Lange Schatten. Louise Penny

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Lange Schatten - Louise Penny Ein Fall für Gamache

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Ab ins Bett. Mommy will sich endlich betrinken, und das kann sie erst, wenn du schläfst, das weißt du genau.«

      Bean lächelte unvermittelt, ohne dabei den Blick von Gamache zu wenden. »Einen letzten Martini, Mommy? Bitte, bitte«, sagte Bean, bevor sie den Raum verließen.

      »Du weißt genau, dass du mit dem Martini noch warten musst, bis du zwölf bist. Entweder Scotch oder gar nichts«, hörten sie Mariana sagen, dann nur noch Schritte auf der Treppe.

      »Ich bin mir nicht immer ganz sicher, ob sie Spaß macht«, sagte Madame Finney.

      Gamache warf ihr ein Lächeln zu, aber es verging ihm, als er ihre strenge Miene sah.

      »Warum lässt du dich nur immer von ihm ärgern, Pierre?«

      Die Köchin verteilte handgemachte Trüffel und kandierte Früchte mit Schokoladenüberzug auf kleinen Tellern. Ihre wurstförmigen Finger ordneten das Konfekt wie von selbst an. Sie nahm einen Minzezweig aus dem Glas, schüttelte das Wasser ab und knipste mit den Nägeln ein paar Blätter weg. Gedankenverloren wählte sie dann noch einige essbare Blüten aus einer Vase, und schon war aus ein paar Konfektstücken ein kleines Kunstwerk entstanden. Sie streckte den Rücken und blickte den Maître d’ an.

      Seit Jahren arbeiteten sie zusammen. Nein, seit Jahrzehnten. Sie fand es erstaunlich, dass sie bereits über sechzig war, und sie wusste, dass sie keinen Tag jünger aussah, was hier in den Wäldern allerdings egal war.

      Sie hatte Pierre kaum jemals wegen eines seiner jungen Helfer so aufgebracht gesehen. Sie für ihren Teil mochte Elliot. Wie alle anderen auch, soweit sie wusste. War der Maître d’ deshalb so wütend? Weil er eifersüchtig war?

      Einen Moment sah sie dabei zu, wie seine schmalen Hände das Tablett vorbereiteten.

      Nein, dachte sie. Es war nicht Eifersucht. Es war etwas anderes.

      »Er will einfach nicht hören«, sagte Pierre, schob das Tablett zur Seite und setzte sich gegenüber von Veronique hin. Sie waren jetzt allein in der Küche. Der Abwasch war erledigt, das Geschirr aufgeräumt, die Arbeitsflächen geschrubbt. Es roch nach Espresso und Minze und Früchten. »Er ist hergekommen, um etwas zu lernen, und dann will er nicht hören. Ich verstehe das nicht.« Er zog den Korken aus der Cognacflasche und goss zwei Gläser ein.

      »Er ist jung. Er ist das erste Mal von zu Hause weg. Und du machst es nur schlimmer, wenn du solchen Druck auf ihn ausübst. Lass ihn einfach in Ruhe.«

      Pierre nippte an dem Cognac und nickte. Die Köchin wirkte beruhigend auf ihn, auch wenn sie den Neuankömmlingen am Anfang immer eine Heidenangst einjagte, wie er wusste. Sie war groß und kräftig, ihr Gesicht rund wie ein Kürbis, und ihre Stimme klang wie eine Gießkanne. Und sie hatte Messer. Eine Menge Messer. Und ein Hackbeil und schmiedeeiserne Pfannen.

      Verständlicherweise dachten einige der neuen Mitarbeiter, die sie zum ersten Mal sahen, dass sie auf der Schotterstraße eine falsche Abzweigung in den Wald genommen hatten und in einer Holzfällersiedlung statt in dem schicken Manoir Bellechasse gelandet waren. Véronique sah aus wie die Küchenhilfe in einer schlechten Kantine.

      »Er muss wissen, wer hier das Sagen hat«, sagte Pierre.

      »Das tut er doch auch. Es passt ihm nur nicht.«

      Der Maître d’ hatte einen harten Tag hinter sich, das war unverkennbar. Deshalb nahm sie den größten Trüffel von dem Tablett und reichte ihn ihm.

      Geistesabwesend steckte er ihn in den Mund.

      »Ich habe erst in fortgeschrittenem Alter Französisch gelernt«, erklärte Mrs. Finney und musterte die Karten ihres Sohnes.

      Sie hatten sich in die Bibliothek zurückgezogen und waren zu Französisch gewechselt, und die alte Frau umrundete den Kartentisch und sah sich jedes Blatt genau an. Gelegentlich streckte sie einen ihrer verkrümmten Finger aus und tippte auf eine Karte. Die ersten Abende hatte sie nur ihrem Sohn und seiner Frau geholfen, aber heute ließ sie auch die Gamaches ihres Beistands teilhaftig werden. Es war ein Spiel in aller Freundschaft, und die Einmischung schien niemanden zu stören, als Allerletztes Armand Gamache, der die Unterstützung gut brauchen konnte.

      Die Wände waren von Regalen gesäumt, unterbrochen nur von dem Kamin, der aus großen Flusssteinen gemauert war, und den Terrassentüren, die in die Dunkelheit hinaussahen. Sie standen weit offen, um die leider allzu leichte Brise hereinzulassen, die der heiße Québecer Sommerabend zu bieten hatte. Was sie dagegen in Hülle und Fülle hereinließen, war das Trillern und Rufen aus dem Wald.

      Alte Perserteppiche bedeckten den Parkettboden, und bequeme Sessel und Sofas waren für trauliche Gespräche oder gemütliche Lektürestunden zu Grüppchen aufgestellt. Dazwischen verteilt standen schöne Blumensträuße. Das Manoir Bellechasse schaffte den Spagat zwischen rustikal und raffiniert. Außen grob behauene Baumstämme, innen feines Kristall.

      »Sie leben in Québec?« Reine-Marie sprach langsam und deutlich.

      »Ich bin in Montréal geboren, lebe inzwischen aber in Toronto. Näher bei meinen Freunden. Die meisten haben Québec vor Jahren verlassen, aber ich bin geblieben. Damals brauchte kein Mensch Französisch. Nur so viel, dass man den Hausmädchen Anweisungen geben konnte.«

      Mrs. Finney sprach fließend Französisch, hatte aber einen starken Akzent.

      »Mutter.« Thomas wurde rot.

      »Ich erinnere mich noch gut an die Zeit«, sagte Reine-Marie. »Meine Mutter war als Putzfrau beschäftigt.«

      Mrs. Finney und Reine-Marie plauderten über schwere Arbeit und Kindererziehung, über die stille Revolution in den Sechzigerjahren, als die Québecer schließlich maîtres chez nous wurden. Herren im eigenen Haus.

      »Wobei meine Mutter auch später noch die Häuser der Engländer in Westmount putzen ging«, sagte Reine-Marie und steckte ihre Karten in die richtige Reihenfolge. »Eins ohne.«

      Madame Finney reckte den Hals, um besser sehen zu können, und nickte bestätigend. »Ich hoffe, die Leute, für die sie putzte, waren freundlicher zu ihr. Zu meiner eigenen Beschämung muss ich sagen, dass ich auch das erst lernen musste. Es fiel mir fast so schwer wie der Subjonctif.«

      »Es war eine interessante Zeit«, sagte Gamache. »Die meisten Frankokanadier waren begeistert, aber ich bin mir bewusst, dass die Anglokanadier einen schrecklichen Preis zu zahlen hatten.«

      »Wir haben unsere Kinder verloren«, sagte Mrs. Finney und nahm ihre Umrundung des Tischs wieder auf. »Sie gingen fort, um irgendwo eine Stelle zu finden, wo man ihre Sprache sprach. Sie mögen Herren im eigenen Haus geworden sein, aber wir wurden zu Fremden, in der eigenen Heimat nicht mehr willkommen. Sie haben recht. Es war schrecklich.«

      Sie tippte auf die Kreuz zehn in seiner Hand, die höchste Karte. In ihrer Stimme schwangen weder Wehmut noch Selbstmitleid mit. Nur ein gewisser Tadel vielleicht.

      »Passe«, sagte Gamache. Er spielte mit Sandra zusammen und Reine-Marie mit Thomas.

      »Ich verlasse Québec«, sagte Thomas, der Französisch besser zu verstehen als zu sprechen schien, was allerdings besser war als andersherum. »Ich ging weit weg zur Universität und siedle nach Toronto. Québec ist schwer.«

      Erstaunlich, dachte Gamache, während er Thomas zuhörte. Wenn er des Französischen nicht mächtig gewesen wäre, hätte er geschworen,

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