Ängste von Kindern und Jugendlichen. Wilhelm Rotthaus

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Ängste von Kindern und Jugendlichen - Wilhelm Rotthaus Störungen systemisch behandeln

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auf die Entwicklung sozialphobischen Verhaltens. Familiäre Regeln zum Umgang mit sozialen Situationen, eine hohe innerfamiliäre Kohärenz und das Vermeiden sozialer Kontakte oder aber die Überbewertung sozialer Normen scheinen die Entwicklung sozialer Ängste zu begünstigen.

      Das Konzept der sozialen Angst ähnelt dem der Schüchternheit. Schüchterne Kinder haben ein ausgeprägtes Interesse am Kontakt zu anderen, weisen aber gleichzeitig eine starke Vermeidungstendenz in sozialen Situationen auf. Schüchternheit als ein Gehemmtsein gegenüber Fremden wird als ein relativ stabiles, bereits ab dem zweiten Lebensjahr erkennbares Merkmal angesehen und scheint weitgehend unabhängig von der jeweiligen Lernerfahrung, damit auch von dem Erziehungsstil der Eltern oder vom Ausmaß des Kontaktes zu anderen Menschen zu sein. Im Fall von Schüchternheit aus Angst vor Ablehnung bilden Kinder zumeist aufgrund schlechter Erfahrungen die Erwartung aus, dass andere Kinder sie auch in Zukunft ablehnen werden. Diese Schüchternheit beruht also auf Lernerfahrungen und ist weniger stabil, stellt aber einen Risikofaktor für ein negatives soziales Selbstwertgefühl dar. Der Unterschied zwischen sozialer Phobie und Schüchternheit scheint darin zu bestehen, dass Schüchterne in sozialen Situationen zwar mit ähnlichen Gefühlen reagieren, dann aber überprüfen, was tatsächlich passiert und ob die anderen ihnen nicht doch freundlich gesinnt begegnen.

       2.2.2.4 Generalisierte Angststörung

      Jonas, bei der Vorstellung neun Jahre alt, zeigte sich bereits im Kindergarten ängstlich, unsicher und zurückhaltend. In den Folgejahren trat dieses Verhalten immer stärker auf; der Junge entwickelte eine ängstlich sorgenvolle Grundstimmung. Seit etwa zwei Jahren reagiert er auf alle neuen Situationen mit Angst und Sorgen und daraus resultierenden psychosomatischen Beschwerden (Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwitzen und Müdigkeit). Er äußert Angst, die Bezugspersonen zu verlieren, und ständig quält er sich mit dem Gedanken, dass »jederzeit etwas passieren kann«. Darüber hinaus spricht er über seine Angst vor schulischem Versagen, obwohl seine Leistungen in der Schule relativ gut sind. Die Familie berichtet von einem Urlaubsflug in die Türkei. Schon vor dem Flug habe Jonas Angst geäußert und sei sehr aufgeregt gewesen. Im Flugzeug habe er über Bauchschmerzen geklagt und sich übergeben. Während des zweiwöchigen Aufenthalts in der Türkei sei diese Problematik ab und zu aufgetaucht, immer wenn sie neue Aktivitäten unternommen und wenn sich neue Situationen ergeben hätten. Während des Rückflugs habe er die gleichen Probleme gezeigt. Seitdem betone er immer wieder, dass er zu Hause bleiben und nicht mehr zur Schule gehen möchte.

      Wenn Kinder und Jugendliche übermäßige und unkontrollierbare Sorgen äußern, sich von diesen Ängsten überwältigt fühlen und Stunden damit verbringen, darüber nachzudenken, was während des vorangegangenen Tages passiert ist und was morgen passieren könnte, spricht man von einer generalisierten Angststörung. Inhalte der Sorgen und Ängste sind die Qualität ihrer Leistungen, die Fähigkeiten in der Schule oder beim Sport, die Pünktlichkeit, Naturkatastrophen wie Erdbeben, der Einschlag eines Kometen, Kriege oder mögliche Fehler, die vorausgesehen werden, und Schwierigkeiten, in die sie geraten könnten. Sie können beispielsweise jeden Tag große Angst davor haben, dass ein Krieg ausbrechen könnte, dass die Eltern vielleicht krank werden und sterben oder sie selbst einen Unfall haben. Wenn diese Kinder einen Fernsehbericht über einen Mordfall anschauen, kann es geschehen, dass sie beginnen, sich darüber Sorgen zu machen, selbst umgebracht zu werden. Sie scheinen nicht zu bemerken, dass ein Eintreten der Ereignisse, über die sie sich Sorgen machen, sehr unwahrscheinlich ist. Die Angst geht zumeist einher mit Ruhelosigkeit, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, Muskelverspannungen und Schlafstörungen.

      Die Kinder werden von den Eltern häufig als »Grübler« beschrieben. Sie denken, dass sie wenig Einfluss auf den Ausgang einer Situation nehmen können. Manche Kinder verfügen über eine außerordentliche Fähigkeit, sich negative Ausgänge einer Situation vorzustellen, die höchst unwahrscheinlich sind. Die Kinder »nerven« Eltern und Lehrer mit ständigen Fragen über zukünftige Ereignisse oder die Beurteilung ihrer Leistungen. Sie sind ständig darum bemüht, Anerkennung und Bestätigung vor allem von Erwachsenen einzuholen. Wenn eine Klassenarbeit ansteht oder ein Referat gehalten werden soll, suchen sie den Schulbesuch zu vermeiden. Oft auch rufen sie aus der Schule an, klagen über psychosomatische Beschwerden und fordern, von den Eltern abgeholt zu werden. Die Kinder haben wenig Selbstvertrauen und eine geringe Selbstwirksamkeitsüberzeugung.

      Einigermaßen zuverlässige Angaben über Häufigkeit, Geschlechterverteilung und ein spezifisches Auftretensalter liegen derzeit nicht vor.

      Risikofaktoren

      Die derzeit vorliegende Forschung verweist darauf, dass insbesondere Verhaltenshemmung, aber auch ein Temperament, das mit hoher Erregung und Emotionalität einhergeht, das Risiko eines Kindes für die Ausbildung von Angststörungen erhöhen. Ein Erziehungsstil, der durch hohe Kontrolle und Überbehütung gekennzeichnet ist, scheint Angststörungen zu fördern. Zudem scheinen Kinder, die eine generalisierte Angststörung zeigen, von den Eltern zur Wahl von Vermeidungsstrategien eher ermuntert zu werden. Mütter ängstlicher Kinder zeigen ein Überengagement sowohl gegenüber dem ängstlichen Kind als auch gegenüber den nicht auffälligen Geschwistern. Das Erleben belastender Ereignisse in der Kindheit steht in einem deutlichen Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer generalisierten Angststörung.

      Schutzfaktoren

      Zumindest nach dem Auftreten belastender oder traumatisierender Ereignisse scheinen sowohl soziale Unterstützung durch die Eltern als auch soziale Unterstützung durch die Alterskameraden die Kinder und Jugendlichen vor einer hohen Ausprägung von Angst zu schützen. Ein zweiter Schutzfaktor ist die Fähigkeit eines Kindes, problemfokussierende Bewältigungsstile einzusetzen, während vermeidende Bewältigungsstrategien mit einer höheren Ausprägung von Angst und Depression bei Jugendlichen assoziiert scheinen (nach Lyneham u. Rapee 2004, S. 205 ff.).

      Prognose

      Der Verlauf einer generalisierten Angststörung im Jugendalter hat einen hohen Vorhersagewert für eine Reihe von Angststörungen und affektiven Störungen im Erwachsenenalter. Das Vorliegen einer Angststörung scheint zudem das Risiko zu erhöhen, erst in einem vergleichsweise höheren Alter eine unabhängige, selbstständige Lebensführung zu erreichen.

       2.2.2.5 Panikstörung

      Der 17-jährige Max kam alleine und auf Empfehlung seiner Hausärztin zum Erstgespräch. Seit einiger Zeit verspüre er immer wieder plötzliche Angstzustände, die ihn in seinem Alltag sehr beeinträchtigen würden. Er habe dann Kreislaufprobleme, sein Herz fange an zu rasen, er schwitze, habe Atemnot und ein Erstickungsgefühl. Zum ersten Mal habe er die Symptome vor einem Jahr gehabt, sodass er mit dem Verdacht auf eine Herzmuskelentzündung ins Krankenhaus gekommen sei. Dort habe man aber bis auf einen leicht erhöhten Blutdruck keine körperlichen Auffälligkeiten feststellen können. Auch nachdem er beim Boxen – den Sport betreibe er intensiv seit mehreren Jahren – auf der Matte fast zusammengebrochen wäre, habe man keine körperlichen Ursachen feststellen können. Er glaube nun auch, dass er körperlich gesund sei; er habe aber auch keine Vorstellung, wie genau seine Psyche diese Symptome auslösen könne. Sie würden für ihn völlig unvermittelt kommen, und es fühle sich so heftig an, dass er Angst habe zu sterben. Er habe Angst vor erneuten derartigen Attacken, und es sei wichtig für ihn, dass er nachts nicht allein sei. Er nehme bei sich eine schnellere Ermüdbarkeit wahr und fühle sich durch seinen Körper »wie ausgebremst« und überhaupt sehr verunsichert. Viele Entscheidungen traue er sich nicht mehr zu.

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      Das Wort »Panik« geht zurück auf Pan – gemäß der bekanntesten mythologischen

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