meinen Unterarmen wie Insekten herumkrabbelten. Ich hatte gehofft, mit der Zeit würden sie erstarren. Doch die Einzigen, die von Augenblick zu Augenblick träger wurden, waren Rose und ich. Seufzend zog ich schließlich die weißen Ärmel meines Nachtgewandes bis zu den Handgelenken hinunter, damit ich den Anblick der wandernden Symbole nicht länger ertragen musste.

      Ich schwitzte, und ich war mir nicht sicher, ob das an den Symbolen lag, die vom Hexenbuch zu mir übergesprungen waren, oder nur an den Sorgen, die ich mir deshalb machte. Trotzdem kuschelte ich mich eng an Rose. Ihre Nähe beruhigte mich.

      Es hätte wunderbar sein sollen, nach unzähligen Übernachtungen im Wald, auf der Straße oder auf Strohsäcken in irgendwelchen Herbergen endlich wieder ein paar Nächte in einem richtigen Zuhause zu verbringen. Dass ich das jetzt wegen des schiefgegangenen Rituals nicht genießen konnte, ärgerte mich. Ich liebte das alte, knarzende Holzbett, in dem Rose und ich schliefen, wenn wir ihre Familie besuchten. Früher hatten sie und ihre Schwester sich die kleine Dachkammer geteilt. Inzwischen war Leni ausgezogen, und auch wenn Rose viel unterwegs war, so gehörte das Zimmer doch inzwischen ganz ihr. Obwohl nicht allen in ihrer Familie die körperliche Seite unserer Beziehung ganz geheuer war, so hatten sie mich doch mit offenen Armen aufgenommen und ich fühlte mich nicht länger wie eine Fremde. Ich besaß nur wenige Habseligkeiten, an denen mir wirklich etwas lag. Jene, die ich bei der Dämonenjagd nicht bei mir trug, bewahrte ich inzwischen in der reich mit Schnitzereien verzierten Truhe am Fuß unseres Bettes auf.

      Wir kamen zwischen unseren Aufträgen sehr unregelmäßig hierher, aber wann immer wir ankamen – ob angekündigt oder nicht –, hatte Rose’ Mutter Helene die Betten gelüftet und kleine Beutelchen mit Lavendel unter die Kopfkissen gelegt. Wenn ich mich in die weichen Federn sinken ließ und den beruhigenden Duft einatmete, fühlte ich mich geliebt und geborgen.

      Jedenfalls für gewöhnlich.

      Jetzt konnte ich nur an meinen missglückten Zauber denken.

      »Es tut mir leid, dass ich darauf bestanden habe, es mit dem Grimoire zu versuchen.«

      Rose griff unter der Bettdecke meine Hand und drückte sie fest. »Das muss es nicht. Ich verstehe, warum du es wolltest.«

      »Trotzdem macht es dir weniger Angst, ins Zarenreich zu gehen.«

      Das war nämlich Rose’ Vorschlag, die Kindsmörderin zur Strecke zu bringen. Die Hexe befand sich im Körper des Mädchens, dem ich versprochen hatte, es zu rächen. Die Hexe hatte Margarete den Körper gestohlen, ehe sie sie getötet hatte. Gemeinsam mit Rose suchte ich seit dem Frühling nach ihr. Gerüchten zufolge hatte sie inzwischen einen Prinzen verführt. Wir wussten nicht, ob das stimmte. Da es uns sonst an Anhaltspunkten fehlte, hatten wir entgegen unserer sonstigen Gepflogenheiten die Dörfer und Wälder hinter uns gelassen und zogen durch die Städte. Doch die Kindsmörderin verwischte ihre Spuren gut. Jetzt hatten wir erfahren, dass im Zarenreich bald eine königliche Hochzeit stattfinden sollte, zu der Vertreter aus sämtlichen umliegenden Ländern eingeladen waren. Seit Tagen versuchte Rose, mich davon zu überzeugen, mit ihr die Grenze nach Osten zu überqueren und an den Feierlichkeiten teilzunehmen.

      »Zahlreiche Adelige werden dort versammelt sein«, pflegte sie täglich mindestens einmal zu sagen. »Wenn sie sich wirklich einen Prinzen unter den Nagel gerissen hat, werden wir sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dort antreffen. Oder zumindest erfahren, wo sie sich aufhält.«

      Anders als Rose beunruhigte mich die Vorstellung, mich mit ihr auf einer königlichen Hochzeit einzuschleichen, zu der wir nicht eingeladen waren. In einem Reich, in dem wir auf dem Scheiterhaufen brennen würden, wenn jemand herausfand, dass wir uns liebten. Hierzulande mochten gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht gern gesehen sein, doch sie wurden immerhin nicht mit dem Tode bestraft.

      »Wir werden vorsichtig sein«, wischte Rose auch jetzt meine Gedanken beiseite.

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