Ängste von Kindern und Jugendlichen. Wilhelm Rotthaus

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Ängste von Kindern und Jugendlichen - Wilhelm Rotthaus Störungen systemisch behandeln

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Gleiche widerfahren könne. An diesen Gedanken knüpfe sie dann die Sorge, ob ihre Mutter sie auch von der Schule abholen werde. Während sie früher ihre Mutter gerne zu ihrer Arbeitsstätte begleitet habe, verweigere sie dies in den letzten Monaten, da ihr bereits der Anblick des Aufzugs Angst bereite. Auch seien Familienausflüge derzeit mit vielen Schwierigkeiten verbunden, da nie ganz klar sei, ob Amelie Angst entwickeln werde. In den Angstsituationen zeige sie erhebliche körperliche Reaktionen wie Herzklopfen, Zittern, Atemnot bis hin zu Erbrechen.

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      Phobos, der »Gott der Furcht«, ist Sohn des Kriegsgottes Ares und der Liebesgöttin Aphrodite. Ihm wird in der griechischen Mythologie die Fähigkeit zugesprochen, aufgrund seiner Erscheinung Feinde einzuschüchtern. So malte man sein Abbild auf die Schilder der Krieger, um den Gegner abzuschrecken. Sein Zwillingsbruder ist Deimos, der »Gott des Schreckens«. Üblicherweise dargestellt als Jugendliche, repräsentierten die beiden Brüder als Söhne der Liebesgöttin Aphrodite auch die Angst vor dem Verlust (Dictionary of Greek and Roman Biography and Mythology).

      Von einer spezifischen Phobie spricht man, wenn Kinder oder Jugendliche eine ausgeprägte Angst vor bestimmten Objekten (z. B. Spritzen), Situationen (z. B. Dunkelheit) oder Tieren (z. B. Hunden) zeigen, auch wenn seitens außenstehender Beobachter keine Gefahr zu erkennen ist. Sie beginnen dann, die gefürchtete Situation in zunehmendem Maße zu vermeiden oder aus ihr zu flüchten. Die häufigsten Inhalte spezifischer Phobien bei Vorschulkindern sind Fremde, Dunkelheit oder Tiere, bei Grundschulkindern Stürme, Gewitter und die Bedrohung der eigenen Sicherheit, bei den 12- bis 17-jährigen Tiere, Naturkatastrophen und spezifische Situationen wie enge Räume, Fahrstühle, Tunnel, hohe Brücken und Ähnliches. Bei genauerem Nachfragen sehen die Kinder, besonders die Jugendlichen, oft ein, dass ihre Angstreaktion unangemessen und übertrieben ist; diese Einsicht bringt aber keine Erleichterung. Sie kann bei jüngeren Kindern auch noch nicht vorhanden sein.

      Während der phobischen Reaktion kommt es bei den Kindern und Jugendlichen zu starken körperlichen Reaktionen wie Herzklopfen, Zittern, Schwitzen oder Bauchschmerzen. Sie nehmen schreckliche Konsequenzen, die im Zusammenhang mit dem befürchteten Reiz erwartet werden, gedanklich vorweg. Die Kinder suchen die Nähe ihrer Eltern oder sonstiger Bezugspersonen, die ihnen Sicherheit geben. Sie klammern sich an sie an, weinen oder reagieren wie gelähmt. Manche Kinder zeigen auch ein aggressives Verhalten; sie schreien, haben Wutanfälle oder schlagen um sich.

      Symptomatik im Altersverlauf

      Eine zuverlässige Aussage über den Verlauf von Phobien im Kindes- und Jugendalter kann nach derzeitigem Forschungsstand nicht gemacht werden. Schneider (2004c, S. 136) sieht einen Grund hierfür darin, dass früher angenommen worden sei, die meisten Kinderängste würden sich ohnehin schnell wieder verlieren. Dabei sei aber möglicherweise unberücksichtigt geblieben, dass sich in vielen Fällen lediglich die Angstinhalte geändert hätten. Würde man die Häufigkeit spezifischer Phobien unabhängig vom spezifischen Inhalt betrachten, wiesen jüngere Untersuchungen darauf hin, dass spezifische Phobien in höherem Alter eher zunehmen würden. Phobien im Kindes- und Jugendalter scheinen ein Risiko für eine zweite Störung darzustellen und zumeist chronisch zu verlaufen. Das stimmt mit dem Befund überein, dass Phobien Erwachsener in der Regel bereits im Kindes- und Jugendalter beginnen.

       2.2.2.3 Soziale Phobie

      Johanna, 17 Jahre, ist seit der Kindergartenzeit zurückhaltend, schüchtern und introvertiert. Die Probleme nahmen mit den Jahren zu. In der Grundschule und später in der Hauptschule hat Johanna sich immer mehr verschlossen. Sie geht nicht auf Menschen zu und knüpft keine Kontakte, vermeidet jegliche Konfliktsituation und traut sich kaum, eine eigene Meinung zu äußern. Die Jugendliche hat in allen Lebensbereichen Angst davor, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, sich peinlich zu verhalten. Johanna schämt sich, in der Öffentlichkeit zu essen oder mit jemandem zu reden und zeigt inzwischen generell Angst, sich außerhalb des häuslichen Rahmens aufzuhalten. Die Patientin hat das Gefühl, dass alle sie bewerten und denken, wie dick, hässlich und dumm sie sei. Johanna mochte nie ihren adipösen Körper, aber jetzt sagt sie, sie hasse ihn. In sozialen Situationen zeigt sie physiologische Symptome wie Zittern, Schwitzen und Erröten; seit Kurzem verstummt sie in angstbesetzten Situationen völlig. Im Übrigen klagt Johanna über eine gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit und übermäßige Müdigkeit.

      Mit der zunehmenden Fähigkeit, Situationen aus der Perspektive eines anderen zu betrachten und zu beurteilen, treten bei Kindern, die auf die Pubertät zugehen, Ängste vor sozialer Beurteilung als Teil der normalen Entwicklung auf. Sie stellen sich zunehmend die Fragen »Wer bin ich?« und »Wie sehen mich die anderen?«. Es tauchen dann auch Selbstzweifel auf und Sorgen darüber, wie sie nach außen wirken und was andere über sie denken könnten. Derartige Episoden sozialer Angst sind Teil der normalen Entwicklung. Die Kinder und Jugendlichen entwickeln in diesen Auseinandersetzungen das Erleben einer eigenen Identität und eine wachsende Unabhängigkeit von ihren Eltern.

      Von einer sozialen Phobie kann erst gesprochen werden, wenn Kinder oder Jugendliche eine dauerhafte, unangemessene Furcht vor sozialen Situationen oder Leistungssituationen zeigen. In diesen Situationen oder bei ihrer gedanklichen Vorwegnahme treten physiologische Reaktionen auf in Form von Herzklopfen, Zittern, Schwitzen, Erröten, Kälteschauern, Schwächegefühl, Übelkeit und einer veränderten Atmung. Die Kinder und Jugendlichen entwickeln als kognitive Reaktionen eine Flut negativer Gedanken über eigene Unzulänglichkeiten und die daraus folgende Unfähigkeit, mit der jeweiligen sozialen Situation umzugehen. Die sozialen Ängste drücken sich beispielsweise aus in Stottern, geringem Augenkontakt und Nägelkauen. Viele Jugendliche glauben, dass die anderen an ihren körperlichen Reaktionen ihre verborgenen Gefühle ablesen können, wodurch sie noch ängstlicher werden und in einen Teufelskreis zunehmender Angst geraten.

      Die häufigste Angst von Kindern und Jugendlichen mit sozialer Phobie besteht darin, vor anderen Menschen etwas falsch zu machen: Sie fürchten, dass etwas Peinliches geschieht und dass sie für dumm oder schwach gehalten werden. Sie haben Angst, sich in der Schule zu melden, weil sie fürchten, eine falsche Antwort zu geben und ausgelacht zu werden. Sie fürchten Prüfungen in der Schule, das Reden vor einer Gruppe, oft mit der Folge sinkender Schulleistungen aufgrund mangelnder mündlicher Beteiligung und aufgrund von Prüfungsängsten. Die Unterhaltung mit Gleichaltrigen wird vermieden aus Angst, nicht mitreden zu können oder verlacht zu werden. In Reaktion darauf werden die Interessen der Gleichaltrigen häufig als »unreif« und »oberflächlich« bewertet, womit die Vermeidung solcher Kontakte gerechtfertigt wird. Ebenfalls wird vermieden, an einer Veranstaltung teilzunehmen oder zu einer Party zu gehen. Mitunter kann auch die Befürchtung auftreten, in einer bestimmten Situation, beispielsweise beim Einkaufen oder in der Schule, einzunässen oder sogar einzukoten. In den meisten Fällen erkennen die Kinder oder Jugendlichen, dass ihre Angst übertrieben oder unbegründet ist.

      Anders als Erwachsene sind Kinder zuweilen nicht in der Lage, den Grund ihrer Ängste zu benennen. Als Anzeichen einer sozialen Phobie im Kindesalter gelten folgende Verhaltensweisen: Abfall in den Schulleistungen, Schulverweigerung, Vermeidung von altersgemäßen sozialen Aktivitäten, Trotzreaktionen und Wutanfälle, Klagen über Kopf- und Bauchschmerzen, das Vermeiden sozialer Kontakte.

      Im Alter von acht bis zwölf Jahren treten sozialphobische Verhaltensweisen am häufigsten in der Schule auf. Sie betreffen vor allem die dort stattfindenden alltäglichen Bewertungssituationen durch Gleichaltrige und Lehrer (Prüfungssituationen). Sozial ängstliche Kinder sind in der Regel wenig aggressiv, wenig impulsiv und zeigen wenig dissoziale Verhaltensweisen. Sie sind in ihrem Verhalten relativ angepasst und regelorientiert und bringen Erwachsene nicht unter unmittelbaren Handlungsdruck. Manche Kinder und Jugendliche entwickeln »einsame Hobbys«, etwa das Programmieren von

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