Palast aus Gold und Tränen. Christian Handel

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Palast aus Gold und Tränen - Christian Handel

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Richtung zu lenken. »Dass es schade ist, dass Björn uns nicht begleiten kann.«

      Rose zuckte nur mit den Schultern.

      »Es klang ein bisschen so, als wolle sie die beiden verkuppeln«, fuhr ich fort.

      »Unsinn!«

      Ich unterdrückte ein Grinsen. »Sie sagte, Björn habe Irina in letzter Zeit mehrfach besucht.«

      »Freilich.« Rose reichte mir den Eschenstab, damit sie sich den Pferdeschwanz neu binden konnte. »Vermutlich hat er mehr von ihrem ekligen Trank gebraucht.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Oder sie arbeiten an einer Möglichkeit, den Zauber endgültig zu brechen.«

      »Meinst du nicht, davon hätten uns deine Eltern erzählt?«

      Rose schürzte die Lippen und nahm den Kampfstab wieder an sich. »Wenn es so ist, hat Björn ihnen sicher nichts davon gesagt. Er will ihnen keine falschen Hoffnungen machen.«

      Seite an Seite stapften wir weiter über den Waldweg. Ich glaubte nicht, dass Rose recht hatte, hielt es jedoch auch für keine gute Idee, ihr jetzt, kurz vor unserem Besuch bei Irina, zu widersprechen.

      Die alte Mühle lag in einer Senke am Waldrand. Der Trampelpfad, dem wir folgten, führte direkt an ihr vorbei. Auf der anderen Seite des Gebäudes, dort wo das stillgelegte Mühlrad hing, plätscherte fröhlich ein Bachlauf über moosbewachsene Steine. Die Mühle hob sich wie eine kunterbunte Oase vor dem Grün des Hintergrunds ab. Tausend Farben explodierten rund um das aus Stein und dunklem Holz errichteten Gebäude: Korn- und Ringelblumen, Holunder und Schafgarbe, tiefrote Rosen, dunkelblaue Schwertlilien und rosa­farbenes Springkraut wetteiferten miteinander um die Vorherrschaft in dem prächtigen Garten, den Irina hegte und pflegte. Ein kleines Fleckchen, das wusste ich, war allein den Heilkräutern vorbehalten. Der größte Teil des Gartens jedoch war ein wildes Durcheinander aus den unterschiedlichsten Blumen, Obststräuchern, Gemüsebeetchen und Giftpflanzen. Kürbisse wuchsen neben Sonnenblumen, Brombeerbüsche neben Feldsalat und unweit der Erdbeeren erhoben sich die langen Stauden des Blutschierlings. Selbst die schmalen Kästen vor den Fenstern der Mühle hatte Irina bunt angestrichen, mit Erde befüllt und dann wild bepflanzt. Vom überdachten Absatz der Außentreppe im ersten Stock ergoss sich Goldregen ein halbes Stockwerk nach unten. Seine kräftige Farbe leuchtete üppig vor der dunklen Holzverkleidung.

      Der Anblick war atemberaubend. Vor allem, wenn man wusste, wie die Mühle noch vor wenigen Jahren ausgesehen hatte. Halb verfallen war sie damals ein schwarzer Verschlag gewesen, der selbst im strahlendsten Sonnenschein traurig und unheimlich ausgesehen und eine böse Aura ausgestrahlt hatte. Bei meiner Ankunft im Dorf war die Mühle bereits seit Generationen als Spukhaus verschrien. Jahrzehntelang hatte niemand mehr darin gewohnt. Gerüchte gingen, dass etwas Schreckliches hinter diesen Mauern geschehen war. So recht erinnerte sich aber niemand mehr daran, was wirklich vorge­fallen war. Von Mord und Totschlag war die Rede, eine Zeit lang befand sich die Mühle in Räuberhand. All das Schlechte, was hinter ihren Wänden geschehen war, hatte das Gemäuer selbst verdorben und zu etwas Bösem gemacht.

      Niemand war gern hier vorbeigegangen, und so mancher Krämer und Wanderer hatte einen beträchtlichen Umweg in Kauf genommen, nur um nicht auf seinem Weg das seltsame Gebäude zu passieren. Rose hatte mir erzählt, dass die Dorfkinder früher Mutproben abgeschlossen hatten, wer sich näher daran herantraute. Vielleicht hatten die Dorfbewohner auch begonnen, Irina zu akzeptieren, weil sich mit ihrer Anwesenheit die Atmosphäre der Mühle völlig veränderte.

      »Dann mal los.« Rose packte ihren Eschenstab, als würde sie in den Kampf ziehen, und trat vom Weg auf den Hof. Grinsend folge ich ihr in das Blumenmeer. In den Rabatten zu meiner Rechten hörte ich Insekten summen, und als wir am Wacholder vorbeikamen, sprang uns eine schwarz-weiß gefleckte Katze in den Weg und blickte uns fragend an. Wo Irina weilte, waren Tiere nicht weit.

      »Es ist schön hier geworden, nicht wahr?« Behutsam fuhr ich mit meinen Fingerkuppen über die Blätter. Rose brummte nur. Ich schob mich an ihr vorbei und klopfte an die Tür. Irina war vermutlich eher geneigt, uns zu helfen, wenn ein freundliches Gesicht sie zuerst begrüßte. Außerdem waren die Tintenlinien im Grunde genommen mein Problem.

      Irina öffnete nach meinem zweiten Klopfen. Sie hatte ihr schwarzes Haar in zahlreiche kleine Zöpfe geflochten und am Hinterkopf zu einem kunstvollen Knoten hochgesteckt. Es musste Stunden gedauert haben, sich so zu frisieren. Es sah wunderschön aus. Ich hatte so etwas noch nie gesehen.

      Als sie erkannte, wer vor der Tür stand, lächelte sie. »Guten Morgen.«

      Eine Bachstelze kam über den Hof geflattert und ließ sich auf ihrer Schulter nieder. Sie grub ihre Krallen in den Stoff von Irinas Hemd und schmiegte sich an sie. Die hob den Finger und streichelte sanft die helle Vogelbrust, ließ uns dabei jedoch keine Sekunde aus den Augen. »Na, kommt rein, ihr beide«, sagte sie dann.

      Sie drehte sich um und verschwand im Haus, ohne sich zu versichern, dass wir ihr folgten. Über meine Schulter hinweg warf ich Rose einen Blick zu. Die aber zuckte nur mit den Schultern, und so betrat ich die alte Mühle.

      Der Flur war schmal und dämmerig. Das dunkle Holz der Wandpaneele ließ ihn finster wirken. Daran konnten auch die Blumenkübel nichts ändern, die überall herumstanden. Ich hatte noch nie gesehen, dass man Efeu auch an einer Wand im Haus hochklettern ließ. So war Irina eben: eigen, wenn es um Pflanzen ging. Und um Tiere. Eine kleine Meise schmetterte uns ein fröhliches Lied entgegen. Sie saß auf einer abgestorbenen Baumwurzel, in die ein gnomenhaftes Gesicht geschnitzt war und die Irina an einer Stelle der Wand befestigt hatte, die noch nicht vom Efeu verschlungen worden war. Über den Boden vor uns flitzten im Zickzack zwei Eichhörnchen. Und durch die Geländerstreben einer Treppe, die steil nach oben führte, steckte ein Fuchs sein spitzes Gesicht. Er beobachtete uns wachsam und schien sich für die anderen Tiere überhaupt nicht zu interessieren.

      »Passt auf bei der Treppe«, rief Irina uns zu, während sie vom Flur in eines der hinteren Zimmer abbog. »Den schwarzen Fleck dort habe ich immer noch nicht wegbekommen. Normalerweise ist er nur gefährlich, wenn man in den ersten Stock hinaufwill. Aber wenn Gäste im Haus sind, ist er unberechenbar.«

      Unbehaglich warf ich einen Blick nach rechts. Das Zwielicht am Fuß der Treppe schien noch eine Spur düsterer zu sein als im restlichen Flur und irgendwie … kälter. Die Stelle löste widerstreitende Gefühle in mir aus: Beunruhigung, aber auch eine seltsame Faszination. Wie ein grauenhaftes Gemälde, von dem man einfach nicht den Blick abwenden konnte. Mein Herz begann zu klopfen und ich hatte das Gefühl, die Tintenflecken auf meinen Unterarmen herum­krabbeln zu spüren.

      Rose schloss zu mir auf und legte mir die Hand auf die Schulter. Ob sie mich damit beruhigen wollte oder eher sich selbst, wusste ich nicht. Ihr ganzer Körper war angespannt.

      »Komm«, stieß sie gepresst hervor und schob mich weiter.

      Erleichtert atmete ich auf. Ich wusste selbst nicht weshalb, und schritt durch einen Türbogen in einen großen, lichten Raum, dessen hintere Fensterfront vom Fußboden bis zur Decke aus trübem Glas bestand. So dunkel es im Flur gewesen war, so hell war es hier.

      Irina ging zu einem mächtigen Eichenholztisch in der Mitte des Raums. Darauf standen nicht nur allerlei Pflanzen, sondern auch Korbschalen, Tongefäße und Glasfläschchen. Vor Irina lagen ein hölzernes Schneidebrett und ein kleines Messer. Sie ergriff Mörser und Stößel. Hexenküche, schoss es mir durch den Kopf. Doch der Raum war so ganz anders als die unterirdische Gift- und Folterkammer der letzten Hexe, deren Haus wir betreten hatten. Wo uns das Grimoire in die Hände gefallen war. Das Kellerverlies jener Hexe hatte nach Blut, Angst und Tränen gestunken. Dieser Raum roch nach Frühling, Freundlichkeit und Leben.

      »Wenn

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