Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist. Stefan Zweig

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dieses ersten Magnetiseurs weder als Gaukeleien noch als wunderhaft. Gerade weil wir Tag für Tag, ja fast Stunde für Stunde überrascht werden von neuen Unglaublichkeiten und Wundern innerhalb der Physik und Biologie, zaudern wir sehr lange und gewissenhaft, ehe wir heute ein gestern noch Unwahrscheinliches unwahr nennen, und tatsächlich ordnen sich viele von Mesmers Erfindungen und Erfahrungen unserm jetzigen Weltbild ohne Schwierigkeit ein. Daß unsere Nerven, unsere Sinne geheimnisvollen Gebundenheiten unterliegen, daß wir »ein Spiel sind von jedem Druck der Luft«, suggestiv beeinflußbar von unzähligen äußeren und inneren Impulsen, wer denkt dies heute noch zu bestreiten? Lehrt uns, denen ein gesprochenes Wort noch in ebenderselben Sekunde über Ozeane herüberschwingt, nicht jeder neue Tag wieder neu, daß unser Äther beseelt ist von unfaßbaren Vibrationen und Lebenswellen? Nein, wir erschrecken durchaus nicht mehr vor Mesmers bestrittenstem Gedanken, daß unserem individuellen Sein eine ganz einmalige und bestimmte Eigenkraft entströme, die weit über das Ende des Nervs hinaus in beinahe magischer Weise bestimmend auf fremden Willen und fremdes Wesen einwirken könne. Aber Verhängnis – Mesmer ist zu früh gekommen oder zu spät: gerade jenes Zeitalter, in das er das Unglück hat hineingeboren zu werden, besitzt für dunkel ehrfurchtsvolles Ahnen kein Organ. Nur kein Clair-obscur in seelischen Dingen: Ordnung vor allem und schattenloses Licht! Gerade dort also, wo das geheimnisvolle Zwielicht von Bewußt und Unbewußt sein schöpferisches Übergangsspiel beginnt, erweist sich das kalte Tagauge dieser Vernunftwissenschaft völlig blind. Und da sie die Seele nicht als gestaltende und individuelle Macht anerkennt, so kennt auch ihre Medizin in dem Uhrwerk Homo sapiens einzig Schädigungen der Organe, einen kranken Leib, niemals aber eine Erschütterung der Seele. Kein Wunder, daß sie darum für ihre Verstörungen nichts anderes weiß als die barbarische Baderweisheit: Purgieren, Aderlassen und kaltes Wasser. Geistesgestörte schnallt man auf das Drehrad, kurbelt sie so lange um, bis ihnen der Schaum vom Mund läuft oder prügelt sie bis zur Erschöpfung. Epileptikern pumpt man den Magen mit Quacksalbereien voll, alle nervösen Affekte erklärt man als einfach nicht existent, weil man ihnen nicht beizukommen weiß. Und als jetzt dieser unbequeme Außenseiter Mesmer durch seine magnetische und deshalb magisch erscheinende Einflußnahme solche Erkrankungen erstmalig lindert, da dreht die entrüstete Fakultät die Augen weg und behauptet, nichts gesehen zu haben als Gaukelei und Betrug.

      In diesem verzweifelten Vorpostengefecht um eine neue Psychotherapie steht Mesmer vollkommen allein. Seine Schüler, seine Helfer sind noch um ein halbes, ein ganzes Jahrhundert zurück. Und tragische Erschwerung dieses Alleinseins – nicht einmal ein vollgewichtiges Selbstvertrauen panzert diesem einsamen Kämpfer den Rücken. Denn nur die Richtung ahnt Mesmer, er weiß noch nicht den Weg. Er fühlt sich auf der rechten Spur, fühlt sich durch Zufall einem Geheimnis, einem großen und fruchtbaren Geheimnis brennend nah und weiß doch, er kann es nicht allein lösen und völlig entschleiern. Erschütternd darum, wie dieser Mann, den leichtfertige Nachrednerei ein Jahrhundert lang als Scharlatan verrufen, gerade bei den Ärzten, seinen Kameraden, um Beistand und Hilfe bittet; nicht anders als Kolumbus vor seiner Ausfahrt mit seinem Plan des Seeweges nach Indien von Hof zu Hof irrt, so wendet sich Mesmer von einer Akademie an die andere und bittet um Interesse und Mithilfe für seine Idee. Auch bei ihm wie bei seinem großen Entdeckerbruder steht ein Irrtum am Anfang seiner Bahn, denn noch ganz eingesponnen in den mittelalterlichen Wahn des Arkanums, meint Mesmer mit seiner magnetischen Theorie das Allheilmittel, das ewige Indien der alten Arzneikunde, gefunden zu haben. In Wahrheit hat er längst, sich selber unbewußt, unendlich mehr entdeckt als einen neuen Weg – er hat wie Kolumbus einen neuen Kontinent der Wissenschaft gefunden mit ungezählten Archipelen und noch lange nicht durchforschten Geländen: die Psychotherapie. Denn alle die heute erst aufgeschlossenen Domänen der neuen Seelenkunde, Hypnose und Suggestion, Christian Science und Psychoanalyse, sogar Spiritismus und Telepathie liegen in jenem Neuland, das dieser tragisch Einsame entdeckte, ohne selbst zu erkennen, daß er einen anderen Erdteil der Wissenschaft betreten hat als jenen der Medizin. Andere haben seine Reiche gepflügt und Saat gewonnen, wo er den Samen in die Brache gestreut, andere den Ruhm geerntet, indes sein Name von der Wissenschaft verächtlich auf dem Schindanger der Ketzer und Schwätzer verscharrt ward. Seine Mitwelt hat ihm den Prozeß gemacht und ihn verurteilt. Nun reift die Zeit, mit seinen Richtern zur rechten.

      Bildnis

      Inhaltsverzeichnis

      1773 berichtet Vater Leopold Mozart seiner Frau nach Salzburg: »Letzten Posttag habe ich nicht geschrieben, weil wir eine große Musik bei unserem Freunde Mesmer auf der Landstraße im Garten hatten. Mesmer spielt sehr gut die Harmonika der Miß Dewis, er ist der einzige in Wien, der es gelernt hat, und besitzt eine viel schönere gläserne Maschine, als Miß Dewis selbst hatte. Wolfgang hat auch schon darauf gespielt.« Man sieht, sie sind gute Freunde, der Wiener Arzt, der Salzburger Musiker und dessen berühmter Sohn. Schon einige Jahre vordem, als der berüchtigte Hofoperndirektor Afligio (der später auf der Galeere endete) die erste Oper des vierzehnjährigen Wolfgang Amadeus »La finta semplice« trotz kaiserlichen Befehls nicht zur Aufführung bringen wollte, springt, kühner als Kaiser und Hof, der musikalische Mäzen, Franz Anton Mesmer ein und stellt sein kleines Gartentheater für das deutsche Singspiel »Bastien und Bastienne« zur Verfügung, derart nebst seinem anderen Ruhm das unvergängliche Verdienst sich in der Geschichte sichernd, das erste Opernwerk Wolfgang Amadeus Mozarts aus der Taufe gehoben zu haben. Diese Freundestat vergißt der kleine Wolfgang nicht: in allen Briefen erzählt er von Mesmer, immer ist er am liebsten bei seinem »lieben Mesmer« zu Gast. Und als er im Jahre 1781 ständig Aufenthalt in Wien nimmt, fährt er im Postwagen geradeaus vom Schlagbaum in das vertraute Haus. »Ich schreibe dies im Garten Mesmers auf der Landstraße«, so beginnt sein erster Brief an den Vater vom 17. März 1781. Und in »Così fan tutte« hat er dem gelehrten Freund später das bekannte humoristische Denkmal gesetzt. Noch heute und wohl in Jahrhunderte hinein begleitet ein munteres Rezitativ die Verse über Franz Anton Mesmer:

       »Hier der Magnetstein

      Solls euch beweisen.

      Ihn brauchte Mesmer einst, Der seinen Ursprung nahm

      Aus Deutschlands Gauen

      Und so berühmt ward

      In Francia.«

      Aber nicht nur ein gelehrter Herr, ein kunstfreudiger und menschenfreundlicher, ist dieser sonderbare Doktor Franz Anton Mesmer, er ist auch ein reicher Mann. Wenige im Wiener Bürgerstande besaßen damals ein so wunderschönes, heiter geselliges Haus wie jenes Landstraße 261, wahrhaftig ein Klein-Versailles am Donaustrand. In dem weiten, geräumigen, beinahe fürstlichen Garten entzücken die Gäste allerhand unterhaltsame Vergnüglichkeiten im Stile des Rokoko, kleine Boskette, schattige Baumgänge mit antiken Statuen, ein Vogelhaus, ein Taubenschlag, jenes kokette (leider längst verschollene) Naturtheater, in dem die Premiere von »Bastien und Bastienne« stattfand, ein rundes Marmorbassin, das später bei den magnetischen Kuren höchst merkwürdige Szenen sehen wird, und auf einer kleinen Anhöhe ein Belvedere, von dem man weit über die Donau in den Prater blicken kann. Kein Wunder, daß die plauderfrohe und genießerische Wiener Gesellschaft sich gern in diesem schönen Hause zusammenfindet, denn dieser Doktor Franz Anton Mesmer zählt zu den allerhochansehnlichsten Bürgern, seit er die mehr als dreißigtausend Gulden schwere Witwe des Hofkammerrates van Bosch geheiratet hat. Seine Tafel steht täglich (wie Mozart erzählt) allen seinen Freunden und Bekannten offen, man trinkt und ißt vortrefflich bei diesem hochgelehrten und jovialen Mann und entbehrt auch der geistigen Genüsse nicht. Hier hört man, lange vor dem Druck und meist eigenhändig vom Notenblatt gespielt, die neuesten Quartette, Arien und Sonaten von Haydn, Mozart und Gluck, den intimen Freunden des Hauses, aber auch das Neueste von Piccini und Righini. Wer dagegen vorzieht, von geistigen Dingen zu sprechen, statt Musik zu hören, der findet gleichfalls auf jedem Gebiet an dem Hausherrn einen universal gebildeten Partner. Denn dieser vorgebliche Schwindler Franz Anton Mesmer hat selbst unter Gelehrten Format; schon damals, als er – Sohn eines bischöflichen Jägers,

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