Ängste von Kindern und Jugendlichen. Wilhelm Rotthaus

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Ängste von Kindern und Jugendlichen - Wilhelm Rotthaus Störungen systemisch behandeln

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       2.2Angststörungen

       2.2.1 Angststörungen generell

       2.2.1.1 »Angststörung« als Oberbegriff für unterschiedliche Störungsbilder

      Der Begriff »Angst«, eine auf das deutsche und niederländische Sprachgebiet beschränkte Substantivbildung, ist aus dem indogermanischen angh- (»eng«) mit dem Suffix st (»dazugehörig«) entstanden und bedeutet: »Das, was zur Enge gehört.« Der Ursprung des Wortes liegt im lateinischen angustus (»eng«) bzw. angustiae (»die Enge, die Klemme, die Schwierigkeiten«) (vgl. Dudenredaktion 2007; Blankertz u. Doubrawa 2005). Der Begriff verweist also bereits auf ein wesentliches Merkmal der Angst, nämlich das Gefühl der Enge, des zusammengedrückten Brustkorbs, der Einschränkung des freien Atmens. Gleichzeitig kann er dafür stehen, dass der Blick von Menschen mit Angst sich verengt, dass sie nur noch auf die in der Zukunft erwartete Katastrophe fokussieren und die Fülle alternativer Möglichkeiten nicht sehen. Schließlich symbolisiert das Wort die Enge im Sinne einer engen Pforte, durch die die Betroffenen hindurchgehen müssen, damit sich ihnen wieder der Horizont vielfältiger Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.

      Angststörungen manifestieren sich in sehr unterschiedlichen Störungsbildern. Angststörungen im Kindes- und Jugendalter werden in den Klassifikationssystemen ICD und DSM unterschiedlich definiert und zugeordnet. Während im DSM-IV-TR nur die Störung im Zusammenhang mit Trennungsangst den Störungen im Kindes- und Jugendalter zugeordnet wird und bei den übrigen Diagnosen die gleichen Diagnosekriterien wie für Erwachsene gelten (eine Unterscheidung, die im DSM-V aufgehoben wurde), werden im ICD-10 als kinder- und jugendspezifische Angststörungen unter F93 Emotionale Störungen des Kindesalters unterschieden:

      •F93.0 Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters

      •F93.1 Phobische Störung des Kindesalters

      •F93.2 Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters (häufig synonym gebraucht mit der generalisierten Angststörung)

      •F93.3 Emotionale Störung mit Geschwisterrivalität

      •F93.80 Generalisierte Angststörung des Kindesalters.

      Unter den Störungen, die für Erwachsene und Kinder/Jugendliche gleichermaßen gelten, werden unter F40 phobische Störungen aufgeführt:

      •F40.0 Agoraphobie

      •F.40.1 Soziale Phobien

      •F40.2 Spezifische Phobien.

      Unter den sonstigen Angststörungen:

      •F41.0 Panikstörung

      •F41.1 Generalisierte Angststörung

      •F41.2 Angst und depressive Störung gemischt.

       2.2.1.2 Häufigkeit von Angststörungen

      Angststörungen treten bei Kindern und Jugendlichen sehr oft auf. Ihre Häufigkeit nimmt im Jugendalter noch deutlich zu. Sie gehören zu den Störungen mit der höchsten Prävalenz bei Jugendlichen. Ungefähr 10 % der Jugendlichen erfüllten irgendwann in ihrem Leben die diagnostischen Kriterien einer Angststörung. Studien über das Auftreten von Angststörungen bei Kindern sind relativ selten durchgeführt worden. In einer neueren Studie erfüllen 9,5 % der Achtjährigen die Kriterien einer Angststörung innerhalb der letzten sechs Monate. In dieser Studie waren die häufigsten Angststörungen die spezifische Phobie mit 5,2 %, gefolgt von Trennungsangst mit 2,8 % (Essau et al. 2004, S. 95 f.). Groß angelegte epidemiologische Studien mit Erwachsenen liefern starke Anhaltspunkte dafür, dass viele Angststörungen in Kindheit und Jugendalter beginnen.

      In den meisten Studien weisen Mädchen zwei- bis viermal höhere Raten von Angststörungen auf als Jungen. In fast allen Studien wird berichtet, dass Phobien bei Mädchen etwa sechsmal häufiger beobachtet werden als bei Jungen. Die Panikstörung tritt bei Mädchen doppelt so häufig auf als bei Jungen.

       2.2.1.3 Komorbidität

      Isolierte Angststörungen trifft man – entgegen dem störungsspezifischen Konzept der ICD-10 – in der Praxis nur selten an. Sie treten in über der Hälfte der Fälle zusammen mit anderen psychischen Störungen auf, am häufigsten zusammen mit Depressionen. Dabei gehen die Angststörungen den Depressionen meist voraus. Komorbidität scheint also eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Alloy und Mitarbeiter (1990, zit. nach Essau 2014, S. 134) erklären dies durch eine Veränderung der Kontrollerwartung. Sie zitieren Darwin, der bereits 1872 die Beobachtung gemacht habe: »If we expect to suffer we are anxious, if we have no hope we despair« (»Wenn wir erwarten zu leiden, spüren wir Angst; wenn wir keine Hoffnung haben, erleben wir Verzweiflung«; Übers.: W. R.). Das heißt: Wenn eine Person sich nicht in der Lage erlebt, das Ergebnis ihrer Handlungen zu kontrollieren, ist sie unsicher und reagiert darauf mit Angst. Nimmt der Mangel an Kontrollüberzeugung weiter zu, erlebt die Person einen ängstlich-depressiven Zustand. Geht schließlich die Kontrollerwartung vollständig verloren und besteht die subjektive Gewissheit einer negativen Zukunft, dann erlebt die Person einen depressiven Zustand.

      Angststörungen treten im Übrigen auch häufig zusammen mit Störungen des Sozialverhaltens, Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten, mit ADHS, Alkoholmissbrauch und somatoformen Störungen auf.

       2.2.1.4 Verlauf

      Längsschnittstudien zeigen, dass Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen keineswegs immer leicht, kurzzeitig oder vorübergehend sind, wie lange Zeit angenommen wurde. Insbesondere das gemeinsame Auftreten von Depression und Angst (hier vor allem der generalisierten Angststörung) ist mit einem erheblich erhöhten Suizidrisiko behaftet. Angststörungen haben zum Teil deutlich negative Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen im Hinblick auf ihr soziales Umfeld (Kontakt mit anderen Familienmitgliedern, Freunden und Peers), ihr allgemeines subjektives Wohlbefinden und ihre Selbstverwirklichung. Nicht nur das Kind oder der Jugendliche selbst, sondern auch sein unmittelbares soziales Umfeld und damit die Gesellschaft profitieren von einer frühen, effektiven Behandlung.

      Häufig beginnen Angststörungen relativ früh und können einen chronischen Verlauf bis ins Erwachsenenalter hinein nehmen, wenn sie unbehandelt bleiben. Es besteht das Risiko, im Erwachsenenalter wiederholt oder anhaltend an Angststörungen zu leiden, was zu Beeinträchtigungen in zahlreichen Lebensbereichen wie bei der Arbeit und bei zwischenmenschlichen Beziehungen führt. Das Risiko, andere Störungen zu entwickeln, ist erhöht (nach Essau 2014, S. 154 f.).

      Ein früher Beginn der Angststörungen, eine Beeinträchtigung durch die Störung sowie das Vorliegen weiterer Störungen wie somatoformer Störungen, Substanzmissbrauch und zusätzlich negativer Lebensereignisse gelten als Prädiktoren eines chronischen Verlaufs. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen einem häufigen Konsum von Cannabis und einer Angststörung vor dem Alter von 15 Jahren, allerdings keine direkte Kausalität. Insgesamt resümiert Essau (ebd., S. 161) die aktuelle Studienlage dahin gehend, dass Kinder und Jugendliche mit Angststörungen, die pharmakologisch sowie kognitivbehavioral behandelt wurden, mit der Zeit eine Besserung, aber keine vollständige Remission der Symptome zeigten. Auch Alpers (2012, S. 234) verweist darauf, dass trotz vieler Erfolge

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