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vor allem, daß er selbst seelisch handle, daß er als Subjekt, als Träger und Hauptvollbringer der Kur, die höchste ihm mögliche Aktivität gegen die Krankheit entfalte. In diesem Aufruf an den Kranken, sich selbst seelisch aufzuraffen, sich zur Willenseinheit zusammenzufassen und diese Ganzheit seines Wesens der Ganzheit der Krankheit entgegenzuwerfen, besteht das eigentliche und einzige Medikament aller psychischen Kuren, und meist beschränkt sich der Hilfsakt ihrer Meister auf nichts anderes als auf das gesprochene Wort. Wer aber weiß, welche Wunder der Logos, das schöpferische Wort, zu wirken vermag, diese zauberische Schwingung der Lippe ins Leere, die doch unzählige Welten erbaut und unzählige Welten zerstört hat, den wird es nicht erstaunen, daß auch in der Heilkunst wie in allen andern Sphären einzig durch das Wort zahllose Male wahrhafte Wunder geschehen sind, daß bloß durch Zuspruch und Blick, diese Sendezeichen von Persönlichkeit zu Persönlichkeit, manchmal in völlig niedergebrochenen Organen Gesundheit noch einmal nur durch den Geist auferbaut werden konnte. Durchaus wunderbar, sind solche Heilungen weder Wunder noch Einmaligkeiten, sondern sie spiegeln nur undeutlich ein uns noch geheimes Gesetz höherer Zusammenhänge zwischen Körper und Seele, die vielleicht kommende Zeiten deutlicher ergründen werden; genug schon dies für unsere Zeit, daß sie die Möglichkeit der Kuren auf rein seelischem Wege nicht länger leugnet und eine gewisse befangene Ehrfurcht Erscheinungen zollt, die rein wissenschaftlich nicht zu deuten sind.

      Diese eigenwilligen Absonderungen einzelner Heilmeister von der akademischen Medizin gehören für mein Empfinden zu den interessantesten Episoden der Kulturgeschichte. Denn nichts innerhalb der Geschichte, der tatsachenhistorischen wie jener des Geistes, läßt sich an dramatischer Kraft der seelischen Leistung vergleichen, wenn ein einzelner, schwacher, isolierter Mensch sich allein gegen eine riesige, die ganze Welt umspannende Organisation auflehnt. Ob Spartakus, der geprügelte Sklave, gegen die Legionen und Kohorten des Römerreichs oder Pugatschew, der arme Kosak, gegen das gigantische Rußland oder Luther, der breitstirnige Augustinermönch, gegen die allmächtige fides catholica – immer wenn ein Mensch nichts als seine eigene innere Glaubenskraft gegen alle verbündeten Mächte der Welt einzusetzen hat und sich in einen Kampf wirft, der unsinnig scheint in seiner völligen Aussichtslosigkeit, gerade dann teilt sich seine Seelenspannung schöpferisch den Menschen mit und schafft aus dem Nichts unermeßliche Kräfte. Jeder unserer großen Fanatiker für die »Heilung durch den Geist« hat Hunderttausende um sich geschart, jeder mit seinen Taten und Heilungen das Bewußtsein der Zeit erregt und erschüttert, von jedem sind mächtige Strömungen in die Wissenschaft übergegangen. Phantastisch, sich die Situation auszudenken: in einem Zeitalter, da die Medizin dank einer märchenhaften Ausgestaltung ihrer Technik tatsächliche Wunder vollbringt, da sie die winzigsten Atome und Moleküle lebendiger Substanz zu zerteilen, beobachten, photographieren, messen, beeinflussen und zu verändern gelernt hat, da ihr alle andern exakten Naturwissenschaften hilfreich Gefolgschaft leisten und nichts Organisches mehr Geheimnis scheint – gerade in diesem Augenblick zeigt eine Reihe unabhängiger Forscher die Überflüssigkeit dieser ganzen Apparatur in vielen Fällen. Sie tun öffentlich und unwiderlegbar dar, daß auch heute mit nackten Händen nur auf seelischem Wege Heilungen genau so wie einst erzielt werden können, sogar in solchen Fällen, wo vor ihnen die großartige Präzisionsmaschinerie der Universitätsmedizin vergebens gearbeitet hatte. Von außen gesehen, ist ihr System unbegreiflich, beinahe lächerlich in seiner Unscheinbarkeit; Arzt und Patient sitzen friedlich beisammen und scheinen bloß zu plaudern. Keine Röntgenplatten, keine Meßinstrumente, keine elektrischen Ströme, keine Quarzlampen, nicht einmal ein Thermometer, nichts ist vorhanden von dem ganzen technischen Arsenal, das den berechtigten Stolz unseres Zeitalters bildet, und doch wirkt ihre uralte Methode oft mächtiger als die fortgeschrittene Therapie. Daß Eisenbahnzüge fahren, hat an der seelischen Konstitution der Menschheit nichts geändert – bringen sie nicht alljährlich zur Grotte von Lourdes Hunderttausende von Pilgern, die dort einzig durch das Wunder genesen wollen? Und daß Hochfrequenzströme erfunden sind, ändert ebensowenig die Seeleneinstellung zum Geheimnis, denn sie zaubern, in den magischen Stab einer seelenfängerischen Persönlichkeit versteckt, 1930 in Gallspach eine ganze Stadt mit Hotels, Sanatorien und Vergnügungsstätten aus dem Nichts um einen einzigen Menschen herum. Keine Tatsache hat so sichtlich wie der tausendfältige Erfolg der Suggestionskuren und sogenannten Wunderheilungen bewiesen, welche ungeheuren Glaubensenergieen noch im zwanzigsten Jahrhundert bereitliegen und wie viel an praktischer Heilungsmöglichkeit von der bakteriologisch und zellular orientierten Medizin durch lange Jahre bewußt vernachlässigt worden ist, weil sie hartnäckig jede Möglichkeit des Irrationalen leugnete und die seelische Selbsthilfe eigenwillig aus ihren exakten Berechnungen ausschloß.

      Selbstverständlich hat kein einziges dieser neu-alten Gesundheitssysteme die herrliche, die in ihrer Durchdachtheit und Allfältigkeit unübertreffliche Organisation der modernen Medizin nur einen Augenblick ins Wanken gebracht; der Triumph einzelner seelischer Kuren und Systeme beweist durchaus nicht, daß die wissenschaftliche Medizin an sich unrecht hatte, sondern bloß jener Dogmatismus, der sich immer ausschließlich auf die letztgefundene als die allgültige und einzig mögliche Heilmethode versteifte und jede andere frech als unmodern, unrichtig und unmöglich verhöhnte. Dieser Autoritätsdünkel allein hat einen harten Stoß erlitten. Nicht zuletzt durch die nicht mehr abzuleugnenden Einzelerfolge der hier darzustellenden psychischen Heilmethoden ist eine sehr heilsame Nachdenklichkeit gerade bei den geistigen Führern der Medizin eingetreten. Ein leises, aber selbst für uns Laien schon vernehmbares Zweifeln hat in ihren Reihen begonnen, ob (wie ein Mann vom Range Sauerbruchs öffentlich zugibt) »die rein bakteriologische und serologische Auffassung der Krankheiten nicht die Medizin in eine Sackgasse geführt habe«, ob nicht tatsächlich durch den Spezialismus einerseits und anderseits durch die Vorherrschaft der quantitativen Berechnung statt der Persönlichkeitsdiagnose die Heilkunst sich aus dem Dienst am Menschen langsam in etwas Selbstzweckhaftes und Menschenfremdes umzuwandeln beginne, ob nicht schon – um eine ausgezeichnete Formel zu wiederholen – »der Arzt zu sehr Mediziner geworden sei«. Was man heute als »Gewissenskrise der Medizin« bezeichnet, bedeutet aber durchaus keine enge Fachangelegenheit; sie ist eingebettet in das Gesamtphänomen der europäischen Unsicherheit, in den allgemeinen Relativismus, der, nach Jahrzehnten diktatorischen Behauptens und unbedingten Verwerfens in allen Kategorien der Wissenschaft, die Fachmenschen sich endlich wieder einmal zurückwenden und fragen lehrt. Eine gewisse Weitherzigkeit, sonst den Akademischen bedauerlich fremd, hebt an, sich erfreulich abzuzeichnen: so bringt das ausgezeichnete Buch von Aschner über die »Krise in der Medizin« eine ganze Fülle überraschender Beispiele, wie Kuren, die gestern und vorgestern als mittelalterlich verlacht und angeprangert wurden (etwa der Aderlaß und das Brennen), heute wieder die neuesten und alleraktuellsten geworden sind. Gerechter und endlich neugierig auf ihre Gesetzmäßigkeiten blickt die Medizin auf das Phänomen der »Heilungen durch den Geist«, die noch im neunzehnten Jahrhundert verächtlich von den Graduierten als Schwindel, Lüge und Humbug abgefertigt und verlacht wurden, und ernste Bemühungen sind im Gange, ihre außenseitigen, weil rein psychischen Errungenschaften den exakt klinischen langsam anzupassen. Unverkennbar fühlt man bei den klügsten und menschlichsten unter den Ärzten ein gewisses Heimweh nach dem alten Universalismus, eine Sehnsucht, von der ausschließlichen Lokalpathologie zu einer Konstitutionstherapie zurückzufinden, zum Wissen nicht nur von den Einzelkrankheiten, die den Menschen befallen, sondern von der Persönlichkeit, die dieser Mensch darstellt. Nachdem die schöpferische Wißbegier den Körper und die Zelle als allgemeine Substanz beinahe bis zum Molekül herab erforscht hat, wendet sie endlich wieder den Blick zur Ganzheit des jedesmal andern Krankheitswesens und sucht hinter den lokalen noch höhere Bedingtheiten. Neue Wissenschaften – die Typenlehre, die Physiognomik, die Erbmassenlehre, die Psychoanalyse, die Individualpsychologie – bemühen sich, gerade das Nichtgattungsmäßige jedes Menschen, die einmalige Einheit jeder Persönlichkeit wieder in den Vordergrund der Betrachtung zu drängen, und die Errungenschaften der außerakademischen Seelenkunde, die Phänomene der Suggestion, der Autosuggestion, die Erkenntnisse Freuds, Adlers, beschäftigen immer stärker die Aufmerksamkeit jedes nachdenkenden Arztes.

      Seit Jahrhunderten getrennt, beginnen die Ströme der organischen und der seelischen Heilkunde sich einander wieder zu nähern, denn zwangsmäßig kehrt – Goethes Bild der Spirale! – alle Entwicklung auf immer höherer Ebene zum Punkte ihres Ausgangs zurück. Alle Mechanik fragt am Ende nach dem letzten Gesetz ihrer Bewegung,

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