Am Ende sterben wir sowieso. Adam Silvera
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Читать онлайн книгу Am Ende sterben wir sowieso - Adam Silvera страница 4
Peck windet sich unter mir und ich hebe die Faust, damit er verdammt noch mal stillhält.
»Vielleicht hat er ’ne Waffe dabei«, sagt Malcolm. Er ist der Riese in unserer Gruppe, der Typ, der uns damals gefehlt hat, als meine Schwester den Sicherheitsgurt nicht aufbekam, während unser Auto im Hudson versank.
Vor dem Anruf hätte ich sonst was drauf gewettet, dass Peck keine Waffe dabeihat, weil es schließlich wir waren, die ihn auf dem Weg von der Arbeit überfallen haben. Aber mein Leben verwette ich sicher nicht darauf, jetzt nicht mehr. Ich lasse mein Handy fallen. Dann taste ich Peck ab, drehe ihn auf den Bauch und suche seinen Hosenbund nach einem Taschenmesser ab. Ich stehe auf und er bleibt liegen.
Malcolm zerrt Pecks Rucksack unter dem blauen Auto hervor, wo Tagoe ihn hingeschleudert hat. Er zieht den Reißverschluss auf und dreht den Rucksack um. Ein paar Black Panther- und Hawkeye-Comics fallen raus. »Nichts.«
Tagoe stürzt sich auf Peck, und ich könnte schwören, gleich tritt er gegen seinen Kopf, als wärs ein Fußball, aber er hebt nur mein Handy auf und geht ran. »Wen wollen Sie sprechen?« Niemand überrascht das Zucken in seinem Nacken. »Moment, Moment. Das bin ich nicht. Moment. Warten Sie kurz.« Er hält mir das Handy hin. »Soll ich auflegen, Roof?«
Ich weiß es nicht. Vor mir liegt Peck immer noch blutig und blau geprügelt auf dem Parkplatz der Grundschule, und eigentlich müsste ich den Anruf gar nicht annehmen. Natürlich ruft der Todesbote nicht an, um mir zu sagen, dass ich im Lotto gewonnen habe. Ich reiße Tagoe das Telefon aus der Hand, stinksauer und verwirrt. Vielleicht muss ich mich gleich übergeben, aber das haben meine Eltern und meine Schwester auch nicht getan, also vielleicht auch nicht.
»Passt auf ihn auf«, sage ich zu Tagoe und Malcolm. Sie nicken. Ich weiß gar nicht, wie ich zum Anführer geworden bin. Schließlich bin ich erst Jahre nach ihnen in der Pflegefamilie gelandet.
Ich gehe ein Stück zur Seite, als käme es hier auf die Privatsphäre an, und achte darauf, mich vom Licht des Ausgang-Schildes fernzuhalten. Ich hab keinen Bock, mitten in der Nacht mit Blut an den Fingerknöcheln geschnappt zu werden. »Ja?«
»Hallo. Hier ist Victor vom Todesboten, ich möchte gern mit Rufus Emmy-terio sprechen.«
Er verhunzt meinen Nachnamen, aber es hat keinen Zweck, ihn zu verbessern. Es gibt sonst niemand mehr, der diesen Namen trägt. »Ja, das bin ich.«
»Rufus, es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden …«
»Dreiundzwanzig Stunden«, verbessere ich ihn, während ich neben dem Auto auf und ab gehe. »Es ist schon nach eins.« Verdammte Scheiße. Andere Todgeweihte haben ihren Anruf schon vor einer Stunde bekommen. Wenn der Todesbote sich vor einer Stunde gemeldet hätte, hätte ich vielleicht nicht vor dem Restaurant gewartet, wo Peck arbeitet, der sein Studium schon im ersten Semester geschmissen hat, und ihn bis zu diesem Parkplatz verfolgt.
»Ja, Sie haben recht. Tut mir leid«, sagt Victor.
Ich beiße mir auf die Zunge, weil ich meinen Ärger nicht an einem Typen auslassen will, der nur seinen Job macht, auch wenn ich nicht verstehe, wie zum Teufel sich überhaupt irgendjemand auf so eine Stelle bewerben kann. Nur mal kurz angenommen, ich hätte eine Zukunft, dann könnte ich mir im Leben nicht vorstellen, morgens aufzuwachen und zu sagen: »Ich glaube, ich übernehme heute Nacht eine Dreistundenschicht, in der ich nichts weiter tue, als Leuten klarzumachen, dass ihr Leben vorbei ist.« Aber Victor und andere haben das getan. Ich will auch nichts von diesen blöden Sprüchen hören, dass man den Überbringer einer schlechten Nachricht nicht dafür verantwortlich machen kann, vor allem dann nicht, wenn er anruft, um mir zu sagen, dass ich heute den Löffel abgeben werde.
»Rufus, es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie innerhalb der nächsten dreiundzwanzig Stunden einen vorzeitigen Tod erleiden werden. Und obwohl es bedauerlicherweise nicht in meiner Macht steht, etwas daran zu ändern, rufe ich an, um Sie über Ihre Möglichkeiten an diesem heutigen Tag zu informieren. Zunächst einmal – wie geht es Ihnen? Es hat eine Weile gedauert, bis Sie den Anruf entgegengenommen haben. Ist alles in Ordnung?«
Er will wissen, wie es mir geht, ja klar. An seinem aufgesetzten Ton kann ich erkennen, dass er sich genauso wenig für mich interessiert wie für die anderen Todgeweihten, die er heute noch anrufen wird. Wahrscheinlich werden die Anrufe aufgezeichnet und er versucht sich Zeit zu lassen, um seinen Job nicht zu verlieren.
»Ich weiß nicht, wie’s mir geht.« Ich umklammere mein Handy, um es nicht gegen die Mauer zu knallen, auf die kleine weiße und braune Kinder gemalt sind, die sich unter einem Regenbogen an den Händen halten. Dann werfe ich einen Blick über die Schulter und sehe, dass Peck noch immer auf dem Bauch am Boden liegt, während mich Malcolm und Tagoe anstarren. Hoffentlich sorgen sie dafür, dass der Kerl nicht abhaut, bevor wir entschieden haben, was wir jetzt mit ihm machen. »Was hab ich denn für Möglichkeiten?« Ich schätze, das ist okay.
Victor gibt mir zunächst den Wetterbericht für heute durch (vormittags soll es regnen und später auch – falls ich so lange durchhalte), dann nennt er mir besondere Veranstaltungen, auf die ich null Bock habe (vor allem nicht auf einen Yogakurs im High Line Park, Regen hin oder her), Formalitäten für die Beerdigung und Restaurants mit den besten Rabatten für Todgeweihte, wenn ich den heutigen Code verwende. Mehr kriege ich nicht mit, weil ich Panik schiebe, wie der Rest meines Abschiedstages ablaufen wird.
»Woher wisst ihr das eigentlich?«, unterbreche ich ihn. Vielleicht kriegt der Typ ja Mitleid mit mir, und dann kann ich Tagoe und Malcolm in das große Geheimnis einweihen. »Das mit dem Todestag. Woher wisst ihr das? Habt ihr da ne Liste? Eine beschissene Kristallkugel? Oder ’nen Kalender für die Zukunft?« Alle Welt spekuliert darüber, woher der Todesbote diese einschneidenden Informationen hat. Tagoe hat mir von den ganzen durchgeknallten Theorien erzählt, die er im Internet gefunden hat, zum Beispiel dass der Todesbote eine Reihe waschechter Hellseher befragt, und eine echt lächerliche von ’nem Alien, der an eine Badewanne gefesselt ist und von der Regierung dazu gezwungen wird, Todestage auszuspucken. Diese Theorie hat eine ganze Menge Schwachstellen, aber ich hab gerade keine Zeit, sie aufzuzählen.
»Ich fürchte, über diese Information verfügen auch wir Boten nicht«, erklärt Victor. »Es würde uns ebenfalls interessieren, aber das müssen wir zur Ausübung unserer Tätigkeit nicht unbedingt wissen.« Schon wieder so ’ne lahme Antwort. Ich wette, er weiß Bescheid, darf aber nichts sagen, wenn er seinen Job behalten will.
Scheiß auf den Typen. »Ey, Victor, sei mal eine Minute lang ein Mensch. Keine Ahnung, ob du das weißt, aber ich bin erst siebzehn. In drei Wochen werde ich achtzehn. Kotzt es dich nicht an, dass ich nie aufs College gehen werde? Heiraten? Kinder kriegen? Reisen? Anscheinend nicht. Du hockst einfach ganz gechillt auf deinem kleinen Thron in deinem kleinen Büro, weil du weißt, dass du noch ein paar Jahrzehnte vor dir hast, stimmts?«
Victor räuspert sich. »Sie wollen, dass ich ein Mensch bin, Rufus? Sie wollen, dass ich von meinem Thron steige und ehrlich zu Ihnen bin? Einverstanden. Vor einer Stunde hatte ich eine Frau am Telefon, die geweint hat, weil sie keine Mutter mehr sein wird, sobald ihre vierjährige Tochter heute gestorben ist. Sie flehte mich an, ihr zu verraten, wie sie das Leben ihrer Tochter retten kann. Aber kein Mensch hat diese Macht. Und dann musste ich einen Antrag beim Jugendamt stellen, damit sie die Polizei hinschicken, falls die Mutter selbst für den Tod ihrer Tochter verantwortlich ist, und ob Sie es glauben oder nicht – das war noch