Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist. Stefan Zweig

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weichen? Kann man ihn beschwören, erbitten oder bemeistern? Mit harten Krallen preßt die Krankheit dem Herzen die gegensätzlichsten Gefühle ab: Furcht, Glauben, Hoffnung, Verzagen, Fluch, Demut und Verzweiflung. Sie lehrt den Kranken fragen, denken und beten, seinen verschreckten Blick ins Leere aufheben und ein Wesen erfinden, dem er seine Angst entgegenträgt. Erst das Leiden hat der Menschheit das Gefühl der Religion, den Gedanken eines Gottes erschaffen.

      Weil Gesundheit dem Menschen naturhaft zugehört, erklärt sie sich nicht und will nicht erklärt sein. Seinem Leiden aber sucht jeder Gequälte jedesmal einen Sinn. Denn daß die Krankheit sinnlos über sie falle, daß unverschuldet, ohne Ziel und Zweck plötzlich der Leib im Fieber brenne und bis in die Eingeweide hinab glühende Schmerzmesser wühlen – diesen ungeheuren Gedanken einer völligen Sinnlosigkeit des Leidens, der allein schon die moralische Weltordnung vernichtete, hat die Menschheit niemals zu Ende zu denken gewagt. Krankheit erscheint ihr allemal von jemandem gesendet, und der Unfaßbare, der sie schickt, muß ihrer Meinung nach einen Grund haben, sie gerade in diesen einen irdischen Leib zu jagen. Irgend jemand muß dem Menschen böse sein, ihm zürnen, ihn hassen. Irgend jemand will ihn strafen für irgendeine Schuld, für einen Frevel, für ein übertretenes Gebot. Und das kann nur derselbe sein, der alles kann, derselbe, der die Blitze vom Himmel wirft, der Frost und Hitze über die Felder gießt und die Sterne entzündet oder verhüllt, ER, der alle Macht hat, der Allmächtige: Gott. Vom ersten Ursprung an ist darum das Geschehnis der Krankheit unlösbar dem Gefühl des Religiösen verbunden.

      Die Götter senden die Krankheit, die Götter allein können sie wieder nehmen: dieser Gedanke steht unverrückbar am Eingang aller Heilkunde. Seines eigenen Wissens noch völlig unbewußt, hilflos, arm, einsam und schwach steht der Mensch der Urzeit im Feuerbrand seines Gebrests und weiß keine Hilfe, als seine Seele im Schrei zu dem Zaubergott zu erheben, daß er von ihm ablasse. Nur den Schrei, das Gebet, die Opfertat weiß der primitive Mensch als Heilmittel. Man kann sich nicht wehren gegen Ihn, den Übergewaltigen, den Unbekämpfbaren im Dunkel: also muß man sich demütigen, seine Verzeihung erlangen, ihn anflehen, ihn erbitten, daß er den Schmerzensbrand wieder aus dem Fleische nehme. Aber wie ihn erreichen, den Unsichtbaren? Wie zu ihm sprechen, dessen Hausung man nicht kennt? Wie ihm Zeichen geben der Reue, der Unterwürfigkeit, des Gelobens und der Opferwilligkeit, Zeichen, die ihm verständlich sind? Das weiß es nicht, das arme, unbelehrte dumpfe Herz der Menschheitsfrühe. Ihm, dem Unwissenden tut sich Gott nicht auf, in sein niederes Tagwerk beugt er sich nicht hinab, ihn würdigt er nicht seiner Antwort, ihm leiht er nicht sein Ohr. So muß in seiner Not der ratlose, machtlose Mensch sich einen andern Menschen als Mittler zu Gott suchen, einen weisen und erfahrenen, der Spruch und Zauber kennt, um die dunklen Mächte zu versöhnen, die zürnenden zu begütigen. Und dieser Mittler ist in der Zeit der primitiven Kulturen einzig der Priester.

      Kampf um die Gesundheit bedeutet also in der Urzeit der Menschheit nicht Kämpfen gegen die einzelne Krankheit, sondern ein Ringen um Gott. Alle Medizin der Erde beginnt als Theologie, als Kult, Ritual und Magie, als seelische Gegenspannung des Menschen gegen die von Gott gesandte Prüfung. Dem körperlichen Leiden wird nicht eine technische Handreichung, sondern ein religiöser Akt dawidergesetzt. Man untersucht die Krankheit nicht, sondern man sucht Gott. Man behandelt nicht ihre Schmerzerscheinungen, sondern sucht sie wegzubeten, wegzusühnen, sie dem Gott mit Gelöbnissen, Opfern und Zeremonieen abzukaufen, denn nur auf übersinnlichem Wege, wie sie gekommen, kann sie wieder weichen. So tritt noch eine volle Einheit des Gefühls der Einheit der Erscheinung entgegen. Es gibt nur eine Gesundheit und eine Krankheit und für diese wiederum nur eine Ursache und eine Heilung: Gott. Und zwischen Gott und dem Leiden gibt es nur ein und denselben Mittler: den Priester, diesen Behüter zugleich des Leibes und der Seele. Die Welt ist noch nicht zersplittert, noch nicht zweigeteilt, Glaube und Wissen bilden in der heiligen Stätte des Tempels noch eine einzige Instanz: Erlösung vom Leiden kann nicht vollbracht werden ohne gleichzeitigen Einsatz der seelischen Kräfte, ohne Ritus, Beschwörung und Gebet. Darum üben, kundig des geheimnisvollen Ganges der Sterne, Belauscher und Deuter der Träume, Meister der Dämonen, die Priester ihre ärztliche Kunst nicht als praktische Wissenschaft, sondern ausschließlich als Geheimnis. Unerlernbar, nur dem Geweihten überlieferbar, vererbt sie sich bei ihnen von Geschlecht zu Geschlecht, und obwohl sie medizinisch viel aus Erfahrung wissen, erteilen die Priester niemals einen bloß sachlichen Rat; immer fordern sie Heilgeschehen als Wunder und darum geweihte Stätte, Erhobenheit des Herzens und die Gegenwart der Götter. Nur gereinigt und geweiht an Leib und Seele darf der Kranke den Heilspruch empfangen: die Pilger, die zum Tempel in Epidaurus ziehen, weiten mühseligen Weg, müssen den Vorabend im Gebet verbringen, den Leib baden, jeder ein Opfertier schlachten, im Vorhof auf dem Fell des geopferten Widders schlafen und die Träume dieser Nacht zur Deutung dem Priester berichten: dann erst erteilt er ihnen gleichzeitig priesterliche Weihe und ärztliche Heilhilfe. Immer aber wird als erstes, unumgängliches Unterpfand alles Heilens die gläubige Annäherung der Seele an Gott gesetzt; wer das Wunder der Genesung will, muß sich dem Wunderbaren bereiten. Heillehre bleibt in ihrem Ursprung unlösbar von Gotteslehre, Medizin und Theologie sind anfangs ein Leib und eine Seele.

      Diese Einheit des Anfangs wird bald gebrochen. Denn um selbständig zu werden und zwischen der Krankheit und dem Kranken praktischen Mittlerdienst zu übernehmen, muß die Wissenschaft die Krankheit ihres göttlichen Ursprungs entkleiden und die religiöse Einstellung – Opfer, Kult, Gebet – als völlig überflüssig ausschalten. Der Arzt stellt sich neben den Priester und bald gegen ihn – die Tragödie des Empedokles –, und indem er das Leiden aus dem Übersinnlichen in das allgemeine Naturgeschehen zurückführt, sucht er auch mit diesseitigen Mitteln, mit den Elementen der äußern Natur, ihren Kräutern, Säften und Erzen die Störung der inneren zu beheben. Der Priester beschränkt sich auf den Gottesdienst und läßt von der Krankenheilung, der Arzt verzichtet auf jede seelische Einwirkung, auf Kult und Magie: gesondert fließen fortab diese beiden Ströme jeder seinen eigenen Weg. Mit diesem großen Bruch der einstmaligen Einheit erhalten alle Elemente der Heilkunde sofort einen völlig neuen und umfärbenden Sinn. Vor allem zerfällt das seelische Gesamtphänomen »Krankheit« in unzählige einzelne genau katalogisierte Krankheiten. Und damit löst sich ihr Dasein gewissermaßen von der seelischen Persönlichkeit des Menschen los. Krankheit bedeutet jetzt nicht mehr etwas, was dem ganzen Menschen, sondern was einem seiner Organe zustößt. – (Virchow auf dem Kongreß zu Rom: »Es gibt keine Allgemeinkrankheiten, sondern nur mehr Organ-und Zellenkrankheiten.«) – Und so verändert sich naturgemäß die anfängliche Mission des Arztes, bezwingend der Krankheit als einer Ganzheit entgegenzutreten, zu der eigentlich geringeren Aufgabe, jedes Leiden ursächlich zu lokalisieren und einer systematisch längst gegliederten und beschriebenen Krankheitsgruppe zuzuweisen. Sobald der Arzt das Leiden diagnostisch richtig erkennt und beim Namen nennt, hat er das Eigentliche seiner Leistung schon meist zu Ende getan, und die Behandlung erledigt sich dann von selbst durch die für diesen »Fall« vorausbefohlene Therapie. Vollkommen abgelöst vom Religiösen, vom Magischen, ein erstudiertes Erkenntniswissen, arbeitet die moderne Medizin statt mit individuellen Ahnungen mit sachlichen Sicherheiten, und wenn sie sich auch noch gern poetisch als »ärztliche Kunst« bezeichnet, so darf dies hohe Wort nur noch im gemengten Sinn von Kunsthandwerk gelten. Denn längst fordert die Heilkunde von ihren Jüngern kein priesterliches Auserwähltsein mehr wie einst, keine geheimnisvoll visionären Kräfte, keinen übergewöhnlichen Einklang mit den universalen Mächten der Natur: Berufung ist Beruf geworden, Magie zum System, das Heilgeheimnis zu Arzneikunde und Organwissenschaft. Nicht mehr als seelischer Akt, als jedesmal wunderbares Ereignis vollzieht sich eine Heilung, sondern als reine und beinahe rechnerische Vernunfthandlung von seiten des Arztes; das Erlernte ersetzt das Spontane, das Schulbuch den Logos, den geheimnisvoll schöpferischen Priesterspruch. Wo das alte magische Heilverfahren höchste Seelenspannung forderte, erheischt die neue, die klinischdiagnostische Methode vom Arzte das Gegenteil, nämlich nervenlose Helligkeit des Geistes bei vollkommenster sachlichster Seelenruhe.

      Diese unvermeidliche Versachlichung und Verfachlichung des Heilprozesses mußte im neunzehnten Jahrhundert zu noch übertriebenerer Steigerung gelangen: denn zwischen den behandelten und behandelnden Menschen schiebt sich ein drittes, ein vollkommen seelenloses Wesen ein: der Apparat. Immer entbehrlicher wird der durchschauende und die Symptome schöpferisch zusammenfassende Blick des geborenen

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