Ängste von Kindern und Jugendlichen. Wilhelm Rotthaus

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Ängste von Kindern und Jugendlichen - Wilhelm Rotthaus Störungen systemisch behandeln

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erblickte, erschrak sie so sehr, dass sie ihn aussetzte. Pan hat Freude an Musik, Tanz und Fröhlichkeit. Die Mittagsstunde ist ihm jedoch heilig, und er kann sehr ungehalten werden, wenn man ihn zu dieser Zeit stört. Durch sein garstiges Aussehen und laute Schreie versetzt er dann die Hirten in »panischen Schrecken«, während die Herde von jähem Massenfluchttrieb – eben von »Panik« – erfasst wird. Griechen und Römer hielten dann auch das häufig unerklärliche Fluchtverhalten von Tierherden für ein Ergebnis seines plötzlichen Erscheinens. Dieser »panische Schrecken« (terror panicus) wurde auch für eine überstürzte Flucht von Menschen verantwortlich gemacht. In der Schlacht von Marathon 490 v. Chr. soll Pan den Athenern durch sein Erscheinen geholfen haben, die Perser in die Flucht zu schlagen, indem er bei den Angreifern eine »panische Angst« auslöste. Daraufhin wurde ihm ein Heiligtum auf der Akropolis errichtet, das heute noch zu sehen ist.

      Als Panikstörung werden zeitlich begrenzte Episoden akuter Angst bezeichnet. Charakteristisch ist das plötzliche, oft als nicht vorhersehbar erlebte Auftreten von Herzklopfen, Schwitzen, Atemnot und Erstickungsgefühl, Schwindel, Durchfall und abdominellen Schmerzen, Übelkeit, Zittern, Furcht zu sterben und Angst, verrückt zu werden oder die Kontrolle zu verlieren – dies die häufigsten Symptome bei Jugendlichen. Die Symptome erreichen typischerweise innerhalb von zehn Minuten ihren Höhepunkt und gehen dann im Laufe der nächsten 30 Minuten langsam zurück. Ein weiteres Kriterium ist die Erwartungsangst, also die Angst, eine erneute Panikattacke zu bekommen, welche den Patienten nicht selten in einen Teufelskreis aus Angst und Angst vor der Angst treibt. Über 90 % der ersten Panikanfälle treten an einem öffentlichen Ort auf, beispielsweise in Kaufhäusern, Kinos, öffentlichen Verkehrsmitteln oder bei Autofahrten. Die Jugendlichen vermeiden im weiteren Verlauf oft die Orte, an denen sie zuvor eine Panikattacke gehabt haben oder von denen sie fürchten, eine Panikattacke könnte dort auftreten. Sie vermeiden auch Situationen, in denen möglicherweise keine Hilfe verfügbar wäre. Sie schränken ihre Aktivitäten ein oder geben sie ganz auf. In schweren Fällen zeigen sie eine immer stärker werdende Tendenz, Alltagssituationen auszuweichen, bis sie sich schließlich weigern, das Haus überhaupt noch zu verlassen. Die meisten der Betroffenen fühlen sich nach einer Panikattacke müde, abgeschlagen und depressiv.

      Die Panikstörung tritt selten vor der Adoleszenz auf. Es scheint jedoch eine enge Verbindung zwischen der Störung mit Trennungsangst im Kindesalter und der Panikstörung zu geben. Die Panikstörung beeinträchtigt das Leben der Jugendlichen meist in erheblichem Maße. Entsprechend oft suchen sie nach therapeutischer Hilfe. Kurz vor Beginn der Panikstörung ist bei vielen Patienten (bei rund 80 %) ein schwerwiegendes Lebensereignis wie der Tod oder eine plötzliche, schwere Erkrankung von nahen Angehörigen oder Freunden sowie eine Erkrankung des Patienten selbst festzustellen.

       2.2.2.6 Agoraphobie

      Lea, 16 Jahre, besucht die neunte Klasse eines Gymnasiums. Die Eltern berichten, dass Lea über große Ängste klage, wenn sie mit der Straßenbahn oder mit einem Bus fahren solle. Sie habe einmal in einem überfüllten Bus Angstzustände erlebt und gefürchtet, keine Luft mehr zu bekommen und den Bus nicht schnell genug verlassen zu können. Seitdem verweigere sie die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, weil sie fürchte, die Straßenbahn oder der Bus könnte einen Unfall haben. Inzwischen meide sie beim Einkaufen Geschäfte, in denen sich viele Menschen aufhalten. Sie äußere die Befürchtung, dann beim Auftreten von Ängsten nicht schnell genug das Geschäft verlassen zu können. Lea sei schon immer ein ängstliches Kind gewesen. Zu Beginn des Grundschulbesuchs habe sie heftige Trennungsängste gezeigt, derentwegen die Familie eine Beratungsstelle aufgesucht habe. Die Mutter selbst berichtet, dass sie an gelegentlich auftretenden Panikattacken leide. Die Situation in der Familie sei aufgrund von Leas Verhalten sehr schwierig geworden. Gemeinsame Familienunternehmungen seien kaum noch möglich. Lea müsse jeden Tag zur Schule gefahren und wieder abgeholt werden. Die Kontakte zu ihren Freundinnen seien fast alle abgebrochen.

      Etymologisch setzt sich das Wort »Agoraphobie« aus den griechischen Wörtern agora (»öffentlicher Platz«) und phobos (»Furcht«) zusammen. In der Literatur des 19. Jahrhunderts taucht die Agoraphobie unter dem Begriff »Platzschwindel«, in späteren Zeiten als »Platzangst« auf.

      Die Agoraphobie ist gekennzeichnet durch die Tendenz, bestimmten Situationen auszuweichen, in denen Flucht oder Vermeidung nicht möglich oder Hilfe im Fall des Auftretens von Paniksymptomen nicht verfügbar ist. Charakteristisch ist die Angst vor dem Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, vor dem Besuch von Räumen, in denen viele Menschen sind (Kaufhäusern, Kinos und Restaurants), sowie vor dem Autofahren oder dem Benutzen von Fahrstühlen. Die Jugendlichen fürchten beispielsweise, dass der Aufzug stecken bleiben oder im Kaufhaus ein Feuer ausbrechen könnte und sie dann nicht aus der Situation entkommen könnten. Parallel besteht die Neigung, aktiv Situationen aufzusuchen, die ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Letztlich werden die Situationen als bedrohlich erlebt, die eine Entfernung von einem »sicheren Ort« (meistens dem Zuhause) oder eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit bedeuten – bildlich gesprochen, die Situationen, bei denen sie »in der Falle sitzen«. Eine solche Angst führt im Allgemeinen zu einer anhaltenden Vermeidung vieler Situationen, wodurch die Fähigkeit, zur Schule zu gehen und an Aktivitäten mit Gleichaltrigen teilzunehmen, beeinträchtigt wird. In manchen Fällen können die Betroffenen die Situationen nur in Begleitung einer anderen Person durchstehen.

      Die Agoraphobie ist eine Angststörung, die im Kindes- und Jugendalter sehr selten auftritt und erst im jungen Erwachsenenalter einen ersten Auftretensgipfel erreicht. Erst im DSM-III wurde sie als eigenständige phobische Störung aufgeführt, die mit oder ohne Panikattacken einhergehen kann.

       2.2.2.7 Prüfungsangst

      Ben, der die Klasse 5 besucht, wird vorgestellt, da er seit einem Jahr vor jeder Klassenarbeit schon morgens über Bauch- und Kopfschmerzen klagt und dann halb trotzig, halb jammernd die Eltern bittet, ihm eine Entschuldigung zu schreiben, damit er zu Hause bleiben kann. Die Nächte vor einer Klassenarbeit, so berichtet er, habe er kein Auge zugetan und immer an die Klassenarbeit denken müssen. Die letzten Arbeiten seien sehr schlecht ausgefallen, auch dann, wenn die Eltern sich zuvor überzeugt hätten, dass er den Schulstoff beherrsche. Ben berichtet weiter, dass er bei Klassenarbeiten in letzter Zeit oft vor dem Heft sitze und »ein Brett vor dem Kopf« habe, dass er »gar nichts denke« oder dass ihm ständig dieselben Gedanken durch den Kopf gehen würden, wie: »Du schaffst das sowieso nicht!« »Jetzt habe ich alles vergessen!« »Die Aufgaben sind viel zu schwer!« »Wäre ich doch nur zu Hause geblieben!« In der letzten Zeit habe Ben immer häufiger geklagt, er wolle gar nicht mehr zur Schule gehen, er sei ein Versager.

      Prüfungsangst ist nach Federer (2004, S. 346 f.) ein komplexes, mehrdimensionales Konstrukt, das die individuelle Bereitschaft beschreibt, auf Prüfungssituationen mit einem Übermaß von Sorge, mit physiologischer Erregung, mit mentaler Desorganisation und mit als unkontrollierbar erlebten, selbstwertbedrohlichen Gedanken zu reagieren. Die Prüfungsangst kann zur Vermeidung von schulischen Tests führen, die bis zum Schuleschwänzen gehen kann. Anders als bei anderen Ängsten wird die angstauslösende Situation aber eher selten vermieden. Die Konfrontation mit der Prüfungssituation bewirkt jedoch nicht eine Reduktion der Angst, wie das wegen der Exposition zu erwarten wäre. Denn die Folgen der Prüfungsangst führen zu schlechten Prüfungsleistungen und damit zwar nicht zu der befürchteten Katastrophe, aber doch teilweise zum Eintreffen der befürchteten Konsequenzen.

      In den Diagnosesystemen DSM und ICD wird die Prüfungsangst nicht genau zugeordnet. Sie kann ein Symptom der sozialen Phobie sein. »Soziale Phobie« beschreibt aber grundsätzlich eine Angststörung, bei welcher zahlreiche Situationen des zwischenmenschlichen Kontakts als Prüfungssituation wahrgenommen werden. Dabei steht die Angst, man könnte ein unpassendes Verhalten zeigen, mit dem man sich blamieren könnte und vor anderen als dumm, unbeholfen und schwach dastehen würde, im Vordergrund.

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